Nochmals zum Komplex Einzeltäter:
Am 1./2. Dezember 1924 wurden in der Villa des Prokuristen Angerstein in Dillingen acht Menschen ermordet. Es handelte sich um nahe Angehörige und Angestellte des Prokuristen, die nacheinander ins Haus gelockt wurden und mit dem Beil erschlagen oder mit einem Hirschfänger erstochen wurden. Dann wurde im oberen Bereich der Villa ein Brand gelegt. Ein Dienstmädchen, welches in den oberen Räumen Schutz suchte, verbrannte bei lebendigem Leib. Angerstein selbst hatte auch Verletzungen, die aber nicht lebensgefährlich waren, dennoch musste er im Krankenhaus stationär behandelt werden.
Die Polizei ermittelte zunächst wegen Raubmord und zwar gegen eine ca. 20 köpfige Räuberbande, weil man davon ausging, dass derart viele Täter notwendig waren, um ein solches Massaker anzurichten.
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=nzg&datum=19241203&seite=3&zoom=2Dann stellte sich nach genaueren Untersuchungen heraus, unter anderem auch, weil die Wertgegenstände der Ehefrau in ihrem Schrank unangetastet geblieben waren und somit ein Raubmotiv ausschied, dass Angerstein die Taten selbst verübt hatte. Den Verdacht auf eine Räuberbande, bestehend aus rund 20 Mann hatte er selbst gestreut.
Angerstein leugnete die Tat auch noch nachdem er in Verdacht geraten war. Der Limburger Oberstaatsanwalt hat ihn jedoch noch im Krankenhaus aufgesucht und ins Kreuzverhör genommen und ihm auf den Kopf zugesagt, dass er der Mörder sei. Daraufhin ist Angerstein zusammengebrochen und hat die Taten gestanden.
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=rpt&datum=19241204&seite=9&zoom=2Zum Motiv der Tat: Der Oberstaatsanwalt beharrte darauf, dass Angerstein Unterschlagungen innerhalb seiner Firma verdecken wollte und daher die Opfer als mögliche Zeugen beseitigt hat.
Angerstein wurde dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft acht Mal zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Seine Verteidiger hatten darauf plädiert, dass er zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig war, weil seine häusliche Situation unter anderem wegen der Krankheit seiner Frau unerträglich gewesen sei und er deshalb unter enormen Spannungen gelitten habe, die in der Tat eskaliert seien, weil sich Anspannung entladen habe.
Der Oberstaatsanwalt widerlegte diese Einwendungen, insbesondere auch den Einwand, dass Angerstein seine Frau geliebt habe und so wurde Angerstein zum Tode verurteilt und hingerichtet.
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=nzg&datum=19250714&seite=5&zoom=2Ich finde diesen Fall interessant, weil für mich damit belegt ist, dass auch ein Einzeltäter die seelische und körperliche Kraft und Ausdauer hat kurz hintereinander acht Morde zu begehen und zum "Massenmörder" werden kann. Außerdem wird auch deutlich, dass 1924 Affekttaten und somit auch Schuldunfähigkeit kein Thema waren.
Auch zeigt der Fall, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft in diesem Fall nicht engstirnig ermittelt haben. Der Raubmordverdacht wurde relativ schnell fallengelassen. Allerdings auch deshalb, weil die Obduktion der Leichen ergeben hatte, dass diese schon zu dem Zeitpunkt längere Zeit tot waren, als Angerstein noch die 20 Räuber im Haus angetroffen haben wollte.