SeiraButterfly schrieb:ich habe jetzt schon extrem häufig die Erfahrung gemacht, dass man mit Menschen 50+ einfach nicht diskutieren kann und sie oft in ihren Meinungen eingefahren sind und keine Bereitschaft zeigen, ihre Ansicht (nichtmal nach Vorlage von Beweisen) zu ändern.
Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann! Bei manchen ist er aber leider einfach nur hohl.
Das ist vollkommen altersunabhängig.
Wenn ich mir das Leben in meinem Freundeskreis so ansehe und die Biographien vergleiche, stelle ich durchaus Ähnlichkeiten fest, wobei ich zugeben muss, dass einige Zeitgenossen in ihrem Leben noch mehr erlebt und bewegt haben als ich.
Nein, liebe Kinder: Nicht jeder über 50 (oder 30?) muss zwangsläufig ein seniler Volltrottel sein. Ebensowenig wie jeder unterhalb dieser Altersgrenze ein jugendliches Genie sein muss - selbst wenn er/sie sich dafür hält.
Irgendwann im Laufe seines Lebens hat man einen Punkt erreicht, wo einen nichts mehr allzusehr nerven kann. Dann ist man cool. Etwas später dann nervt einen gar nichts mehr. Dann ist man kalt. Und tot.
Grundsätzlich ist "Alter" keine Frage des Geburtsdatums, sondern der inneren Einstellung.
Niemand wird alt, weil er eine bestimmte Anzahl von Lebensjahren auf dem Buckel hat. Man wird alt, wenn man sich von seiner Fantasie und seinen Träumen final verabschiedet. Man sollte sie behalten, auch in dem Wissen, dass sie sich nicht immer oder nicht so wie gewünscht realisieren lassen. Im Laufe der Zeit wirft unsere Haut Falten, mit dem Verzicht auf Neugierde, Lernbereitschaft und Ideale aber wird auch unsere Persönlichkeit Falten werfen wie eine alte Hose.
Ich kenne frühvergreiste Mid-Twens, die Wertvorstellungen haben, die es mit denen meiner Grosseltern kurz vor Demenzeintritt aufnehmen können. Ich kenne lebensmüde Dreissiger, die glauben, mit Ehemann, Kindern und Hypotheken sei ihr Leben am Ende. Ich kenne verbrauchte Vierziger, die die Tage bis zur Rente zählen (Welche Rente, hä?).
Und ich kenne Menschen, die sich eben nicht "altersgemäss" verhalten: Siebzigjährige, die Berggipfel im Himalaya besteigen, Achtzigjährige, die ein Studium der Philosophie beginnen und Neunzigjährige, die auf der Bühne den Blues singen.
Nächstes Jahr werde ich 70. Siebzig! Na und? Eine Zahl, nichts weiter. Ich werde trotzdem in meiner verbeulten Karre laute Rockmusik hören, dass den Kids an der Fussgängerampel das Gel aus den Haaren fliegt, meine Frau und ich werden auf hanseatischen Nobelparties trotzdem Leute schockieren "Sie haben sich ihre Wohnung von einer Blindenwerkstatt einrichten lassen?" und meine Frau wird trotzdem in heissen Sommernächten nackt auf der Terrasse Pogo tanzen und "Hersham Boys" mitgrölen, dass die Spatzen tot vom Dach fallen.
Man hat im Laufe der Jahrzehnte genügend Dinge gesehen und/oder erlebt, dass man nicht mehr so leicht in Panik gerät, dass einen so schnell nichts mehr aufregt. Nennt es Abstumpfung oder Toleranz, Altersweisheit oder Altersschwachsinn. Die Grenzen zwischen Altersweisheit und Altersschwachsinn sind bekanntlich fliessende. Ich als alter Sack muss das wissen.
Nach "Ruhe" strebe ich nicht unbedingt. Davon werde ich nach meinem Ableben mehr als genug haben. Vermutlich eine Ewigkeit. Oder mehrere?
Wir bilden uns zu allem, auf das wir stossen, eine Meinung. Mal eine eigene, mal eine gekaufte, mal eine mehrheitsdominierte.
Das tut jeder von uns. Natürlich unterscheiden sich Meinungen wie die Menschen, die sie haben.
Ebenso natürlich ist es, seine Meinung zu vertreten, es sei denn, es sei aus verschiedenen Gründen taktisch klüger, sie zu verbergen.
Stossen unterschiedliche Meinungen zusammen, dann geht es darum, wer die stichhaltigeren Argumente hat. Oder die grössere Erfahrung, das grössere Wissen zu einem Thema. Notfalls auch die grössere Feuerkraft.
Dass "der/die Andere" meine Meinung nicht annehmen, akzeptieren oder auch nur respektieren muss, ist mir schon klar. Trotzdem nehme ich für mich das Recht in Anspruch, meine Meinung zu vertreten. Könnte ja sein, dass ich ein paar "Wankelmütige" beeinflussen kann. In meinem Sinne, natürlich. Vive la manipulation!
Natürlich habe ich zu allem eine Meinung, und sei es, dass sie erstmal: "Keine Ahnung" lautet.
Wenn mich eine Sache interessiert, dann versuche ich mich, darüber schlau zu machen. Möglichst vielseitig.
Hinzu kommen bestimmte Erfahrungswerte, d.h. was ist wahrscheinlich, was nicht.
Die alte Grundsatzfrage: Was nützt es wem?
Dann natürlich noch die Basis von Wertvorstellungen und ideologischer Ausrichtung.
Fertig ist meine Meinung.
Und ob sie jemandem passt oder nicht, das ist mir völlig wurst.
Ist ja meine Meinung und nicht Deine Deinung oder seine Seinung, ihre Ihrung (s.u.) etc.
Ob ich natürlich immer und überall meine Meinung hinausposaune, das hängt vom strategischen Wollen und vom taktischen Geschick ab.
Ach ja, und meine Meinung kann sich natürlich im Laufe des Lebens und wachsenden Erfahrungen und Erkenntnissen ändern. Das ist keine Schande, das ist ein Lernprozess.
Passend dazu von einem meiner Lieblingsdichter:
Dorlamm meint
von Robert Gernhardt
Dichter Dorlamm läßt nur äußerst selten
andre Meinungen als seine gelten.
Meinung, sagt er, kommt nun mal von mein,
deine Meinung kann nicht meine sein.
Meine Meinung - ja, das läßt sich hören!
Deine Deinung könnte da nur stören.
Und ihr andern schweigt! Du meine Güte!
Eure Eurung steckt euch an die Hüte!
Laßt uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner!
Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er.