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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

6 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Kunst, Dänemark, Kindererziehung ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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Doors Diskussionsleiter
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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

30.03.2022 um 17:08
Das Telefon klingelt, mit diesem nervigen Klingelton, den mir meine Jüngste einprogrammiert hat. „Papa, der ist so schön fröhlich und positiv. Das brauchst Du, das wird Dir gefallen!“ Fröhlich und positiv? Da merkt man, dass Caitlin eine Ausbildung in einer ebenso großen wie renommierten Hamburger Werbeagentur macht, die bekannten Marken hilft, den armen KonsumentInnen fröhliche und positive Produkte, die kein Mensch braucht, anzudrehen. Sobald ich die blöde Gebrauchsanleitung für die klingelnde Nervensäge gefunden habe, werde ich das umprogrammieren. Mist, wenn man altersbedingt schon zu den digitalen Naiven gehört, die noch mit der Wählscheibe aufgewachsen sind.

Jedenfalls klingelt es. Das Display zeigt mir an, dass es meine Älteste ist, die es da nach mir verlangt.

Hier dort, wer hallo?

Hej Opa!

Oh, Annika! Du kannst schon telefonieren? Das ist aber schön, dass Du Deinen Opa mal anrufst.
(Dazu ist anzumerken, dass meine Enkelin knapp über zwei ist, aber ich lasse mich doch nicht von meiner eigenen Tochter mit „Opa“ anreden. Dann fühle ich mich unendlich alt, obendrein ist das so peinlich wie bei alten Ehepaaren, die sich gegenseitig mit Papa und Mama, Vati und Mutti o.ä. anreden.)

Hier ist Leila!

Dann nenn' mich nicht Opa. Ich bin Dein Vater.

Okay, dann eben Papa. Hast Du Zeit?

Wenn Du mich Opa nennst, dann kaufe ich mir schnurstracks einen beigen Blouson, eine graue Beutelhose und einen kleinkarierten Hut, damit ich auch wie Opa aussehe. Wofür sollte ich Zeit haben?

Für eine kleine Reparatur. Wir haben doch diese Fensterläden aus Holz, und da ist beim großen Sturm neulich irgendwas kaputt gegangen. Auf der Seeseite. Wir haben die vorher zu gemacht und nun kriegen wir sie nicht wieder auf. Irgendwas klemmt da, oder ist abgebrochen, weggefault, verrostet oder verzogen. Was weiß denn ich?

Na, Frau Doktor, das nenne ich mal eine präzise Diagnose. Sagst Du zu Deinen Patienten auch: Irgendwas klemmt da, oder ist abgebrochen, weggefault, verrostet oder verzogen? Alles Nähere stellt der Pathologe bei der Obduktion fest. Wir werden Sie dann informieren.

Ach Papa, ich bin Ärztin, keine Tischlerin. Komm, für Dich ist das doch eine Kleinigkeit. Du bist doch der Allround-Handwerker. Kannst Du nicht mal eben schnell...? Büddebüddebüdde!
(Mit diesem kindlichen Ton hat sie mich schon in jungen Jahren zu jedem Blödsinn breit geschlagen.)

Ich muss mal in unseren Terminplaner gucken, warte einen Moment. Du weißt doch, Rentner haben nie Zeit.

Büddebüddebüdde!

Okay, ich könnte am Freitag kommen. Bist Du da zu Hause?

Oh, Freitag, Moment (raschel raschel) Da haben Birte und ich aber Dienst.

Ihr arbeitet beide? Und die Kinder? Wer kümmert sich denn um die? Ich denke, das mit dem Betreuungsplatz hat immer noch nicht geklappt.

Das macht Jytte. Birtes kleine Schwester. Die wohnt seit ein paar Monaten bei uns. Die hilft uns dafür mit den Kindern. Neulich, als wir unser Video-Gespräch hatten, hast Du sie da nicht gesehen?
(Ich erinnere mich dumpf an einen Schatten, der im Hintergrund ab und an mal auftauchte.)

Und wie ist die so? Etwa so wie Birte?
(Die Ehefrau meiner Tochter redet bekanntlich mit Bäumen und heult in Vollmondnächten den Mond an. Also nur mal so als Warnung für TouristInnen an der jütländischen Nordseeküste: Wenn es in den Dünen nördlich von Esbjerg heult, ist es kein Werwolf, sondern Birte, die Verwirrte. Werwölfe wären harmloser.)

Na ja, Papa, bisschen schräger schon. Jytte ist jünger, 21. Sie ist Künstlerin. Sie ist schon ein wenig, nun ja, sagen wir mal „speziell“. Aber sie kann echt gut mit den Kindern umgehen. Irgendwie ist sie ja selbst ein großes Kind. Du kannst da bestimmt mit um...
(Nach meiner Tätigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung, langjähriger Ehe und einem Leben mit einer nicht unkomplizierten kleinen Schwester schreckt mich eigentlich nichts.)

Okay, ich komme dann am Freitag Vormittag rauf und gucke mir Deine Verklemmtheit oder Verzogenheit mal an. Wird schon schief gehen. Sind die Grenzen eigentlich wieder offen? Ich will ja nicht zwei Wochen in Quarantäne.
(Ich überlege mir, über welche Lücken im Antiwildschweinischen Schutzwall meiner dänischen Nachbarn ich unbemerkt über schmale Wirtschaftswege illegal die Grenze überschreiten könnte. Die haben doch da angeblich überall Video-Überwachung installiert. Big Brother is watching you hinter jedem Gebüsch.)

Nee, das ist doch alles wieder möglich. Außerdem bist Du doch schon drei Mal geimpft. Ich sage Jytte Bescheid. Die beiden Lütten freuen sich bestimmt auf ihren Opa. Pardon, auf Dich.
(Wir verabschieden uns und beenden das Telefonat.)

Freitag in aller Herrgottsfrühe breche ich auf. Den Wagen habe ich schon am Abend zuvor mit allerlei Werkzeug, Klebstoffen, Kleinmaterialien und Holz beladen. Ich weiß ja nicht, was mich erwartet. Bei dem Haus sollte ich lieber einen Abrissbagger mitnehmen.

Nördlich von Esbjerg fahre ich über namenlose Sandpfade in die Einöde, sozusagen in die Mitte von Garnichts. Die Adresse findet nicht mal mein Navi, ganz einfach, weil es keine Adresse gibt. Keine Ahnung, wie beispielsweise die Post sie findet. Nach GPS-Koordinaten? Glücklicherweise finde ich wie ein Zugvogel immer wieder dahin, wo ich schon ein paar Mal war.

Da oben steht das Haus. Mich erinnert der alte Kasten immer an den Wohnsitz der Addams-Family in Kombination mit Bates Motel. Der Vorfahre eines Kollegen meiner Tochter hat in Esbjerg Ende des 19. Jahrhunderts als Kaufmann und Bauunternehmer genügend Geld gemacht, um sich diesen hässlichen Riesenkasten als Sommersitz in die Einöde stellen zu lassen. Der Kollege hat das Haus dann vor einigen Jahren von seiner Mutter geerbt und musste einen Dummen finden, der es ihm abkauft, damit er seine Geschwister auszahlen konnte. Er hat keinen Dummen gefunden. Nur eine Dumme, nämlich meine Tochter. Kein Wunder, dass es in dieser exponierten Lage zu Sturmschäden kommt. Mir kommt dort immer der Romantitel von Emily Brontë in den Kopf: Wuthering Heights – Sturmhöhe.

Ich stelle meinen alten Volvo neben einem bunt bemalten kleinen Suzuki-Geländewagen ab. Scheint Jyttes Auto zu sein, die beiden anderen Wagen sind nämlich weg. Als ich die Autotür öffne, schlägt mir infernalischer Lärm entgegen. Klingt wie afrikanische Kriegstrommeln. Sollte ich heute früh falsch abgebogen sein? Nicht rechts Richtung Norden, sondern links Richtung Süden? Kommt ja bei alten Männern am Steuer schon mal vor, dass die orientierungslos herum irren. Opas eben. Aber das Haus stimmt, die Landschaft auch. Dann muss ich hier wohl richtig sein. Vielleicht haben sie eine afrikanische Drum-Band zu Gast?

Die Tür ist, wie üblich, unverschlossen. Hierher verirren sich keine Einbrecher. Ich folge dem Gelärme ins Obergeschoss. Dazu muss ich allerdings oben erst mal das Kinderschutz-Gitter an der Treppe überwinden. Ich bin zu doof für die Verriegelung, die meine Enkel in Sekundenbruchteilen spielend aufkriegen. Also steige ich drüber. Auf der Seeseite des Hauses ist eine Tür angelehnt, dahinter lärmt es. Trommeln und irgendwas rasselt da auch. Klapperschlangen?

Ich öffne die Tür, klopfe laut gegen den Türrahmen – aber nicht laut genug gegen den Krach ankommend, und brülle „Hej! Bliv ikke bange!” (Nicht erschrecken!) Es ist allerdings nicht die angesprochene Person, die erschrocken ist, sondern ich. Ich bin ja einiges gewöhnt von Birte, aber dieser Anblick verstört mich dann doch etwas. Das Erste, was mir sozusagen buchstäblich ins Auge springt, ist ein halber Leopard. Der befindet sich als Tattoo auf dem Rücken einer tanzenden nackten Frau, die auf eine Trommel eindrischt, mit den Füssen stampft, an deren Gelenken Schellen befestigt sind wie bei einem Tamburin. Die Frau hat blaue Haare und obendrauf etwas aus Stroh, das entfernt an eine Krone erinnert. So hüpft sie lärmend vor dem weit offenen Fenster mit Blick auf die Nordsee auf und ab. Ich fange mich etwas und brülle noch mal meine Ansprache. Da springt der halbe Leopard, bzw. sie mich aus einer 180-Grad-Drehung heraus an, landet dicht vor meinen Füssen und schreit ”Hej!!” Sie legt die Trommel aus der Hand, gibt mir artig die Hand, macht sogar einen kleinen Knicks und sagt ”Ich bin Jytte. Du biss der Papa von Leila, ja? Wegen die Fensser. Velkommen!” Ach, ich liebe es, wenn Däninnen Deutsch sprechen. Sofort erscheint Vivi Bach vor meinem geistigen Auge.

Allerdings kannte ich den Fernsehstar meiner Jugend nur angezogen aus dem TV. Wer mir da gegenüber steht, ist ziemlich unbekleidet, bis auf den Kopfputz und zahlreiche Tattoos. Ich gebe zu, ich bin irritiert. Ich weiss nicht, wohin ich zuerst gucken soll. Die blauen Haare? Dieser Klunker in der Nasenscheidewand? Die Ringe in den Brustwarzen? Das Metall im Genitalbereich? Oder die vielen bunten Bilder auf dem Körper. Ich entscheide mich, nach kurzen Überflug über die Gesamterscheinung als gut erzogener Mann für das Gesicht. Sieht verschwitzt aus. Trotz des weit geöffneten Fensters.

”Was treibst Du da, Jytte?” frage ich und versuche, mich weiterhin nicht ablenken zu lassen, sondern ihr in die Augen zu sehen. Fällt mir angesichts der Situation allerdings, zugegeben, etwas schwer. Ich mag ja vielleicht schon ein alter Mann sein, aber immerhin, frauenbewegte Frauen mögen es mir verzeihen, noch ein Mann. In diesem Falle ein angezogener Mann, der vor einer verwirrenden, vielleicht auch verwirrten, nackten jungen Frau steht. Ihr scheint das überhaupt nichts auszumachen. Na gut, was die Freizügigkeit angeht, da bin ich von meiner Schwiegertochter Birte ja schon einiges gewöhnt. Muss wohl in deren Familie liegen.

”Siehst Du? Ich tanze. Ich sauge Energie auf von die See, von die Luft!” Na, dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin. Ich dachte schon, sie vollzieht hier irgendeinen Exorzismus. ”Äh, ist Dir nicht kalt? Das zieht hier doch.” Ihre aufgerichteten Brustwarzen signalisieren mir, dass ihr kalt sein muss. Hoffe ich zumindest. Nicht, dass da noch irgendwas Sexuelles mitschwingt. Man weiss ja nie.

”Das muss sso ssein. Sonst geht Energie nicht in die Körper.” Ach, hätte ich doch gleich drauf kommen können, ich Esoterik-Laie. Noch während ich mich mit dieser seltsamen Situation zu arrangieren versuche, springen bunte Hände von hinten meine Beine an und zweistimmig kreischt es ”Opa!” Meine Enkel, unter bunter Farbschicht kaum wiederzuerkennen. Annika und Erik färben mir die Hosenbeine, während ich versuche, sie wieder auf die sprichwörtliche Armlänge Abstand zu bringen. Na, glücklicherweise habe ich schon meine Arbeitskluft an. ”Wie seht ihr denn aus?” ”Wir malen, komm, kuck mal!” Die beiden Kleinen zerren mich in ein Nebenzimmer. Da sieht es bunt aus. Noch vor einem Jahr haben ich mit viel Mühe alles mit Raufaser tapeziert und weiss gestrichen. Davon ist jetzt nicht mehr viel nach. Nicht nur in Kinderhöhe ist alles bunt gescheckt, sondern sogar unter der Decke sind Hand- und Fussabdrücke zu sehen. ”Jytte macht Kunst! Wir auch!” erklären mir die Zwerg-Picassos. Interessanter Ansatz von Kunstpädagogik: Kinder ausziehen, mit Fingerfarben von Kopf bis Fuss einschmieren und sie dann an die Wand drücken und abrollen. So sieht es jedenfalls aus. In einer Ecke des sonst leeren Zimmers hocken Tinka und Minka auf dem Packpapier, das den Boden bedeckt und putzen sich. Das sind keine weiteren Kinder, sondern die beiden Hauskatzen, die ich vor längerer Zeit illegal nach Dänemark exportiert hatte, damit sie die Mäuse in dem Gruselschloss bekämpfen. Vielleicht war es ja auch nur eine Repatriierung, denn bei uns auf dem Hof landen öfter Katzen mit dänischem Migrationshintergrund. Jedenfalls haben die beiden einstmals grau getigerten Tiere offensichtlich mit gemalt. Jetzt versuchen sie verzweifelt, die Farbe wieder abzukriegen.

Ich gehe zurück zu Jytte in ihrem Tanzsaal. Die hat sich gerade die Strohkrone und die Schellen von den Fussgelenken abgenommen. In der Zimmerecke liegt ein tarnfarbener Flokati. Der erhebt sich mühsam und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als zotteliger, offenbar sehr alter Hund. ”Das ist Benny. Sag Hej zu Opa, Benny.” ”Hallo Benny!” ”Der hört nicht. Der is taub.” Bei dem Krach ein Segen für das arme Zotteltier, denke ich, und ja auch kein Wunder. Katzen voller Fingerfarbe, hoffentlich ungiftig, und ein taub getrommelter Hund. Na, wenn das alles nicht nach dem Tierschutzverein schreit.

”Sag mal, willst Du Dir nicht etwas anziehen? Und den Kindern auch. Irgendwie verwirrt mich das alles gerade ein wenig.” ”Birte hat gessagt, Du biss ssehr, wie ssagt man, konventionell. Konventionelle Opa. Aegte tysk.” Sie geht zum Schrank. ”Willst Du Keks? Keks für Erwachsen oder für Kinder?” ”Was ist der Unterschied?” ”In Keks für Erwachsen ist was drin. Magic!” Na, bevor ich mir hier irgendwas Psychoaktives reinschaufle, nehme ich lieber etwas von den Kinderkeksen. Die sind ziemlich farbverschmiert, denke ich und zögere. ”Ach, die Farbe.” Sie beisst ein grünes Stück Keks ab, reicht ihn mir und sagt ”Nimm. Gut so?” Na gut, scheiss auf Corona, bevor ich hier noch weiter als konventioneller Opa eingestuft werde, esse ich das Ding lieber. Hoffentlich hat sie nichts verwechselt. ”Ssoll ich Kaffee machen?” ”Lieber einen Tee, aber bitte ohne THC. Tak! Und zieh Dir bitte was über.” ”Du biss, äh, zerklemmt? Ssagt man sso?” ”Verklemmt. Und das bin ich eigentlich nicht.” ”Doch, Birte ssagt das!”, kichert sie. Na gut, bin ich eben ”zerklemmt”. Apropos zerklemmt, wo ist das Fenster? Ich könnte mich ja schon mal von diesem zweibeinigen Vierfarbdruck mit Metallapplikationen losreissen und das tun, weshalb ich eigentlich hergekommen bin. Jytte zeigt mir den Fensterladen. Ich hole mein Werkzeug aus dem Auto und schleppe alles hoch. Die Kinder gucken mir zu, wie ich mir den zerklemmten Laden besehe. Dabei hinterlassen sie eine Spur vielfarbiger Brösel auf dem Teppichboden. ”Jytte! Lass das erst mal mit dem Tee. Mach' mal die Kinder sauber. Und die Katzen gleich mit. Und zieh sie an. (Die Kinder, nicht die Katzen, denke ich) Die krümeln hier alles voller Farbe. Leila kriegt einen Knall, wenn sie wiederkommt.” Ich kenne doch meine pedantische Tochter. Wie sie es mit diesen beiden Chaotinnen aushält, ist mir ein Rätsel. Das war schon so, als sie mir Birte vorstellte. Muss wohl daran liegen, dass Gegensätze sich anziehen. Okay, im Falle von Birte und Jytte wohl eher ausziehen.

Jytte bringt die sich sträubenden zwei- und vierbeinigen Farbkrümelmonster ins Bad. Ich löse inzwischen die Fensterflügel. Das geht ja noch, weil sie sich nach innen öffnen lassen. Am linken Fensterladen ist das Holz des Rahmens, an dem die Scharniere befestigt sind, morsch. Dadurch haben sich Schrauben gelöst, der Laden hängt schief und hat sich mit seinem rechten Gegenstück verkeilt. Jetzt wird's haarig. Ich muss den Laden lösen, nach aussen öffnen und gleichzeitig festhalten und reinholen. Jetzt wäre es praktisch, ein achtarmiger Krake zu sein. ”Ich mach den Tee, Du musst gleich mal mit anfassen, wenn Du mit den Kindern fertig bist. Das schaffe ich nicht alleine.” Ich lege schon mal alles bereit. Säge, Schraubendreher, Hammer, Holz, wetterfesten PU-Kleber. Dann gehe ich in die Küche, mache Tee und warte. Nach einiger Zeit erscheinen zwei adrett angezogene Enkelkinder – und eine immer noch unbekleidete Jytte. ”Willst Du Dir nicht was überziehen?” ”Ach, Opa Anders! Sei nich sso zerklemmt.” Sie spricht meinen Namen korrekt schwedisch aus: Andersch. Das hasse ich. Ich bin schon lebenslänglich an die falsche deutsche Aussprache gewöhnt. Und dann noch die Kombination mit Opa.Sie piekst mir mit dem Zeigefinger in die Rippen. Ich überlege, ob ich sie nicht einfach mal über's Knie legen soll.

Die Kinder sind inzwischen in eines ihrer zahlreichen Zimmer verschwunden und haben die nassen Katzen mitgenommen. Da oben lärmen sie vor sich hin. Wir trinken Tee, ich knabbere ein paar farbverschmierte Kekse dazu, während Jytte sich offenbar noch einen Erwachsenenkeks einverleibt. Ich denke, dass ich noch mal ein ernstes Wort mit meiner Tochter reden sollte. Eigentlich sollten sich zerklemmte Opas ja nicht in die Kindererziehung einmischen, aber mir erscheint das Ganze hier doch ein wenig grenzwertig.

”So, an die Arbeit, Du musst mal mit anfassen, ich habe nicht genügend Arme.” Sie geht vor mir die Treppe hoch, während sie im Schritt leise klingelt. Wenn ich das zuhause Eileen erzähle, lacht die sich bestimmt halb tot.

Oben wuchten wir gemeinsam den maroden Fensterladen aus der Halterung, wobei ich ständig irgendwelche Tattoos oder Piercings und viel nackte Haut vor der Nase habe. Dann säge ich vorsichtig alles bis auf das gesunde Holz weg, klebe ein passend zugeschnittenes Ersatzstück ein, und nun müssen wir warten. Bevor ich den Laden wieder anschrauben kann, muss der Kleber ausgehärtet sein. Wie überbrückt ein zerklemmter Opa die Zeit mit einer nackten Blauhaarigen? ”Leila hat gesagt, Du bist Künstlerin. Was machst Du für Kunst?” ”Oh, ich mache Collagen aus Ssachen von die Strand. Holz, Plastik und so. Ssoll ich mal sseigen?” ”Oh ja, gerne.” Sie klingelt wieder mit mir die Treppe runter in ihr Atelier, das vordem ein Wintergarten an der Südseite des Hauses war. Da sieht es aus wie eine Müllkippe. Kunst und Krempel, geht mir durch den Kopf. Na gut, nach meinem Geschmack ausschliesslich Krempel. Sie erklärt mir wort- und gestenreich, was das alles im einzelnen so darstellen soll. ”Und davon kannst Du leben?” frage ich. ”Nein!” kichert sie. ”Ich mach noch viel andere Ssachen. Malen, Tanzen, im Sommer in ein Boutique verkaufen.” Na, hoffentlich hat sie da was an, das wäre ja sonst geschäftsschädigend.

Irgendwie muss ich Zeit überbrücken und suche nach einem neuen Gesprächsthema. ”Sag mal, der Leopard auf Deinem Rücken, der ist doch noch nicht fertig, oder?” ”Gefällt Dir?” Sie hält mir ihre Kehrseite für meinen Geschmack zu dicht vor meine Augen. ”Macht meine Freundin Anne. Hat ein Sstudio in Esbjerg. Ich jobbe da und statt Geld macht ssie Tattoo weiter. War aber nicht in letzte Jahr. Corona.” Tja, so verhindern Pandemien Leoparden auf dem Rücken, wer hätte das gedacht, Herr Lauterbach.

”Und das ganze Metall? Macht sie das auch? Stört Dich das nicht, vor allem da unten?” ”Hat alles Anne gemacht. Macht Körperkunst. Nee, stört auch nicht, guck mal.” Wie schreibe ich das jetzt unverfänglich? Sie klappt sich auf, um mir ihre untere Schmuckkollektion genau vor Augen zu führen? Na ja, vielleicht so. Ich verscheuche unzüchtige Gedanken mit einem Blick auf die Uhr. ”Das müsste jetzt hart genug sein.” ”Was ist jetzt hart genug, Anders?” kichert sie und klimpert. ”Der Kleber oben am Fenster. Jetzt kann ich die Scharniere festschrauben. ”Ich komm mit rauf.”

Klimper, klimper, die Treppe hoch. ”Ich zieh mir mal an.” sagt der Klimperkasten, und kommt kurz darauf mit einem Umhang zurück. Der erinnert mich an die Frisierumhänge in den Damensalons meiner Kinderzeit, reicht knapp bis zum Bauch. Während ich bohre und schraube, hockt sie sich im Lotossitz auf den Boden hinter mir und will mir, zumindest nach eigener Aussage ”Gute Energie machen für Arbeit.” Na, wenn's denn hilft. Offenbar hilft es, obwohl ich den Eindruck habe, dass Jytte gar nicht meditiert. Meine Ohren sind noch gut genug, um das feinste Klimpern zu hören. Na gut, angeblich soll das ja auch irgendwelche Energien freisetzen. Hat mir jedenfalls mal ihre grosse Schwester ausführlich erklärt. So, ich bin fertig mit dem Fenster. Laden bombenfest, Fensterflügel wieder eingehängt. Passt, wackelt und hat Luft. Jytte hockt noch mit verdächtig rotem Kopf auf dem Boden. Ja, ja, ”meditieren” kann schon anstrengend sein, denke ich.

Ich höre einen Wagen vorfahren, kurz darauf die Haustür und Schritte auf der Treppe. Kindergeschrei: ”Mama!” und dann tritt meine Tochter ein. ”Ich konnte gerade mal kurz weg. Na, hat alles geklappt, habt ihr Spass gehabt?” ”Ich denke, Jytte schon. Ich leide eher an akuter Reizüberflutung. Das ist nicht gut für zerklemmte Opas. Aber das Fenster ist jetzt wieder top. Hilfst Du mir, die Sachen wieder ins Auto zu bringen?”

Draussen spreche ich sie unter vier Augen an: ”Sag mal, meinst Du, dass diese Frau mit Sex, Drugs und Getrommel wirklich die richtige Betreuerin für Eure Kinder ist?”

”Papa, hast Du mich nicht mal in so einen selbstverwalteten Kinderladen gesteckt, als ich klein war? Ich fand das echt toll, diese Freiheit. Und hinterher war ich in so einem katholischen Schuppen, als wir in Franken waren. Da haben wir vorm Essen beten müssen und mussten immer brav und sauber sein. Ich habe es gehasst. Nein, Kinder brauchen ein wildes, freies Leben. Der bitterböse Ernst kommt früh genug. Du wirst doch auf Deine alten Tage nicht noch stockkonservativ werden? Nee, Jytte ist schon klasse, die Kinder lieben sie und ich auch. Die ist eben so ganz speziell – und das ist auch gut so.”

Nachdenklich verabschiede ich mich von Leila, Jytte, Annika und Erik. Die ganze Rückfahrt über beschäftigen mich die Worte meiner Tochter. Sie hat schon recht. Ich rufe sie gleich an und sage ihr, dass ich doch nicht so konventionell und zerklemmt bin. So alt ist Opa dann doch nicht.


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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

30.03.2022 um 17:40
Was für eine wilde Fahrt!
Ich weiß nicht, welcher Satz am besten ist :D, jedenfalls ist jeder ein Abenteuer.

Aber irgendwie kommt's immer so, wenn man denkt "Ich erledige das heute mal eben".


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Doors Diskussionsleiter
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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

30.03.2022 um 17:45
@coronerswife

Für mich war das Ganze eher ein Test, wie weit fortgeschritten meine "Verspiesserung" mit dem zunehmenden Alter schon ist. Manchmal erschrecke ich schon vor mir selbst. Glücklicherweise ziehe ich offenbar "schräge Vögel" an. Das hilft, die eigenen Positionen immer wieder in Frage zu stellen und schützt hoffentlich vor Altersstarrsinn und -schwachsinn.


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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

30.03.2022 um 17:47
@Doors
Ja gut, aber das ist schon fortgeschrittenes Level.
Im Vergleich kommt einem dann doch das eigene Leben irgendwann noch konservativer vor :D.


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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

31.03.2022 um 00:57
@Doors

W o w - schwer zu toppen^^

LOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL
LOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL
LOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL

Gailooohhhoooo DANKE you made my End♡ Beginning of an crzy spring!!!🤣🤣🤣🤣🤣🤗🤗🤗♡ Fan'in von deiner Schreibe:🥰🥰🥰🥰🥲😍😍😍😍🥲🥲🥲🥲🥲🥲🥲🙃😗😗

😘😉dankeschön...

Das wird jetzt 1 kurioser Traum hier...🤪🤪🤪

Menno bin ich spiessig! 😋😛😋😪🤔


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Ach du meine Jytte – Opa in Afrika

27.02.2023 um 17:16
granatenstarke Erzählung 👍
ich bin also auch zu spießig


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