Ich mache mir jetzt mal die Mühe, und überprüfe den Artikel von gestern auf Konsistenz und Wahrheitsgehalt der Aussagen, um aufzuzeigen, dass die meisten Argumente gegen das gM hauptsächlich aus Zerrbildern, Fehlwahrnehmung und fragwürdigen Konstruktionen besteht.
Genus und Sexus: Es ist kompliziert
Gegner der geschlechtergerechten Sprache verweisen gerne darauf, dass zwischen natürlichem und grammatischem Geschlecht keine Verbindung bestehe. Wer genau hinschaut, wird das Gegenteil bemerken: Genus und Sexus sind eng verwoben – ob wir nun von Tieren, Flüssen oder von Menschen reden.
Quelle:
https://www.nzz.ch/feuilleton/gendern-genus-und-sexus-sind-eng-miteinander-verbunden-ld.1578299Genus und Sexus gehen tatsächlich viele Wege gemeinsam, um es mal bildlich auszudrücken, aber bei weitem nicht alle, wie im Folgenden behauptet wird.
Kurz vorweg: Das Verhältnis von Genus und Sexus im Deutschen ist komplex. Genus und Sexus sind zu unterscheiden und stehen zugleich in enger Wechselbeziehung! Beide Aussagen sind gleichermassen gültig, beide muss man zur Kenntnis nehmen, wenn man sinnvoll über Sprache und Geschlecht reden will. Wir behandeln beide Aussagen der Reihe nach.
Quelle: s.o.
So eng ist die Wechselbeziehung nicht. Das wird zwar im Folgenden noch mehrfach suggeriert, indem man einen Fokus auf bestimmte Beispiele legt, aber das, worum es tatsächlich geht, namentlich den gM, klammert man in den Beispielen völlig aus. Das gM aber macht wohl einen Hauptteil der Beispiele aus, in denen Genus und Sexus ganz eigene Wege gehen, also wieso klammert man das hier aus, und tut so, als ob der Rest der ganzen Beispiele eine überwältigende Mehrheit belegen würde? Das ist ein klares Zerrbild der realen Verhältnisse.
Genderrollen (b) sind soziale Konzepte, typischerweise darüber, wie Frauen und Männer jeweils sind, denken, sich verhalten, sich kleiden usw. Genderrollen sitzen dem natürlichen Geschlecht auf und sind viel wichtiger als Geschlechtsorgane. Der biologische Unterschied zwischen Frauen und Männern wird mit zusätzlichen, willkürlichen Zuordnungen aufgebläht, wie etwa der Zuordnung von Farben oder von Kleidungsstücken zum einen oder anderen Geschlecht. Dass Genderrollen konstruiert – also nicht naturgegeben – sind, bedeutet nicht, dass sie keine gesellschaftliche Realität hätten. Im Gegenteil: Genderrollen haben auch in unserer modernen Gesellschaft eine stark normierende Kraft, Menschen, die sie nicht befolgen, etwa Röcke tragende Männer, gelten als lächerlich, jedenfalls nicht als «echte Männer».
Quelle: s.o.
Oder die konstruierte Zuordnung von bestimmten Wörtern zu einem bestimmten Geschlecht, wie es eben beim gM versucht wird, wobei das natürlich genauso ein Konstrukt ist, wie alles andere auch, das sie aufzählen. Warum wird das hier ausgespart? Weil es nicht ins Argumentationsschema passt, weil man dann zugeben müsste, dass eben so ziemlich alles, was damit insbesondere linguistisch zusammen hängt, eine einzige Konstruktion ist, und einer bestimmten inneren Logik der Sprache folgt, die die Sprecher intuitiv und kontextuell erfassen, aber sich sicher kaum an Kleinigkeiten wie dem Genus aufhalten, was die Zuordnung von Geschlechterrollen angeht? Einseitige Fokussierung verzerrt auch hier das Gesamtbild, und bildet nicht die ganze Realität ab.
Wie man hier deutlich sieht: Das semantische Geschlecht ist in diesen Personenbezeichnungen nicht abhängig vom grammatischen. Wenn das Deutsche die Unterscheidung des grammatischen Genus bei den Artikelwörtern (der, die, das) aufgegeben hätte – wie es ja im Englischen der Fall ist –, so würde das der Wortbedeutung und ihren Unterscheidungsmerkmalen keinen Abbruch tun. Man vergleiche hierzu das Englische: «the aunt» – «the uncle», «the mother» – «the father». Das jeweilige Geschlechtsmerkmal ist Bestandteil der Wortbedeutung; das grammatische Genus ist nicht notwendig zum Ausdruck dieser Bedeutung.
Dies erkennt man auch an Beispielen wie «Mädchen» und «Weib», die eindeutig die Information «weiblich» enthalten, aber das grammatische Genus Neutrum aufweisen. Bei vielen Personenbezeichnungen wird dieser Unterschied durch Wortbildungsendungen (z. B. «-er» für «männlich» und «-in »für «weiblich») erzeugt: Männliches Suffix «-er»: «Hexe» – «Hexer». Weibliches Suffix «-in»: «Student» – «Studentin». Auch hier ist der Artikel nicht notwendig zur Realisierung des Merkmals «männlich» bzw. «weiblich». Viele Funktionsrollen werden so gebildet, dass an die männliche Endung «‑er» zusätzlich die weibliche «‑in» angehängt wird: «Fahrer» – «Fahrerin». Es gibt sehr viele semantische Paare dieser Art.
Die Kategorie Genus (d) ist im Deutschen bei allen Substantiven im Singular in einer ihrer drei Ausprägungen (Maskulinum, Femininum, Neutrum) vorhanden. Für sich genommen hat sie keinerlei geschlechtliche Bedeutung, was man an der Genusverteilung bei Gegenständen sehr gut erkennt («der Stuhl», «die Bank», «das Sofa» / «der Becher», «die Tasse», «das Glas»).
Quelle: s.o.
Soweit Zustimmung. Das ist Fakt, und das hat auch Bestand.
Was darauf folgt, ist recht fragwürdig.
Aber – und nun wird es spannend – an manchen Stellen nimmt das Genus bei Personenbezeichnungen und sogar bei manchen Tierbezeichnungen sekundär geschlechtliche Bedeutung an. Hier sind wir also beim zweiten Punkt: Genus und Sexus stehen in enger Wechselbeziehung.
Quelle: s.o.
Ja, in enger Wechselwirkung, aber nur bei den hier hervorgehobenen Beispiel. Auch hier wird wieder vieles Ausgespart, was diese Wechselwirkung eben nicht belegt, wie ganz einfach das gM.
Und dann wird daraus etwas geschlussfolgert, was nur für diese einseitige Betrachtung gilt:
. . . aber doch zusammengehörig
Bei Personenbezeichnungen besteht eine äusserst enge Verbindung zwischen grammatischem Genus und dem Geschlecht einer Person. Das sieht man daran, dass fast alle semantisch weiblichen Bezeichnungen feminin und die männlichen maskulin sind: «die Tante», «die Mutter» – «der Onkel», «der Vater», ebenso «die Fahrerin» – «der Fahrer», «die Hexe» – «der Hexer». Diese Regel gilt zu fast 100 Prozent und belegt, dass Genus engstens auf Sexus verweist. Sogar wenn die Bezeichnung selbst kein semantisches Geschlecht enthält, leistet das Genus diese Zuweisung, wenn, wie es bei substantivierten Adjektiven und Partizipien der Fall ist, ursprünglich gar kein Genus vorhanden war. So etwa in «die» contra «der Angestellte», «die/der Alte», «die/der Vorsitzende». Hier zeigt einzig der Artikel als Träger von Genus das persönliche Geschlecht an.
Quelle: s.o.
Klar, diese "Regel" gilt nur dann zu 100 Prozent, wenn man einen gewichtigen Teil der Beispiele, wie das gM, weg lässt, und den passenden Rest als Regelmäßigkeit deklariert.
Rechnet man das vorkommen des gM dazu, was hier ziemlich gewaltig sein dürfte, bleiben von den 100% möglicherweise nur noch 30 übrig.
Das ist ein Zerrbild der Realität, nichts weiter.
Bei «das Weib», «das Mädchen» oder «die Schwuchtel» sieht man ja, dass Genus nichts mit Sexus zu tun haben kann. – Aus linguistischer Sicht stimmt das nicht, im Gegenteil: Betrachtet man diese vermeintlichen und sehr seltenen Ausnahmen genauer, dann bestätigen sie die obige Regel. Denn neutrale Frauen sind entweder solche, die ihre Genderrollen nicht erfüllen («das Weib» als Schimpfwort, «das Mensch» in Dialekten als liederliche Frau, «das Merkel» als versagende Politikerin), oder solche, die noch «unfertig» sind, d. h. entweder unreif oder unverheiratet («das Mädchen», «Fräulein»). Nur erwachsene, möglichst verheiratete, sozial arrivierte Frauen bekommen das «richtige» Genus («die Braut», «Frau», «Mutter»).
Quelle: s.o.
Und das stimmt wenn überhaupt, dann nur bedingt.
Das Weib kann als Schimpfwort benutzt werden, muss aber nicht. Es kann sogar als Respektsperson benutzt werden, wie in Eheweib, oder ehrfurchtgebietend wie in Superweib. Hier ist also auch wieder das zu bemängeln, was fast überall gilt. Man fokussiert sich auf die Beispiele, die einem in die Argumentation passen, und lässt die anderen Weck, um den Anschein zu erwecken, man wäre da irgendwie argumentativ auf der richtigen Spur. Nein, das ist schlicht daneben.
Genus und Sexus sind verschieden. Sie gehen aber an markanten Stellen in der deutschen Sprache enge Verbindungen ein. Die Genderlinguistik hat dies schon immer erkannt und betont. Beim Bemühen um geschlechtergerechte Sprache sind diese Verbindungen oftmals Problemstellen, die nicht leicht zu überwinden sind. Diese Tatsache ist kein Argument gegen geschlechtergerechte Sprache. Sie ist ein Argument für noch mehr qualifizierte Bemühung.
Quelle: s.o.
Der Anfang ist noch richtig. Genus und Sexus sind verschieden, und sie gehen auch an markanten Stellen in der deutschen Sprachen enge Verbindungen ein.
Gut, dass das die Genderlinguistik erkennen kann, und auch betont. Nicht überall, wie man dem Thread sehen kann, aber im akademischen Betrieb wenigstens, und das ist schon mal was. Alles andere wäre Leugnung von Tatsachen.
Die Schlussfolgerung ist aber falsch.
Wo bitte sind diese Verbindungen jemals groß als Problemstellen erkennbar gewesen? Keine Studie, keine Erhebung, keine Umfrage gibt dem Autor hier recht.
Wenn überhaupt, sind die Problemchen marginal, und genau das zeigen auch die Studien.
Hauptsächlich gründen sie darauf, dass Genus und Sexus nicht sauber getrennt werden.
Das ist schon alles zu dem Thema aus meiner Sicht.