Hallo w.s.o,
ich möchte mir für die Antwort etwas Zeit nehmen, dein Beitrag hat mich doch sehr berührt. Unabhängig ob der Threadersteller die Wahrheit gesagt hat oder nicht, glaube ich solchen Menschen ein wenig weiterhelfen zu können. Insgesamt hat MarthaHaarig es auch schon gut zugespitzt, mit deinen Voraussetzungen ist es schwer ein normales Leben zu führen. Aber um normal soll es hier und dir auch gar nicht mehr gehen, der Zug ist diesbezüglich tatsächlich abgefahren – die gesellschaftlichen Standarderwartungen wirst du nicht mehr erfüllen. Und das ist auch gar nicht schlecht, denn es soll dir in deinen letzten Jahrzehnten mehr um ein gutes Leben gehen.
Braucht für euch ein Leben unbedingt eine Beziehung und Intimität oder seht ihr es als verschwendet an, wenn man ohne Erfahrung mit beidem zu Grabe geht?
Aus meiner Sicht hat kein Mensch das Recht, das Leben eines anderen Menschen als verschwendet anzusehen. Zudem fehlt uns Menschen häufig auch die Vogelperspektive um das Leben im Gesamten zu beurteilen. Leider ist die Gesellschaft sehr verurteilend und kann sehr verletzend agieren – häufig aus einen Mangel an Bildung und Wissen. Viele können sich nicht vorstellen, wie es ist in einem nicht funktionalen Elternhaus großzuwerden. Anderseits denke ich, dass in deiner Generation es viele kaputte Elternhäuser gab und man schlicht nicht darüber gesprochen hat. Ich denke das Phänomen „Absolute Beginner“ ist kein Randphänomen – es ist halt einfach ein Tabu.
Nein, dein Leben ist mitnichten verschwendet. Viele andere großartige Menschen wie Immanuel Kant, Nikolas Tesla oder Jesus von Nazareth (so wie die Evangelien ihn beschreiben) waren ihr Leben beziehungslos zu einer Frau. Ist ihr Leben etwa eine „Verschwendung“? Sicher nicht.
Allerdings frage ich mich, ob es sich noch lohnt, was zu machen. Ich habe sicher so einige Probleme, doch ich hätte vermutlich mit 20 oder 30 in Therapie gehen müssen. Jetzt mit 60 habe ich das Gefühl jemanden den Platz wegzunehmen, der noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat.
Du kannst das Argument auch umdrehen. Du hast dein Leben, trotz widriger Umstände, einen großen Beitrag (in Form von Steuer und Produktivität) zum Aufbau und Erhalt dieser Gesellschaft geleistet. Mit 60 Jahren hast du noch 20+ Jahre vor dir, wenn alles gut läuft. Ich gönne dir vom Herzen guten Sex und die Erfahrung von echter Erotik zwischen dir und einer Frau. Und wenn dazu eine Therapie notwendig ist, dann nimm sie bitte in Anspruch. Und wenn es dein Geldbeutel zulässt, kannst du dich auch als Selbstzahler an Therapeuten ohne Kassensitz wenden – es muss ja nicht über die Kasse gehen. Da nimmst du auch niemanden einen Platz weg.
Meine persönliche Meinung ist allerdings, dass du dich zu sehr auf den sexuellen Bereich versteift. Deine Probleme liegen vermutlich tiefer. Mir sind folgende Sätze bei dir aufgefallen:
Lange Zeit habe ich dies im Privaten gelassen, doch ich bin seit Jahrzehnten stiller Mitleser… Für alle die bereit sind mir zuzuhören und mir zu glauben… An meine Kindheit und Jugend kann ich mich nicht so gut erinnern… hektisch und voll mit Alkohol … im Zimmer eingeschlossen…In der Schule zu dieser Zeit blieb ich für mich und verbrachte auch die Pausen allein Nie traf ich mich privat mit Gleichaltrigen außer meiner Kusine aber ich habe sie immer fortgestoßen… Ich hatte eine große Abneigung gegen Intimität… da ich meinen Ekel vor Intimität verloren habe… Ich war auch überzeugt, dass die Geschäftspartner damals hinter ihren Grimassen ähnlich hässlich über mich dachten… Ich verachte einfach generell Menschen…Da ich mich damals aber immer gut verstellte… irgendwas blockierte immer in meinem Kopf… es dann zu absurden Tagesabläufen… sondern um einfach sagen zu können, ich habe sie gelesen… Sicherlich ist sie gerade im Himmel enttäuscht von mir… Ich war aber immer der stille Leser am Seitenrand und habe mich nie wirklich irgendwo eingemischt…Meine Persönlichkeit macht es zumindest nicht einfach… doch dies natürlich nur allein und ich baue mein Zelt so weit weg von anderen auf wie es nur geht…Kein Mensch wird die natürlich lesen jemals wollen…
Ich lese in deinem Beitrag ziemlich viel Selbstabwertung und einen Rückzug in dem Kopf. Du bist anscheinend ein Mensch der nicht aus sich heraus kommt und damit meine ich nicht die gesellschaftliche Floskel der „Schüchternheit“ – da bin ich mir ziemlich sicher, dass du („absurderweise für das ungeübte Auge“) im Berufsleben dein Mann stehst. Ich kann mir gut vorstellen, dass du auch ein ganz ordentlicher Typ bist, der ausreichend attraktiv wäre für gelebte Sexualität. Dein Problem, um es auf den Punkt zu beschreiben, ist wahrscheinlich ein Entwicklungstrauma. Es gibt aktuell eine ganze Welle an Therapie-Möglichkeiten an dieses schwierige Thema heranzukommen. Wenn du mehr darüber erfahren willst, kannst du mich auch anschreiben, ich kenne Liste von Autoren die in diesem Thema fundiert sind.
Leider muss ich dich zunächst frustrieren: Aus irgendeinen Grund sind die einige Kassenpsychotherapeuten mit dem Thema überfordert oder blind. Psychiater sind da oft ganz schlecht. Ich hatte selbst mit dem Thema zu kämpfen und wanderte sage und schreibe 13 Jahre durch die Mühlen des Psychiatrie-Psychotherapie-Systems – erst der Gang zu einem „Männer-Coach“ brachte Licht ins Dunkle. Von daher kann es sein, dass dich Psychotherapeuten achselzuckend dich wegschicken oder dich falsch diagnostizieren – darum informiere dich vor einer Therapie im Vorfeld. Eine Therapie ist bei dir vermutlich auch nicht ganz ungefährlich – es könnte nämlich sein, dass in dir noch Emotionen und Erinnerungen „klemmen“ und unter einer Decke leichter „Depression“ verborgen sind. Hast du dich schon mal mit Depression beschäftigt? Hattest du schon welche? Oder anders gefragt, hast du Freude oder andere starke Gefühle im Leben? Es kann nämlich gut sein, dass du eine innere Dauerbetäubung hast, quasi als Überlebensstrategie.
Gerade brutale Traumatisierungen (wie es die Vernachlässigung der Eltern und Alkoholismus definitiv darstellt) haben starke Abspaltungen zur Folge. Die Sexualität ist neben Nahrung ja ein biologischer Imperativ und unser ganzer Organismus wird dafür vorbereitet. Als Mann konstituiert sich deine Identität daraus – es ist also mitnichten nur 5 Minuten Spaß, sondern Herz-Stück deiner Identität. Keine Sexualität zu leben ist daher oft Ausdruck einer starken Abspaltung und zwar die der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen. Denn es ist keinesfalls so, dass du „nur kein Sex“ hast, sondern dir fehlen anscheinend Freunde und eine substanzielle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Pflicht „Arbeit“. Dieses Fehlen nennt man in den Traumatheorien auch Abspaltung. Du tauscht ein hohes Funktionsniveau deines Ichs (d.h. du kannst dich über Wasser halten in der Gesellschaft) mit einem Teil deiner Lebendigkeit (eben Freunde, Sex, Beziehung). Diese Lebendigkeit, die eigentlich ein geliebtes Kind hat, ist bei dir vermutlich eingekapselt in einem Kern aus Depression und Destruktion.
Mir ist schon beim Lesen aufgefallen, dass du dich selbst angreifst. Du leidest wahrscheinlich auch an massiven Selbstabwertungen , die dich letztlich am Leben behindern. Man kann es so sehen, deine Lebenskraft, die eigentlich genutzt wird um eine Freundin zu finden, Sex zu haben und eine Beziehung zu gestalten , ist in dir eingekapselt und voller „krebsartige Seelenpartikel“ (weil wuchernd und viele), die man in der Tiefenpsychologie „Täter-Introjekte“ nennt. Google das doch einfach mal.
Sie haben die Aufgaben die äußere Vernachlässigung(-sreize) in deiner Psyche zu simulieren. Daraus bildet die Psyche ein inneres Modell (eben das Introjekt), mit den es Hypothesen über die äußere Welt ableitet. Darauf reagiert dann dein Organismus. Das nennt sich dann Projektion. Du reagierst also niemals auf die Außenwelt an sich, sondern auf das innere Modell / Introjekt. Du baust (unbewusst) jedes Mal dein Vernachlässigungsszenario neu auf und reagierst auf dieses, also in deinem Fall mit Rückzug. Das nennt sich in der Trauma-Forschung Reinszenierung. Damit wirst du auch später als Erwachsener immer wieder erneut mit dein Trauma konfrontiert und wirst so immer wieder reviktimisiert, also in deinem Fall „keine Liebe für immer“ so wie in der Kindheit. Dieses „Ich finde keine Liebe/ keine Berührung“ ist Ausdruck deiner Kindheit in der du dieses ja in Realität erlebt hast. Täter waren hier deine Eltern, die dich nicht geliebt haben bzw. es aufgrund ihrer Sucht oder eigener Trauma es nicht konnten. Als Kind ist das sehr übel, denn leider Gottes ist die Liebe der Eltern mit unseren Überlebensinstinkt verknüpft. Evolutionär gesehen bedeutet keine Liebe der Eltern = der Tod. Um dennoch irgendwie in diesem Szenario zu überleben, musstest du dein Liebesbedürfnis aufgeben, damit du schon nicht allein an den Trauerschmerz zu Grunde gehst. Die Erkenntnis „ich bin nicht geliebt“ löst im Kind starke Schmerzen (es schreit wie am Spieß) aus, denn es ist mit der Hypothese verbunden „ich werde sterben“. Und eben dieser Schmerz ist als Lebenskraft (jede Emotion ist ja Ausdruck von Lebenskraft sprich Mobilisierung des Stress-Systems) in dir verkapselt. Deine erwachsene Psyche hat ein Programm gebaut diesen krebsartigen Kern an verkapselter Lebensenergie von deiner Wahrnehmung abzuspalten. Preis ist hierbei wiederum eine Art innerer seelischer Vandalismus, der sich gegen die erwachsene Psyche richtet „ich bin hässlich/ich werde nicht gemocht/die hassen mich in Wirklichkeit“ usw. Das Thema ist super spannend. Solltest du weiteres Interesse haben und es dich irgendwie ansprechen, kann ich dir da weiterhelfen.
Du wirst wohl oft mit dem Problem konfrontiert sein, dass deine innere Not von der Außenwelt nicht wirklich wahrgenommen wird. Was „witzigerweise“ exakt eine Trauma-Reinszenierung deiner Kindheit darstellt: Das vernachlässigte Kind wird in seinen Bedürfnissen nicht gehört. Und auch hier im Forum bildet sich absurderweise dieses Muster nach – leider haben es gerade Menschen wie du es sehr schwer an echter Hilfe zu kommen, weil du ja funktionierst (im Sinne eines gelungenen Arbeitsleben) und du auch aus Scham nach außen keinen Leidensdruck zeigst und wahrscheinlich immer schön freundlich bist. Ich erahne aber dein Leid und es tut mir im Herzen leid, dass du ein Leben lang keine Liebe erfahren hast und du immer wieder an den gleichen Problemen wie ein böser Fluch gelitten hast (=Trauma). Aber es gibt ein Leben heraus. Es IST möglich. All deine Wünsche und Sehnsüchte können sich noch erfüllen. Das gute Leben IST möglich. Aber es erfordert eine Konfrontation mit deinem Trauma. Es ist aus meiner laienpsychologischen Sicht nicht getan mit „einfach mal ins Puff gehen“. Wahrscheinlich hast du vor dem Szenario sowieso untergründige Angst.
Noch drei Tipps von mir:
Eine Autobiografie zu schreiben finde ich keine gute Idee. Warum? Du hast ein Trauma in dir und bestimmt einen gewissen Druck deine Geschichte zu Sprache zu geben. Diese Geschichten bringen uns, im Gegensatz zu den Postulaten der klassischen Psychoanalyse, NICHT weiter. Ganz im Gegenteil, sie ziehen dich in einen Sog aus unendlich langem Grübeln, einem Suchen nach Grunden wo es keine gibt. Menschen missbrauchen und vernachlässigen aus den banalsten Gründen. Als Kind versucht man immer nach Gründen für dies oder jenes zu suchen, aber die Antworten erhielt man nicht. Man ist sein Leben lang auf der Suche nach einem Warum. Diese Antwort wirst du aber niemals erhalten und sie würde im Angesicht deines lebenslangen Leides sehr banal ausfallen. Das was dich heute quält ist die in der Kindheit gebildete Überlebensstrategie des dauernden Rückzugs. Deine Aufgabe besteht daher nicht im Kopf irgendwas zu ergründen, sondern endlich auf Menschen zu zugehen und positive Erlebnisse endlich zu erlauben (und zwar mit deinem ehrlichen, wahren Selbst und nicht als Rolle). Diese Erfahrung sind es die dich nähren und umbauen. Ein Buch über deine Scheiß-Kindheit ist dabei super kontraproduktiv und bedient eben dieses infantilen Überlebensmechanismus des Introjekts, denn du für eine Beziehung/Sex überwinden musst.
Du referenzierst dauernd auf die Incels und ich gehe davon aus, dass du auch in der Redpill-Szene unterwegs bist. Bitte lasse das zunächst. Nicht weil die Redpill falsch wäre, ganz im Gegenteil, sondern weil dein primäres Problem zunächst NICHT damit zu tun hat. Wenn du dich mit der Dekonstruktionskraft der Redpill beschäftigt, kann es sein, dass du wieder zu stark in den Kopf zurückziehst. Du aber musst endlich leben und dich nicht weiter hinter Bücher, Videos „verstecken“. Lerne zunächst erst einmal zu leben (d.h. Freundschaften schließen, mit Frauen „normal“ sprechen) und danach lerne „wie die Frauen ticken in Bezug der Sexualselektion“.
Bitte, bitte, bitte schäme dich nicht! Du bist wahrscheinlich ein wunderbarer Mensch, der exakt das getan hat was ALLE tun: Überleben. Ich finde es löblich dass du „Verantwortung übernimmst“, aber für dein Trauma kannst du tatsächlich nichts. Wir suchen uns unsere Eltern nicht aus und unsere Psyche schreibt nach relativ wenigen Prinzipen ihr Überlebensprogramm. Es gibt so viele Menschen denen alles in den „Hintern geschoben“ wird. Du hast nichts, aber wirklich gar nichts falsch gemacht, du funktionierst genauso, wie es die Evolution/Gott es will. Bitte genieße jede deiner Zigarren und jede einzelne Mastrubationssession, trinke mit Genuss deinen Whiskey. Erfreue dich an deine Pornos. Der erste Schritt aus deiner Situation ist die Realisierung dass du nichts falsch gemacht hast und du mit dir liebevoll umgehst.
Ich wünsche dir alles Gute vom Herzen. Für weitere Infos melde dich bei mir oder recherchiere selbst nach, vor allem Entwicklungs- und Bindungstrauma. Bestimmt bist von den ganzen Infos geplättet, über eine Rückmeldung von dir würde ich mich dennoch sehr freuen.
Gruß