Negev schrieb:Beim impfen gehts auch vorran und der Sommer, der als Brücke dienen wird, ist auch nicht mehr weit weg. Bis nach dem Sommer, ist es doch schon sehr wahrscheinlich, das genügend ihren Impfschutz erhalten haben.
Ich sehe das leider nicht ganz so rosig. Dafür lohnt ein aktueller Blick nach UK, das uns erfahrungsgemäß stets ein paar Wochen voraus ist. Weiter oben wurde der starke Anstieg der indischen Variante bereits näher und substanziell erläutert. Epidemiologen in UK machen sich extreme Sorgen - und das bei einer Rate von um die 40% vollständig Geimpften - wir haben gerade mal um die 14% und lesen bzw. hören über "Sorge" in den Medien nichts.
Es gibt Hinweise auf eine erhöhte Impfflucht der Mutante, insbesondere was Erstgeimpfte betrifft, die zudem auf einen recht großen Anteil (bei uns ist er irreviel größer!) Ungeimpfter treffen wird, werden Lockerungen weiter vorangetrieben. Dieser ungeimpfte Teil sind v.a. Kinder, die erwiesenermaßen die Mediatoren für den Eintrag in die Familien/ Arbeitnehmer sind. Es ist also gut möglich - und das nicht erst im Herbst - dass es zu einer vierten Welle kommt, die unserer letzten in nichts nachsteht. Saisonalität spielt kaum eine Rolle, aber die Anzahl der Kontakte.
Spahn hat gestern angekündigt, Biontech für die Impfung von Kindern aufsparen zu wollen. Das wird er nicht ohne Grund gesagt haben - v.a. wenn man sich vor Augen hält, wie knapp derzeit Impfstoff noch immer ist. Ein Beispiel: Ich arbeite in der Klinik einer größeren Stadt und wurde vor 12 Wochen mit Astra geimpft. Jetzt steht die Zweitimpfung mit Biontech an. Die Dosen hierfür und für das Klinikpersonal konnten nicht zusätzlich gekauft werden, sondern wurden der aktuell berechtigten Prio 3 "entzogen", d.h.: einige dieser Berechtigten haben eine Absage ihrer Erstimpfung erhalten. Gleiches ist kürzlich passiert (wie in der Presse nachzulesen war), als es darum ging, die Zweitimpfungen voranzutreiben. Nun möchte Spahn wie gesagt die Kinder in die Impfreihe aufnehmen - das ist das richtige Vorgehen, angesichts der Mutante - ABER: es wird zur Folge haben, dass diese Mutation auch bei uns auf einen eklatant hohen Anteil nur Erst- und Nichtgeimpfter treffen wird - und das bereits in einigen Wochen. Uns rennt die Zeit davon.
Der Sommer wird uns - das ist meine persönliche Meinung - nur in einer Hinsicht als "Brücke" dienen: nämlich als Verbreitungsbrücke zwischen niedriger Inzidenzen und dem Auftakt in eine neue Welle - v.a. dann wenn Politik mit immer mehr Lockerungen und dem Credo kommt, die Pandemie sei schon so gut wie vorüber.
Meine o.g. Frage, die
@jaska zitiert hat, bezog sich nicht auf die aktuell niedrigeren Inzidenzen, sondern darauf, welche Schreckensszenarien nicht eingetreten sein sollen. In unserer Klinik lagen während der 3.Welle noch immer Patienten aus der Zweiten von Weihnachten. Es gab eine deutliche Verschiebung zu jungen Patienten (30-50), wir haben deutschlandweit eine Reihe asymptomatischer Patienten, die 6 Monate nach Infektion mit Schlaganfällen, Herzinsuffizienz und Embolien in die Klinik kommt. Wir haben Menschen mit Folgeschäden, für die es kaum Reha-Konzepte gibt, die selbige aber dringend benötigen. Wir haben in nur einer einzigen Welle um die 50.000 Tote gehabt - während Politik es nicht bzw. viel zu spät einsah, Eindämmung voranzutreiben. Wir haben eine Vielzahl "blutiger" Entlassungen gehabt, um Platz für Covid-Patienten zu haben und eine Vielzahl an Patienten, die 40, 50 oder 60 km weit zu einer anderen Klinik transportiert werden mussten, weil vor Ort kein Platz mehr war (und das war ein Dauerzustand). Wir haben Regionen gehabt, die mangels Fahrzeugen hierfür das THW anfordern mussten. Wir hatten Regionen, die Leichen auf THW-Plätzen lagern mussten, von der Situation an Krematorien hat sicher jeder gehört. Wir hatten und haben Kinder in den Kliniken mit schweren Verläufen, über die niemand spricht. Ich kann die Liste noch unendlich lang fortführen und frage mich, was landläufig als "Schreckensszenario" bezeichnet wird, während wir in Deutschland so ziemlich jedes erlebt haben.