Ich bitte alle, die es nicht interessiert, meinen Beitrag zu den "literarischen Einflüssen" einfach zu überspringen.
Ich habe mich ein paar Tage vom Strang ferngehalten, denn ich habe gelesen, gelesen, gelesen (und einige Filme geschaut). Ich habe versucht, in
JSs Gedankenwelt von 1984 einzutauchen. Ich habe für mich bereits entdeckt, wo er geistig "falsch abgebogen" ist und
welche Gedanken die Lunte entfacht haben. Leider kann ich in diesem Posting noch nicht alle Gedanken ausformulieren, es wird noch ein Posting in den nächsten Tagen folgen. Ich arbeite daran, meine Gedanken zu Papier zu bringen.
In seinem "Weihnachtsbrief" steht im Grunde alles drin, aber wenn man die von ihm genannten Bücher nicht gelesen hat, versteht man nicht, welche Sprengkraft darin lag.Ich weiß nicht, ob andere hier im Forum auch schon in die Bücher, die im Weihnachtsbrief genannt wurden, hineingeschaut haben?
(Die genannten Bücher habe ich alle gelesen, die Filme nur teilweise gesehen. Sorry, ich möchte nicht irgendwie "angeben", ich hoffe, es kommt nicht so rüber. Ich betrachte das Ganze für mich eher als geistige Schnitzeljagd und ich muss diesen ganzen JS-Case für mich zu einem geistigen Abschluss bringen. Ich bin zehn Jahre jünger als er und kann mich noch an die vielen Abende in meiner Teenager- und beginnenden Studenten-Zeit erinnern, an denen ich gelesen, gelesen und nochmal gelesen haben. Ich wollte eigentlich die Bücher nacheinander lesen, habe dann aber angefangen, "Humboldts Vermächtnis (600 Seiten, puuh) und die anderen wesentlich kürzeren Bücher parallel zu lesen, was dann dazu geführt hat, dass mein Kopf schwirrte (vermutlich so ähnlich wie bei JS), bis es plötzlich anfing zu "klicken" und seine geistige Argumentationskette für mich nachvollziehbar wurde.)
Ich bin einmal den Weihnachtsbrief durchgegangen und habe alle Quellen chronologisch aufgelistet, die er nennt:
10. Klasse Buch Joseph C. Pearce, Exploring the Crack in the Cosmic Egg (1971)
https://www.amazon.de/gp/product/B00FBM9IRS7.9. Film: Woody Allen: Annie Hall (Der Stadtneurotiker) von Woody Allen (1977)
https://www.videoload.de/film/der-stadtneurotiker/9208205928594679739Wikipedia: Der Stadtneurotiker7.9. Buch: Camus: Der Fremde (1942)
https://www.amazon.de/Fremde-Albert-Camus/dp/3499221896Wikipedia: Der Fremde21.12. Abreise aus Charlottesville, Flug nach Detroit
Buch Saul Bellow: Humboldt's Gift (1975)
https://www.amazon.de/gp/product/B00B2FLD62Buch: Kurt Vonnegut: Slaughterhouse-Five (1969)
https://www.amazon.de/gp/product/B000SEGHT6Wikipedia: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug27.12. Buch: liest immer noch Saul Bellow: Humboldt's Gift
(Film: The Hunger, 1983)
Wikipedia: Begierde (1983)02.01. Buch Beendigung von Humboldt’s Gift
(Film: The Cotton Club)
Wikipedia: Cotton Club (Film)03.01. (Film: Einer flog über das Kuckucksnest, 1975)
Wikipedia: Einer flog über das Kuckucksnest (Film)(Film Sophies Choice, 1982)
Wikipedia: Sophies Entscheidung Buch: Alan Watts: The Book on the Taboo against knowing who you are (1966)
https://www.amazon.de/gp/product/B006WB7K3607.01. Buch: Robert van Gulik: The Red Pavilion (1961)
https://www.amazon.de/gp/product/B004HO5M8K Wikipedia: The Red Pavilion08.01. Buch: erneutes Lesen von Alan Watts’ Buch
Buch: Benjamin Hoff: The Tao of Pooh (1982)
https://www.amazon.de/gp/product/B07S37RN7ZWikipedia: The Tao of Pooh10.01. Zeitungsartikel im Spiegel vom 07.01.1985
Artikel 1:
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13510726.html Artikel 2:
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13510734.html 14.01. Rückkehr nach Charlottesville
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Ich möchte erstmal einige
weniger wichtige kurze Gedanken teilen:
1.) Geständnis-Schnippsel aus “Red Pavilion”
2.) Motiv "Sex nach Beerdigung" aus Albert Camus' "Der Fremde"
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1.) Geständnis-Schnippsel aus “Red Pavilion”
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Das Buch "The Red Pavilion" hat JS am 07.01. gelesen [Weihnachtsbrief, S. 22].
Kurze Zusammenfassung des Buches von mir:
Das Buch “The Red Pavilion” spielt im alten China. Judge Dee (der “Ermittler” ) ist auf der Durchreise und übernachtet in einem “amusement resort” auf einer Insel (es handelt sich um eine Kombination aus Bordellen und Spieltischen) namens “Paradise Island”. Eigentlich sind keine Zimmer mehr frei, nur noch der “Rote Pavillon”, in dem aber vor kurzem ein Mord geschehen ist. Es stellt sich heraus, dass auch bereits vor 30 Jahren ein Mann namens Tao Kwang hier erstochen wurde. Außerdem stirbt während der Ermittlungen auch noch eine hochrangige Prostituierte namens Autumn Moon. Die drei Fälle hängen zusammen und werden von Judge Dee nacheinander aufgeklärt: Tao Kwan liebte vor 30 Jahren die Prostiuierte Green Jade, die wiederum Dr. Lee liebte. Dr. Lee tötete Tao Kwan, als dieser Dr. Lee und Green Jade inflagranti erwischte und täuschte danach während einer Lepra-Epidemie seinen Tod vor. Der junge Akademiker Lee Lin ist sein Sohn, aber er erstach sich selbst, weil er aufgrund von Beulen am Hals fürchtete, ebenfalls an Lepra erkrankt zu sein. Die Prostituierte Autumn Moon starb an einem Herzinfarkt, nachdem sie nackt auf Judge Dee gewartet hatte (damit er sie aus dem Bordell freikauft) und den Lepra-Kranken gesehen hatte. Der Direktor von “Paradise Island” Feng Dai wiederum hatte die Leiche des Akademikers gefunden und daraufhin den Tatort verändert. Der Akademiker hatte nämlich am Tag seiner Anreise versucht, die Tochter des Direktors zu vergewaltigen. Als der Direktor Feng Dai die Leiche fand, dachte er, seine Tochter Jade Ring hätte sich gerächt. Außerdem lebt auch Tao Kwans Sohn Tao Pan-te auf der Insel, der vor 30 Jahren im Alter von 10 Jahren Zeuge des Mordes an seinem Vater war, aber den Täter nicht erkennen konnte.
Puuh, es ist also alles ziemlich verworren. Ich habe mir die Story mehrmals durchgelesen und keine Parallelen gefunden außer einer: In der Beschreibung dieser ganzen Taten kamen mir einige “Keywords” irgendwie merkwürdig bekannt vor.
Feng Dai berichtet Judge Dee über die Leiche von Lee Lin:
“‘He cut his jugular vein with his own dagger.”
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 32/175]
Nach der ersten Untersuchung der Taten kommt Judge Dee zu einem vorläufigen Ergebnis, es wurde die “rechte jugular vein” durchgeschnitten:
”I see from the autopsy report appended thereto that the Academician killed himself by cutting his right jugular vein with his own dagger.”
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 93/175]
Tao Pan-te spricht über den Mord an seinem Vater:
"My father was lying slumped back in the armchair, in front of the bed, on the right. (...) I was staring in speechless horror at the blood that was covering my father's breast. I ran up to him, and saw that he was dead. A small dagger was stuck in the left side of his throat. (...) I rushed out of the room to find someone, but I stumbled in the corridor, my head must have hit the wall or a pillar."
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 101/175]
Jade Ring erzählt, wie sie ANGEBLICH den jungen Akademiker getötet hat (der sich in Wirklichkeit selber tötete, ihre Geschichte ist also ausgedacht):
“‘During our struggle the papers on the table had been pushed aside, now I saw his dagger lying there. I feigned to give up my resistance. When he let my arms go to loosen my sash, I took the dagger and warned him that I would kill him if he didn't leave off. He wanted to grab me again, I struck out wildly with the dagger. Suddenly blood was spouting from his neck. He sank back into his chair, uttering a horrible, rattling sound.
‘I was frantic. I ran home through the park and told my father everything.’”
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 151/175]
Judge Dee überlegt im Gespräch mit seinem Hauptmann Ma Joong, dass sich die Tat so nicht abgespielt haben kann:
“‘Not quite, Ma Joong. You have been in many a brawl. Tell me, do you think it likely that Jade Ring cut with a dagger in her right hand the right jugular vein other attacker?’
Ma Joong pursed his lips.
‘Likely, no. But not impossible, sir. When two persons are clinching with a drawn dagger in between, queer things happen, at times!’”
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 163/175]
Schließlich sagt Judge Dee dem Mädchen Jade Ring offen, dass er ihre Geschichte nicht glaubt:
“Your description of your struggle with the man wasn't very convincing either. If a strong man sees the girl he is assaulting grabbing a dagger, he'll of course try to wrest that weapon from her and not go on embracing her, dagger and all. And you forgot also that it was the right jugular vein that was cut. That points to suicide rather than to murder. But, apart from those slips, you made up a nice story, I must say!’”
[Quelle: Robert van Gulik, The Red Pavilion, S. 175/175]
Und nun noch einmal im Vergleich das angebliche Geständnis, das, das er in “Mortal Thoughts” niedergeschrieben hat. Ich habe das Keywort “jugular” leider in keiner anderen Quelle gefunden, aber ich denke, er wird vermutlich für sein Buch aus eigenen Unterlagen, die Englade nicht zugänglich waren, zitiert haben.
Das hier steht in "Mortal Thoughts", Kapitel 9:
“He pushed me back and I was slammed against dining room wall...Hit my head against the wall...Do not remember how many drinks I had before I tried to leave...I did not drink much...Did not hold my liquor well...After hitting wall, I pulled out my knife and cut Mr. Haysom across his throat... Across his jugular vein...He grabbed his throat and yelled, 'God, you must be crazy, man!' Blood
rushed out of his throat...I froze… Just wanted to get out of there...Heard Mrs. Haysom screaming...She was coming at me with a knife...Waving it at me... Got knife away from her...Grabbed her and held her as a shield...Mr. Haysom got up
from his chair and came at me...Used Mrs. Haysom as a shield...My glasses were knocked off in this fight...Slashed Mrs. Haysom across throat...She went towards kitchen...Mr. Haysom hit me in the head...Don't remember any more...”
(Quelle:
http://web.archive.org/web/20050910181901/http://lucy.ukc.ac.uk:80/Soering/chapter09.html#138)
Ich sehe hier gewisse Parallelen:
a) Erst einmal die Sachem mit der
“jugular vein” = Ich habe mir anatomische Bilder angeschaut und festgestellt, dass es keine einzelne “jugular vein” gibt, sondern mehrere “jugular veins”, nämlich auf jeder Seite des Halses eine innere und eine äußere, siehe Wikipedia:
Wikipedia: Vena jugularis externaIch weiß nun nicht, ob JS anatomische Kenntnisse hatte, aber wenn mich jemand fragen würde, dann würde ich die Namen der Venen nicht kennen, die ich angeblich durchgeschnitten habe.
(Ich bin keine Medizinerin, aber ich glaube, dass man blutführende Arterien durchschneiden muss anstatt von Venen, oder? Im Geständnis vor Dr. Frieser ist auf S. 18 dann nämlich auch von der Hauptarterie die Rede.)
b) Ich sehe hier die Idee, dass man falsche Details in ein angebliches Geständnis einwebt. (Aufgrund derer ein schlauer Detektiv später die Wahrheit erkennt.) JS betont immer wieder, dass es im Esszimmer keine passende Wand gibt und dass er die Lage der Leichen falsch bezeichnet hat. Ich vermute, er hat durch dieses Buch vielleicht bereits die Idee bekommen, dass er besser in ein Geständnis ein paar falsche Behauptungen reinschmuggelt (was aber durch gleichzeitig offenbartes Täterwissen später irrelevant war).
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2. Sex-nach-Beerdigung aus “Der Fremde”
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JS hat sich intensiv mit dem Thema “Absurdismus” auseinandergesetzt. Er erwähnt immer wieder “den absurden Mensch” [siehe z.B. Weihnachtsbrief, S. 9] von Albert Camus, siehe hier:
Wikipedia: Absurdismus)
Der “absurde Mensch” hat drei Optionen, sein Leben zu leben
- Selbstmord, wenn er die Sinnlosigkeit seines Lebens erkennt, diese Option verwirft JS für sich [Weihnachtsbrief, S. 18]
- Flüchten in Vorstellungen von Gott, diese Vorstellung hat JS für sich bereits lange verworfen [Weihnachtsbrief, S. 15]
- die Annahme der Sinnlosigkeit des Lebens
Unter diesem Aspekt erläutert JS für sich verschiedene Optionen, das “absurde Leben” zu leben, nämlich:
- Ausleben sexueller Wünsche auf einer Insel [Weihnachtsbrief, S. 18]
- Ergeben in das kapitalistische Leben in einem Vorort-Reihenhaus [Weihnachtsbrief, S. 18]
- Flüchten in die Kunst (dabei aber ewig unglücklich sein müssen wie Woody Allen, um aus Neurosen Kunst machen zu können) [Weihnachtsbrief, S. 35 und S. 6, S. 8, S. 14]
Kurzum, JS hat sich intensiv mit dem Thema “Absurdismus” beschäftigt und sicherlich auch mit EH darüber gesprochen. Eines der Hauptwerke von Albert Camus ist “Der Fremde”, das JS definitiv ebenfalls gelesen hat; er schreibt in seinem Weihnachtsbrief-Appendix:
“Woody Allen attitude as well as a Buddhist, peaceful attitude which, by the way, resembles "the guys" attitude in the Stranger, maybe.“
(Quelle: Weihnachtsbrief, S. 37). Das Buch hat nur 94 Seiten, man kann es also schnell weglesen:
https://machtderpolitentscheidung.files.wordpress.com/2014/01/albert-camus-der-fremde.pdf (wer nicht lesen mag, kann sich auch Youtube-Videos mit Playmobil-Figuren anschauen).
Kurze Zusammenfassung von mir:
Das Buch besteht aus zwei Teilen. Ein junger Mann namens Meursault reist zur Beerdigung seiner Mutter. Sowohl ihr Tod als auch die Totenwache und die Beerdigung lassen ihn merkwürdig kalt. Am nächsten Tag lernt er eine Frau namens Marie kennen und die beiden beginnen eine Affäre. Als ihn Marie fragt, ob er sie heiraten will, sagt er, dass es ihm egal ist. In der Wohnung über ihm wohnt der Zuhälter Raymond, der seine Freundin (eine Araberin) misshandelt. (Mersault schreibt für Raymond einen Brief, um die Frau zurück in die Wohnung zu locken und sagt später bei der Polizei zugunsten von Raymond aus, dass die Freundin untreu war.) Als Raymond, Mersault und Marie an den Strand fahren, treffen sie dort auf eine Gruppe von Arabern. Zuerst kommt es nur zu einem Handgemenge, aber als Mersault später noch einmal alleine an den Strand geht, erschießt er einen der Araber mit der Waffe von Raymond. Die Gründe sind unklar.
Im zweiten Teil wird Mersault vor Gericht gestellt. Der Verteidiger versucht, für Mersault Gründe für seine Tat zu finden (es war heiß, die Sonne hat ihn geblendet, etc.), während der Staatsanwalt insbesondere die Tatsache, dass Mersault
nach der Beerdigung seiner Mutter Sex mit Marie hatte als Begründung für sein
gewissenloses Wesen heranzieht. Mersault kann sich nicht wirklich verteidigen (und will es auch nicht wirklich) und wird am Ende zum Tode durch die Guillotine (--> da musste ich spontan an “A tale of two cities” denken, wo Sydney Carton ebenfalls unter der Guillotine stirbt) verurteilt. Mersault nimmt das so hin, er hätte zwar auch gerne in Freiheit weiter gelebt, aber nun richtet er sich einfach in seiner Gefängniszelle ein und akzeptiert sein Schicksal. (Ich mag im 2. Teil keine weiteren Parallelen ziehen, für mich persönlich weicht JSs Verhalten nach dem Geständnis absolut von der “Gefühllosigkeit” von Mersault ab, vielleicht mag sich noch jemand Gedanken dazu machen.)
Mir ist nur aufgefallen, wie im Buch aus der Tatsache, dass Mersault am Tag nach der Beerdigung seiner Mutter Sex hatte, vom Staatsanwalt die Schlussfolgerung gezogen wurde, er müsste auch ein gefühlloser Mörder sein. Ich zitiere aus dem Buch:
"Der Staatsanwalt, der in seinen Akten blätterte, fragte sie plötzlich, seit wann wir miteinander befreundet seien. Sie nannte das Datum. Der Staatsanwalt stellte mit gleichgültigem Gesicht fest, das sei doch wohl der Tag nach Mamas Tod. Dann sagte er ziemlich ironisch, er möchte bei den delikaten Dingen nicht länger verweilen und verstehe durchaus Marias Skrupel, aber (hier wurde seine Stimme härter) es sei seine Pflicht, sich über alle Schicklichkeit hinwegzusetzen. Er forderte also Maria auf, den Tag, an dem ich sie kennenlernte, genau zu schildern. Maria wollte nicht sprechen, aber der Staatsanwalt drang derart in sie, daß sie schließlich über unser Bad, den Besuch im Kino und die Heimkehr zu mir berichtete. Der Staatsanwalt bemerkte, er habe auf Grund von Marias Aussagen vor dem Untersuchungsrichter die Kinoprogramme an dem fraglichen Tag durchgesehen. Er fügte hinzu, Maria solle nun selber sagen, welchen Film wir damals gesehen haben. Fast tonlos verriet sie, es sei ein Film mit Fernandel gewesen. Als sie mit ihrer Aussage fertig war, herrschte tiefe Stille im Saal. Sehr ernst erhob sich jetzt der Staatsanwalt, und mit einer Stimme, in der ich echte Erregung spürte, sagte er, wobei er mit dem
Finger auf mich zeigte, langsam und deutlich: «Meine Herren Geschworenen, am Tage nach dem Tod seiner Mutter ging dieser Mann zum Baden, fing eine Liebschaft an und lachte im Kino über einen lustigen Film. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.» Er setzte sich, im Saal herrschte immer noch tiefe Stille."
[Quelle: Albert Camus, Der Fremde, S. 71]
und
“Der Staatsanwalt wandte sich dann den Geschworenen zu und erklärte: «Derselbe Mann, der sich am Tag nach dem Tod seiner Mutter der gemeinsten Ausschweifung hingab, hat aus nichtigen Gründen, nur um eine unqualifizierbare Schweinerei zu liquidieren, getötet.» Dann setzte er sich. Aber mein Anwalt, der mit seiner Geduld am Ende war, rief mit erhobenen Armen, wobei die Ärmel seiner Robe verrutschten und die Falten seines gestärkten Hemdes sichtbar wurden: «Klagt man den Mann an, seine Mutter beerdigt oder einen Mann umgebracht zu haben?» Das Publikum lachte. Aber der Staatsanwalt erhob sich wieder, raffte seine Robe zusammen und erklärte, man müsse schon so harmlos wie der Herr Verteidiger sein, um nicht zu fühlen, daß zwischen diesen beiden Tatsachen eine tiefe, wesentliche Beziehung bestehe. «Ja», schrie er, «ich klage diesen Mann an, mit dem Herzen eines Verbrechers seine Mutter beerdigt zu haben.» Diese Worte schienen auf die Zuhörer tiefen Eindruck zu machen.”
[Quelle: Albert Camus, Der Fremde, S. 73]
Und wenn man sich die Videos von der Verhandlung ansieht, dann sieht man, dass auch im Jahr 1990 die Zuschauer völlig schockiert waren und die gleichen Schlüsse gezogen haben wie die fiktiven Geschworenen in “Der Fremde”.
Sorry, ich muss jetzt erst einmal Schluss machen. Ich habe jetzt erst einmal diese (weniger wichtigen) Gedanken aus meinem Kopf verschriftlicht und kann diese erst einmal geistig "loslassen".
Es folgt in den nächsten Tagen noch ein Posting, wie meiner Meinung nach der Frust über die Sinnlosigkeit des Lebens (Absurdismus, Existenzialismus) + die große reingesteigerte "Liebe" zu Elizabeth + die Zen-Ideen aus
"Alan Watts: The Book on the Taboo against knowing who you are" + die Gedanken über Tao letztendlich die Lunte entzündet und zur Katastrophe geführt haben.