Spots im TV, »Krisenkommunikation« bei Facebook: Werbung der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ein Gespräch mit Inge Hannemann
INTERVIEW: SUSAN BONATHINGE HANNEMANN WAR FALLMANAGERIN IM JOBCENTER HAMBURG ALTONA. WEIL SIE DAS HARTZ-IV-SYSTEM ALS MENSCHENRECHTS- UND VERFASSUNGSWIDRIG ANPRANGERTE, IST SIE SEIT NEUN MONATEN FREIGESTELLT.
Manipulierte Statistiken, Hartz-IV-Geld, das in den Verwaltungsapparat umgeschichtet wird, Prämien für hart sanktionierende Jobcenterchefs – die Meldungen der vergangenen Monate ließen die Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht gut wegkommen. Offenbar unberührt davon, hat die Behörde jetzt eine neue Werbekampagne gestartet. Worum geht es?
Inge Hannemann: Mit ihrer Kampagne will die Bundesagentur vorrangig Jugendliche und Wiedereinsteiger, also meist junge Mütter nach der Erziehungspause, erreichen.
BA-Chef Frank-Jürgen Weise hatte ja zum Jahresende bereits angekündigt, neue Wege zu gehen. Anstatt sich endlich mehr um die Vermittlung von Erwerbslosen in gut bezahlte Arbeit zu kümmern, soll das Image der Behörde wieder einmal mit Werbung aufpoliert werden. Das Besondere ist dieses Mal die Breite der Kampagne. Erstmals tritt die BA im Fernsehen auf, was wohl Millionen verschlingt – und bei Facebook unter dem Motto »Das bringt mich weiter«.
Bei Facebook kann jeder Nutzer seinen Kommentar abgeben …
Inge Hannemann: In der Tat, und diese Kommentare hagelt es bereits. Ich glaube, die BA hat die Situation falsch eingeschätzt, wohl deshalb löscht sie mittlerweile viele kritische Kommentare, obwohl diese keineswegs beleidigend sind.
Ich denke, das ist eine Gelegenheit für Betroffene, ihre Kritik am System an die richtige Adresse zu bringen. Um einiges zu nennen: Vermittlung in Niedriglohnjobs; Erpressung durch Sanktionen wie Kürzung der Grundsicherung; Verweigerung von Kostenübernahmen, wodurch oft Bildungswege von Jugendlichen behindert werden. Wir wollen auch dagegenhalten, dass die Behörde mit der Unwissenheit ihrer jungen Zielgruppe spielt.
Was sind die häufigsten Kritiken?
Inge Hannemann: Sehr oft geht es um Schikanen, aber auch um fehlende Beratung, um unsinnige Maßnahmen. Angeprangert wird ferner, dass Qualifizierungen häufig aus Kostengründen abgelehnt werden. Deshalb rate ich dazu, Ausbildungen bis spätestens März zu beantragen. In diesem Jahr hat die Bundesregierung 600 Millionen Euro mehr für »Integration« veranschlagt, insgesamt 3,1 Milliarden.
BA-Chef Weise will durch seine »neuen Wege« auch die Zahl der Arbeitslosen auf 1,5 Millionen halbieren. Was halten Sie davon?
Inge Hannemann: Durch die fortschreitende Automatisierung werden Vollzeitarbeitsplätze logischerweise nicht mehr, sondern eher weniger. Also kann es nur funktionieren, wenn noch mehr Menschen in »Maßnahmen« oder Ein-Euro-Jobs gedrückt werden. Ich fürchte, daß unbezahlte Bürgerarbeit eingeführt wird, dass also Erwerbslose gezwungen werden, für Hartz IV zu arbeiten – das sogenannte Workfare-Prinzip. Eventuell schicken sie auch mehr Schülern aus Bedarfsgemeinschaften Arbeitsangebote, etwa Zeitungaustragen. Das wäre nur okay, solange es freiwillig bleibt.
Schülern?
Inge Hannemann: Ja, das passiert schon jetzt. Wir in Hamburg wurden immer wieder aufgefordert, über 15jährigen Schülern Nebenjobs anzubieten, damit sie ihre Eltern unterstützen. Zudem vermute ich, dass die Bundeswehr größeren Spielraum zum Werben bekommt. Noch können Jugendliche nicht zwangsrekrutiert werden. Aber Einladungen zu Berufsmessen, wo das Militär wirbt, dürfen sie nicht ablehnen.
Was halten Sie davon, dass Jobcenter Hartz-IV-Bezieher mit 63 Jahren in Zwangsrente schicken?
Inge Hannemann: Das ist eine Katastrophe! 2013 betraf dies bereits rund 28.000 Menschen. In diesem Jahr wird schon mit 65.000 und im kommenden Jahr mit 75.000 Betroffenen gerechnet. Das bedeutet hohe finanzielle Einbußen für die Menschen, und zwar für den Rest ihres Lebens. In meinen Augen ist das ein rechtswidriger Zugriff auf ihr Privatvermögen, das sie sich jahrelang erarbeitet haben. Es liegen schon mehrere Klagen vor.
Wie geht es mit Ihrer eigenen Klage gegen Ihre Freistellung vom Dienst weiter?
Inge Hannemann: Die nächste Verhandlung findet am 28. Februar vor dem Arbeitsgericht Hamburg statt. Ich bin überzeugt, dass ich nicht an meinen alten Arbeitsplatz zurückkehren werde. Entlassen will mich die Stadt Hamburg, bei der ich angestellt bin, aber nicht. Zuletzt habe ich ein Arbeitsangebot in der Jugendhilfe – Bearbeiten von Anträgen – bekommen. Es ist alles offen. [1]
http://karteikarte.wordpress.com/2014/01/13/ich-furchte-dass-unbezahlte-burgerarbeit-eingefuhrt-wird/ (Archiv-Version vom 26.04.2014)-----------------------------------------------------------------------------------------------------------
Workfare-PrinzipDer Begriff Workfare ist in Anlehnung an Welfare (engl. Wohlfahrt) entstanden und bezeichnet ein arbeitsmarktpolitisches Konzept, welches staatliche Transferleistungen mit einer Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme verknüpft. Das in den Vereinigten Staaten in den 1990 Jahren entstandene Modell zielt darauf ab, ohne zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen „möglichst viele Transferbezieher dazu zu bringen, eine unsubventionierte Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt anzunehmen“[1] und unterscheidet sich somit von anderen Konzepten wie dem ursprünglichen Verständnis von Bürgerarbeit.[2]
Workfare sind Aktivierungsmaßnahmen, die vor allem darauf abzielen, die Arbeitssuche und -aufnahme durch verbindliche Absprachen und durch Androhungen von Sanktionen zu erhöhen. Folgende drei Merkmale sind bestimmend:[3]
Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme am Workfare-Konzept mit Auswirkungen auf die Rechte der Betroffenen: Eine Verweigerung zieht das Risiko der Verminderung oder Streichung von Sozialleistungen nach sich. Darin verdeutlicht sich zugleich die implizite Annahme des Konzepts, der Grund für Arbeitslosigkeit liege nicht primär in einem Fehlen an Arbeitsplätzen, sondern am Mangel an Motivation und Anstrengung bei den Betroffenen.
Der Schwerpunkt von Workfare liegt auf der Aufnahme von Arbeit und weniger auf Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen oder sonstigen Formen der Aktivierung. Ob dabei als Ziel die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt oder der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit relevant ist, wird dabei zunächst offengelassen.
Workfare ist entweder eine Bedingung zum Erhalt von Sozialleistungen, oder aber es stellt (z.B. durch eine Lohnzahlung) einen adäquaten Ersatz für diese bereit. Voraussetzung zur Teilnahme ist wie bei Sozialleistungen eine individuelle Bedürftigkeit der Betroffenen (vgl. Koch u.a., 2005).
Wikipedia: Workfare------------------------------------------------------------------------------------
ein amerikanisches sytem ,wer meint "Fordern und Fördern" wäre eine deutsche erfindung der muss entäuscht sein ,oder ?
:o)