Charles Bukowski - Das Schlimmste kommt nochDie autobiographisch angelehnte Geschichte Hank Chinaskis bis zu seinem 21. Lebensjahr am Tag des Angriffs Japans auf Pearl Harbor. Wie Bukowski ist Hank in Deutschland geboren und wächst in einer Unterschichtsfamilie in Los Angeles auf. Der Vater wird zur Zeit der Wirtschaftskrise arbeitslos.
Hank ist ein eher hässliches Kind und wird von seinem Vater regelmäßig wegen Nichtigkeiten mit einem Ledergürtel ausgepeitscht. Seine Fluchtwelt wird die Literatur und später in der High School wie im College zusätzlich noch Alkohol und Gewalt.
Physisch ist er benachteiligt: ungeschickt im Sport und während der Pubertät von extremer Akne geplagt, wegen der er sogar für ein Jahr von der Schule genommen wird. Bezüglich Bildung und Arbeitswelt ist er antriebslos, schafft aber dennoch den High-School-Abschluss. Den Berufseinstieg in eine Handelskette verbockt er mit einer Schlägerei, womit er ans College geht, um Journalismus zu studieren. Dieses Studium bricht er jedoch ab, nachdem er von seinem Vater rausgeschmissen worden ist, als dieser die Kurzgeschichten Hanks entdeckt und gelesen hat.
Nun verfällt er immer mehr dem Alkohol, demoliert im Rausch ein angemietetes Zimmer und am Ende ist ein Automatenboxkampf mit einem mexikanischen Kind eine Metapher für sein Leben: selbst ein Einarmiger kann ihn umnieten.
In diesem Text wird ein sehr reduziertes Weltbild vermittelt, und Hank steht dem Leben mit einem zynischen Nihilismus gegenüber, welches sich in zum Teil atemberaubend guten Dialogen äußert. Dennoch bleibt eigentlich eine kurze Passage einer Reflexion an einem Fluss, welche diesen Nihilismus am besten ausdrückt:
Tausende von Fischen waren da draußen und fraßen sich gegenseitig auf. Mäuler, die schluckten. Und Ärsche, die es wieder ausschieden. Die ganze Welt bestand aus nichts als Mäulern und Ärschen. Aus Fressen und Ausscheiden. Und Ficken.
Diese Weltsicht greift er am Ende wieder auf, als er zum ersten Mal in die Welt der Obdachlosen eintaucht und "Penner" wie Menschen der "normalen" Welt miteinander vergleicht und zum Schluss kommt, dass beide Welten für ihn nicht erstrebenswert sind und er am liebsten eigentlich alleine ist.
Interessant ist das Bekenntnis, dass er in den späten 30er Jahren am College offen für Hitler und den Nationalsozialismus eingetreten ist, einerseits wegen eines allgemeinen Deutschenhasses, dem er sich nicht anschließen will und kann, andererseits wegen des Selektionsgedankens.
Die Verantwortung für seine Pro-Nazi-Einstellung schiebt er auf Dritte ab, die ihn mehr oder weniger nicht haben anders handeln lassen können, obwohl er eigentlich gar kein Überzeugungsnazi gewesen sei und sich nur einen Spaß habe machen wollen. Ich sehe das nicht ganz so verniedlichend, aber jeder kann sich ein Bild machen, hier die Passage:
Der Krieg in Europa lief ausgezeichnet - für Hitler. Die meisten Studenten hatten keine besondere Meinung dazu. Im Gegensatz zu den Dozenten, die fast durchweg linksorientiert und deutschfeindlich waren. Einen rechten Flügel schien es beim Lehrkörper nicht zu geben, bis auf Mr. Glasgow in Wirtschaftslehre, doch der hielt sich sehr zurück.
Unter Intellektuellen galt es als populär und selbstverständlich, für einen Kriegseintritt gegen Deutschland zu sein, um den Faschismus einzudämmen. Mich dagegen reizte es überhaupt nicht, in einen Krieg zu ziehen, um das Leben zu verteidigen, das ich hier führte, oder die trübe Zukunft, die mir wahrscheinlich bevorstand. Ich hatte keine Freiheit. Ich hatte garnichts. Unter Hitler würde ich vielleicht ab und zu sogar etwas fürs Bett kriegen und mit mehr als einem Dollar Taschengeld in der Woche rechnen können. Soweit ich sehen konnte, hatte ich nichts, das sich zu verteidigen lohnte. Und da ich in Deutschland geboren war, empfand ich eine ganz natürliche Loyalität und konnte es nicht leiden, daß man alle Deutschen als Unholde und Idioten hinstellte. (In den Kinos ließ man Wochenschauberichte mit doppelter Geschwindigkeit laufen, so daß Hitler und Mussolini wie übergeschnappte Irre herumhüpften). Außerdem fand ich es undenkbar, mich der Haltung meiner deutschfeindlichen Dozenten einfach anzuschließen. Aus innerer Abneigung und purem Trotz beschloß ich, ihnen Kontra zu geben. ‚Mein Kampf’ hatte ich nie gelesen, und ich hatte auch keine Lust dazu. Hitler war für mich ein Diktator wie jeder andere, nur daß er mir statt einer Standpauke beim Abendessen vermutlich den Schädel oder die Eier weggepustet hätte, falls ich gegen ihn in den Krieg zog.
Wenn sich die Dozenten endlos über das Unheil des Faschismus und die bösen Nazis verbreiteten (wir mußten „nazi“ immer mit einem kleinen „n“ schreiben, sogar am Anfang eines Satzes), sprang ich manchmal auf und ließ irgendwelche Sprüche los:
„Das Überleben der menschlichen Rasse hängt ab von selektivem Verantwortungsbewußtsein!“ Was heißen sollte: Paß auf, mit wem du ins Bett gehst. Aber das wußte nur ich. Es machte wirklich alle stocksauer. Ich hatte keine Ahnung, wie ich auf all dieses Zeug kam.
„Demokratie krankt unter anderem daran, daß lauter Durchschnittsbürger eine durchschnittliche Figur zum Präsidenten wählen, und der sorgt dann dafür, daß es bei uns vollends öde und apathisch und durchschnittlich zugeht!“
Ich vermied jede direkte Anspielung auf Juden und Schwarze, denn die hatten mir nie Ärger gemacht. Meine Schwierigkeiten waren immer von weißen Nichtjuden ausgegangen. Ich war also kein Nazi aus Veranlagung oder eigenem Entschluß, sondern die Lehrer zwangen es mir mehr oder weniger auf, weil sie sich alle so sehr glichen und dasselbe dachten und stur antideutsch eingestellt waren. Hinzu kam, daß ich irgendwo gelesen hatte, man könne um so wirkungsvoller agieren, je weniger man von einer Sache verstand oder daran glaubte. In der Beziehung war ich gegenüber meinen Lehrern entscheidend im Vorteil.
„Wenn man einen Ackergaul mit einem Rennpferd kreuzt, kommt etwas heraus, was weder schnell noch stark ist. Eine neue Herrenrasse wird nur durch gezielte Züchtung entstehen!“
„Es gibt keine guten oder schlechten Kriege. Das einzig Schlechte an einem Krieg ist, wenn man ihn verliert. In allen Kriegen haben beide Seiten für eine sogenannte ‚gute Sache’ gekämpft. Aber nur die Sache des Siegers steht dann vor der Geschichte als gerecht und nobel da. Es kommt nicht darauf an, wer recht oder unrecht hat. Das einzig Entscheidende ist, wer die besten Generäle und die bessere Armee hat!“
Es machte mir großen Spaß. Ich konnte vom Stapel lassen, was mir gerade einfiel.
Mitstudenten jedenfalls haben ihm ihre Sympathie für den Nationalsozialismus bekundet und ihn sogar zu einem Treffen einer Gruppe namens "Amerika für Amerikaner" eingeladen. Das hat aber - wie immer - wegen seiner Probleme mit Sozialkontakten nicht geklappt, das Treffen hat in Saufen und einer Schlägerei geendet.
Auch aus dieser ideologischen Perspektive ist es interessant, dass das Buch mit Pearl Harbor abschließt und die antijapanische Kriegsbegeisterung mit kühler Distanz eines Einzelgängers beobachtet wird:
Jetzt waren sie aufgescheucht. Die Horde war in Gefahr.
Auch wenn vor allem die Dialoge streckenweise sehr treffend gestaltet sind, habe ich doch so meine Probleme mit einem Text, der die menschliche Existenz auf körperliche Grundfunktionen reduziert. Umso mehr, als dies sein Spiel zu sein scheint, denn Hank liest während seiner Jugendzeit praktisch die komplette Weltliteratur, welche er in der Stadtteilbibliothek vorfinden kann. Dies jedoch besteht im Roman nur aus "Namedropping". Und mehrfach wird betont, dass Gespräche über Literatur langweilig sind.
Vielleicht bedient Bukowski halt auch sein eigenes, sich gut verkaufendes Klischee, und dass der einzige, dem Hank Respekt zollt, ein gewisser Becker ist, den er für den besten unveröffentlichten Autor Amerikas hält, geht halt nebenbei mit. 35 Jahre nach Erscheinen ist
Ham on Rye, wie der Roman im Original in Anlehnung an Salinger genannt wurde, etwas abgegriffen und hinterlässt einen nahezu schon primitiv zu bezeichnenden Eindruck.