Holzfällen. Eine Erregung von Thomas Bernhard
Der Erzähler sitzt bei einem künstlerischen Abendessen der Eheleute Auersberger. Bei ihnen hatte er vor dreißig Jahren gelebt. Am selben Tag war das Begräbnis der Joana, einer Bekannten. Sie hatte sich umgebracht. Nun sitzt die ganze Gesellschaft nach dreißig Jahren wieder am Tisch zusammen und sie kommen gerade vom Begräbnis. Der Erzähler lässt sich in einem 200 Seiten langen Monolog über die Anwesenden aus. Was aus ihnen geworden ist, ekelt ihn an:
Und beide, die Jeannie Billroth wie die Anna Schreker, haben aufeinmal Anfang der Sechzigerjahre diesen ihren literarischen Wahnsinn und diese ihre literarischen Krankheiten, die damals in den Fünfzigerjahren wahrscheinlich ein ganz und gar echter Wahnsinn und ganz und gar echte Krankheiten gewesen waren, urplötzlich zur Pose, zur literarischen Zweck-Pose, zur literarischen Mehrzweck-Pose für gebefreudige Politiker gemacht und haben mehr oder weniger skrupellos über Nacht die Literatur in sich umgebracht für ihre absolut niederträchtigen Staatspfründerexistenzen.
Und das Unappetitlichste an dem Auersberger war doch, so dachte ich jetzt auf dem Ohrensessel, daß er, der offiziell Auersberger heißt und für mich selbstverständlich auch immer nur Auersberger geheißen hat, sich in einem Anfall von Gesellschaftsgrößenwahnsinn aufeinmal, anstatt Auersberger, Auersberg genannt hat, indem er in dem Augenblick, in welchem er in der Gentzgasse an seine landadelige, spätere Ehefrau, damalige Zimmervermieterin, wie ich weiß, gekommen war, den Schwanz und also die letzte Silbe seines Familiennamens einfach abgehackt und sich, anstatt Auersberger, von da an nur mehr noch Auersberg genannt hat, um wenigstens in den Geruch eines jahrhundertealten, österreichischen Fürstengeschlechts zu kommen.
[Über die Auersberger:]
Kaum hatte ich sie in ihren abgeschmackten Kleidern gesehen, sie in ihrem steiermärkischen Blaudruckdirndl, ihn in seiner steiermärkischen Leinenjoppe, war mir übel geworden, denn ich hatte sofort gewußt, daß sich die beiden nicht geändert haben in der Zwischenzeit, daß die letzten zwanzig Jahre, die so Ungeheuerliches über und in die Welt gebracht haben, an den Eheleuten Auersberger tatsächlich spurlos vorübergegangen sind.
[Über die Joana:]
Die Joana ist immer ein Unglückskind gewesen, sagte er, dachte ich im Ohrenseesel, mehrere Male hatte der John diesen Satz gesagt, das empfand ich nicht so, denn ich kannte die Joana auch als glücklichen Menschen, jedenfalls war sie in den Fünfzigerjahren glücklich, dachte ich, auch noch bis in die Mitte der Sechzigerjahre, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in welchem sie von ihrem Fritz, dem Tapisseriekünstler, verlassen worden ist. Da war das Unglück über sie hereingebrochen, dachte ich.
Manchmal ist das Buch etwas inhaltslos aber durch die rastlose Erzählweise von Bernhard bleibt es dennoch immer irgendwie lesbar und es vermittelt einen guten Einblick in die psychosoziale Situation des gutbürgerlichen Künstlertums. Als das Buch damals erschien, löste es einen großen Skandal aus, denn manche Leute erkannten sich in dem Roman wieder (Auersberger hieß in Wahrheit Lamprechtsberger, bei welchem Bernhard in den Fünfzigern lebte) und verklagten Bernhard.