Hans Herbert Grimm - SchlumpEin furioser Weltkriegsroman aus dem Jahr 1928, der Grimm wohl sehr am Herzen lag, aber sich nicht getraute mit seinem Namen zu veröffentlichen. So wurde er vom ziemlich gleichzeitig veröffentlichten Roman
Im Westen nichts Neues von Remarque überschattet.
Emil Schulz, dessen Spitzname Schlump ist, zieht als 17-jähriger Schneiderlehrling in den Krieg und landet zunächst mal in der Etappe. Er wird Gemeindevorsteher in einem kleinen französischen Ort, flirtet mit den französischen Mädchen und kümmert sich um Kleinigkeiten wie einen Nachttopf für eine inhaftierte junge Frau. Der Krieg ist weit weg und manchmal wie ein Donnergrollen zu hören.
Als er an die Front versetzt wird, sieht er zunächst die Massengräber und Stacheldrahtverhaue und wird schließlich in das bittere Schützengrabenleben versetzt. Schritt für Schritt wird das Leben des jungen, fröhlichen Schlump immer mehr Brutalitäten ausgesetzt. Hunger (an der Front und zu Hause in Thüringen), Dreck, Läuse, Hitze, Kälte, Beschuss, Angriffe. Er sieht immer mehr Kameraden sterben, er sieht das Grauen der Bauchschüsse, abgesprengte Schädel mit Hirn und seinen Freund Michael, der zwischen sich und einen scheinbar betrunkenen Engländer bei einem Angriff in deren Schützengraben eine Handgranate steckt, die beide tötet.
Nach einer Schulterverletzung wird er operiert - die Traumsequenz während der Narkose ist grandios! - und kommt zu seiner Mutter zurück in ein darbendes Thüringen (sein Vater arbeitete in einer Fabrik und ist verhungert!) auf Rekonvaleszenz. Schließlich ist er wieder kriegstauglich, aber nicht für die Front.
Schlump wird im Grenzgebiet zwischen Belgien und Frankreich eingesetzt, lernt nun kennen, dass sich in der Etappe gute Geschäfte machen lassen (mit Falschgeld, Alkohol, Zigaretten, Essen, sogar Heeresversorgungsmaterial) und sich mit dem Geld gut leben lässt - Essen, Trinken, Mädchen. Seine Tätigkeiten in einem Zollamt wie in einer Wechselstube sind sehr einträglich und es finden sich immer Kameraden, mit denen sich was schieben bzw. Spaß haben lässt.
Das Kriegsende zeichnet sich ab, als riesige Horden von Soldaten aus dem Süden kommen, Gerüchte von der Flucht des Kaisers nach Holland kursieren. Einfache Soldaten leben ihren unbändigen Hass gegen Offiziere wie "Etappenschweine" aus, in einem Theater wird ein Feldgendarm vom Balkon geworfen, der sich dabei das Genick bricht. Ohne jegliche Folgen für die Mörder.
Schließlich wird der Waffenstillstand verkündet, Hindenburg ruft die Soldaten auf, Räte zu bilden, denen unbedingt zu folgen sei, damit der Rückzug geordnet von statten gehen kann. Auf Offiziere hört eh niemand mehr bzw. diese haben sich schon längst mit ihrem Kriegsgewinn abgesetzt.
Schlump gelangt schließlich mit den Rückzugszügen in seine Heimatstadt zurück, die durch Falschgeldtransaktionen illegal erworbenen Reichsmarkscheine, die in seiner Jacke eingenäht sind, verliert er, als er seine alte, dreckige, verlauste Jacke gegen eine neuere eintauscht - er hat schlichtweg auf das Geld vergessen. Zu Hause findet er zu seiner großen Liebe Johanna zurück. Damit endet der Roman.
Ist es ein Schelmenroman (Schlump ist oft sehr naiv)? Ist es ein Antikriegsroman (Schlump ist ein viellesender Humanist wie auch ein Speise, Trank und Mädchen auskostender Hedonist)? Sind es die kurzen, aber intensiven Passagen der Brutalität, die diesen Roman auszeichnen? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist er in einem hohen Tempo erzählt und nach 90 Jahren immer noch in keinster Weise mit einer Patina versehen.
Schlump könnte die Erzählung eines jungen Mannes aus unserer Zeit sein, der in eine fremde, brutale Kriegswelt geworfen wird.
Grimm selbst promovierte nach dem Krieg und arbeitete als Lehrer in Altenburg. Sein anonym veröffentlichter Roman wurde im Mai 1933 in die Scheiterhaufen geworfen (wohl wegen Pazifismus und Zersetzung des Wehrwillens), selbst trat er aus Angst der NSDAP bei, der Bitte seiner Frau ins Exil zu gehen, kam er nicht nach. Im Zweiten Weltkrieg wurde er als Dolmetscher (Grimm unterrichtete Englisch, Französisch und Spanisch) eingesetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er in der sowjetisch besetzten Zone bzw. DDR Berufsverbot als Lehrer, obwohl seine Autorenschaft nun offiziell bestätigt und publik gemacht wurde. Zunächst arbeitete er in einer Sandgrube und schließlich als Dramaturg. Nach einer Besprechung mit kommunistischen Funktionären in Weimar nahm er sich das Leben. Die Hintergründe wurden nie bekannt.
Infos im
Spoiler
Hans Herbert Grimm - Foto von Kiepenheuer und Wietsch
Verlagsinfo:
https://www.kiwi-verlag.de/buch/schlump/978-3-462-04609-0/
Rezensionen:
https://www.kulturraumverdichtung.de/hans-herbert-grimm-schlump.html
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/nicht-nur-dumme-kommen-in-die-schuetzengraeben-hans-herrmann-grimm-grosser-weltkriegsroman-schlump-12910285.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
https://www.dw.com/de/schlump-eine-literarische-wiederentdeckung/a-17729754
https://www.fr.de/politik/brave-soldat-schlump-11064616.html
https://www.sueddeutsche.de/kultur/roman-schlump-ueber-ersten-weltkrieg-kuss-des-kriegers-1.1935579
https://www.deutschlandfunkkultur.de/erster-weltkrieg-schabernack-gegen-die-obrigkeit.950.de.html?dram:article_id=284917
https://www.wn.de/Welt/Kultur/Buch/2014/05/1567939-Literatur-Spaete-Wuerdigung-Der-Antikriegsroman-Schlump
https://www.otz.de/web/zgt/kultur/detail/-/specific/Vergessener-Antikriegsroman-von-1928-in-der-Hauswand-versteckt-1483026319
https://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/autoren/637107_Mit-einem-Buch-zum-Ruhm.html