Gioacchino Criaco - Schwarze SeelenRoher und ungeschönter Roman über drei kalabresische Hirtenjungen, die bereits als Gymnasiaten die örtliche Post ausrauben und mit diesem Geld eine Karriere als Drogenhändler und Auftragsmörder in Mailand beginnen.
Der Roman ist weder ein Krimi noch ein Thriller, sondern ein in Ich-Form geschriebenes Sozio- und Psychogramm.
Die Drei stammen aus den südkalabresischen Wäldern des Aspromonte, die ihre Kindheit als Ziegenhirten verbrachten und kennenlernten, dass ihre Väter zur finanziellen Aufbesserung Entführungen zur Lösegelderpressung durchzogen. Ihr einziges Lebensziel: Reichtum.
Das Irritierende an diesem Roman ist die Gefühlslosigkeit und völlig fehlende Empathie für Menschen außerhalb ihres Herkunftsgebiets (seien es die Entführungsopfer ["Schweine"], die Unmengen Mailänder Herointoten der 80er Jahre oder die Mordopfer).
Im Laufe des Romans kristallisiert sich die Ursache dieser fehlenden Empathie gegenüber Außenstehenden: als Kinder des Aspromonte sehen sie sich als Nachfahren des vorrömischen Volkes der Osker, die seit Jahrtausenden von Fremden unterdrückt wurden: den Griechen, den Etruskern, den Latinern, den Deutschen, den Franzosen, den Piemontesen und deren Staatsorganen, der Mafia.
Somit ist es für die Drei opportun, Kontakte zur Politik und zur Mafia zu nutzen, wenn es darum geht, Unmengen an Geld zu scheffeln, aber sobald sie, ihre Familie oder engsten Kumpanen aus dem Apromonte bedroht sind, werden die ehemaligen "Partner" rücksichtslos und brutalst aus dem Weg geräumt.
Am Ende werden die Drei und ihre engsten Mitstreiter, die etwa 40 Jahre alt sind, zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt, aber ihr Leben ist gemacht: die meisten haben Familie und das Geld aus den Mailänder Drogen-Deals ist in Sicherheit gebracht.
"Schwarze Seelen" bedeutet Menschen, die zum Verbrechen übergewechselt sind und diese Lebensform nicht mehr rückgängig machen können. Es gibt keinen Ausstieg, nur die Hoffnung, nicht zu sterben.
Ich lese in diesem Roman aber auch die schwarze Seele Robin Hoods.
Die Menschen im Aspromonte gehören zu den ärmsten Italiens, in den 50er Jahren wurden nach Überschwemmungen viele der Einwohner ausgesiedelt, und die männlichen Jugendlichen wurden das Proletariat der norditalienischen Industrialisierung bzw. der deutschen Wiederindustrialisierung in den 60er Jahren.
Die drei Hauptfiguren dieses Romans (hochintelligent und körperlich stark) wollten diesen Weg nicht einschlagen. Sie waren Gymnasiasten, als sie mit einem Postraub den Weg ins organisierte Verbrechen nahmen.
Gioacchino Criaco weiß, wovon er schreibt, und die Geschichte seiner Familie spiegelt die verschiedenen Lebensmöglichkeiten der Menschen aus dem Aspromonte: sein Vater wurde wegen einer Fehde ermordet, sein Bruder war einer der meistgesuchtesten Kriminellen Italiens und sitzt immer noch im Gefängnis, er selbst war zwei Jahrzehnte Rechtsanwalt und lebt nun als freischaffender Schriftsteller.
Eine sehr irritierende Lektüre, die ganz tief in die soziologische und psychologische Welt skrupelloser Verbrecher eindringt und deren Motivation ans Tageslicht bringt.
Einzigartig!
Weitere Infos im
Spoiler
Wikipedia: Aspromonte
Wikipedia: Osker
Der Autor:
Wikipedia: Gioacchino Criaco
Verlagsinfo:
http://www.folioverlag.com/info/belletristik/roman/de/978-3-85256-684-9 (Archiv-Version vom 30.04.2016)
Rezensionen:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/gioacchino-criacos-mafia-roman-schwarze-seelen-14095678.html
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gioacchino-criaco-schwarze-seelen-auf-dem-seziertisch.e9efeb6c-f7af-4914-865c-d779deab7707.html
http://www.swr.de/swr2/literatur/buch-der-woche/gioacchino-criaco-schwarze-seelen/-/id=8316184/did=17131472/nid=8316184/1vncyrt/index.html (Archiv-Version vom 30.04.2016)
http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/schwarze-seelen-von-giacchino-criaco-luigi-luciano-und-ich-ld.12267
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=58270 (Archiv-Version vom 11.04.2016) (Video mit Szenen aus der Verfilmung)