JosephConrad schrieb:Im aktuellen Fall habe ich mich gefragt, ob der Angeklagte seinem Anwalt wohl die Tat gestanden hat.
Ich kann mir schon bestimmte Fälle vorstellen, bei denen der Strafverteidiger in einen inneren Konflikt gerät: dann wenn der Angeklagte ihm die Tat gestanden vielleicht sogar den genauen Tatablauf geschildert hat, es sich gleichzeitig um eine besonders verabscheuungswürdige Tat handelt und es für die STA nur Indizien gibt.
Wenn der Verteidiger dann den Angeklagten aus Mangel an Beweisen freibekommt, so denke ich schon, dass der eine oder andere damit nicht klarkommt.
Vielleicht gibt es sogar Fälle wo ein Verteidiger sein Mandat vorher niederlegt oder den Tatablauf der STA durchsticht, weil er sonst damit nicht leben könnte.
Daher könnte ich mir vorstellen, dass bei manchen Taten der Verteidiger gar nicht wissen will, ob sein Mandant die Tat begangen hat oder nicht. Und das es von Vorteil ist wenn man moralische Bedenken ausblenden kann.
Jain. Der Reihe nach:
Ich persönlich will wissen was der Mandant gemacht hat und wie, denn nur so kann ich effektiv den Fall einschätzen, ihn beraten und ggf. verteidigen. Man hört immer wieder, dass Verteidiger nicht wissen wollen, ob der Mandant die Tat begangen hat. Ich kann das nicht nachvollziehen, da ich nicht im Dunklen tappen will. Natürlich heisst das nicht, dass Mandanten immer ehrlich zu mir sind, wobei ich ihnen klar sage, dass, wenn sie mich belügen, sie sich nicht beschweren können, wenn ich sie nicht effektiv verteidigen kann. Aber es kommt vor.
Kommt es zu einem Freispruch obwohl ich weiss, der Mandant hat die Tat verübt, ist das tatsächlich ein moralisches Dilemma. Allerdings bedeutet das, dass die Staatsanwaltschaft und Polizei eben nicht gut genug gearbeitet haben und dass unser System funktioniert. Lieber ein Schuldiger frei, als ein Unschuldiger im Gefängnis. Die Hürden müssen so hoch sein, wie sie sind.
Ich hatte einmal einen Mandanten, da kam es so. Und nach der Verkündung des Freispruchs kam der leitende Kriminalbeamte, der in dem Fall ermittelt hatte und bei der Urteilsverkündung anwesend war, plötzlich auf meinen Mandanten zu und zischte vor Wut: dann kriegen wir dich das nächste Mal.
So unangemessen das war, entbehrt es nicht einer gewissen Wahrheit. Oft ist es nur eine Frage der Zeit und Straftäter werden wieder straffällig. Leider.
In bestimmten Fällen, bleibt mir auch noch das Niederlegen meines Mandats, bzw. es erst gar nicht anzunehmen. Das mache ich manchmal. Denn mir ist Moral schon wichtig. Aber man muss da vorsichtig sein, denn wenn der Mandant wirklich unschuldig ist, hat er gerade dann eine gute Verteidigung verdient, wenn die Anklage ihn eines besonders schlimmen Verbrechens beschuldigt.