Urlaubsfahrt in den Tod - Ungeklärter Mord im Chiemgau
12.02.2019 um 19:46
Die Fehleinschätzung, der meines Erachtens viele hier unterliegen, ist, dass die Taxifahrten vom Täter eine große Dummheit waren.
Vermutlich ist das dem allerersten Eindruck geschuldet. Die meisten werden sich, als sie sich zum ersten Mal mit dem Fall beschäftigt haben, sicherlich die XY-Folge angeschaut haben. Und da sagt Ede in den einleitenden Worten, dass der Blonde durch seine Taxifahrten dummerweise eine verräterische Spur gelegt hat. So! Und das blieb kleben, für immer. Denn was Ede vor 20 Jahren sagte, muss ja richtig sein...
Das ist aber ein ganz folgenschwerer Fehler, weil er die Interpretation und das Verständnis für das Verbrechen in wesentlichen Teilen unmöglich macht. Eventuell hat sogar die Polizei diesen Fehler begangen und ist deshalb am Anfang nicht recht vorwärtsgekommen.
Vielleicht war es nicht die allerklügste Idee des Blonden, Taxis zu nehmen, das mag sein, aber so idiotisch, wie es viele darstellen, war es bei Weitem nicht.
1. Wir wissen nicht, warum es der Blonde so eilig hatte. Vielleicht blieb ihm einfach gar keine andere Möglichkeit, als Taxis zu nehmen, trotz des Risikos. Eventuell war das Risiko, zu spät zu kommen, viel größer als die Gefahr, die durch die Taxizeugen ausging. Wie gesagt, wir wissen es nicht. Irgendeinen Grund für seine Eile wird er jedenfalls gehabt haben, er investierte ja auch jede Menge Geldes für diesen Zweck.
2. So verräterisch waren die Taxifahrten keineswegs. Viele gehen zu sehr vom bereits Bekannten aus: Der Blonde lässt sich von den Taxifahrern direkt zum Tatort chauffieren, den er zuvor mit erheblichen Mühen zu verschleiern versucht hatte. Wie blöd kann man eigentlich sein...?
Nein, so blöd war er wirklich nicht. Denn was hat er denn für Spuren gelegt:
a) Eine Taxifahrt, die von der Löwenberger Straße (nicht vom Abstellort des Wohnmobils!) zum Hauptbahnhof führte. Mit einem etwas merkwürdigen Fahrgast, okay, aber zu dieser Uhrzeit sind viele Fahrgäste etwas merkwürdig.
b) Eine zweite Taxifahrt von einem ANDEREN Taxistand in den Chiemgau. Auch bei dieser Taxifahrt waren die Umstände zugegeben etwas ungewöhnlich, aber zunächst schien kein Zusammenhang zwischen den beiden Taxifahrten zu bestehen. Die Taxifahrer wussten nichts voneinander, sie wussten nichts von einem Zusammenhang zwischen ihrer Fahrt und einem Fahrzeugbrand im Feuchter Wald, sie wussten erst recht nichts von einem Mordgeschehen bei Litzlwalchen.
Also, wenn ICH der Täter gewesen wäre, hätte ich das Risiko, dass mein Fahrtweg rekonstruiert werden kann und dass damit der Tatort entdeckt würde, als sehr gering eingestuft. Denn die Voraussetzung war ja, dass sich BEIDE Taxifahrer bei der Polizei melden - und warum sollten sie das eigentlich tun? Weil ihr Fahrgast ein bisschen unangenehm roch und mit ausländischer Währung bezahlte? Weil der Startpunkt des ersten "nur" 30 Gehminuten vom Brandort entfernt lag? Hat man schon je gehört, dass sich Verbrecher mit dem Taxi vom Tatort wegchauffieren lassen? Und der zweite hatte noch weniger Grund, bei der Polizei vorstellig zu werden.
Aber nur wenn beide Taxifahrer ihre Beobachtungen der Polizei meldeten, und nur wenn die Polizei das ernst nahm, und wenn sie auch noch den eigentlichen Tatort fand, nur dann ergaben diese Puzzlestücke überhaupt einen Sinn. So ist es zwar gekommen, aber das war viel weniger einer Dummheit des Täters geschuldet, sondern vielmehr der Gewissenhaftigkeit der beiden Taxifahrer und einer außerordentlichen, lobenswerten Ermittlungsarbeit der Polizei.
Naja, aber man kann vermutlich mit Engelszungen reden und kann trotzdem keine verkrusteten Vorurteile aufbrechen. Schließlich hat es ja Ede so gesagt...
Klar hat der Blonde nicht ALLES richtig gemacht. Er hätte noch ein weiteres Mal das Taxi wechseln sollen, um ganz sicher zu gehen. Aber das hatte er ja offensichtlich sogar vor, nur hätte er dann zum dritten Mal das Problem mit der Fremdwährung gehabt, einen weiteren Zeugen und vor allem war er wahrscheinlich todmüde.
Vielleicht wäre es aus seiner Sicht auch besser gewesen, er hätte die zweite Fahrt nicht mitten in der Pampa enden lassen, sondern hätte sich in ein nahes Dorf fahren lassen. Das wäre sicher wesentlich weniger auffällig gewesen. Aber dann hätten die Dorfbewohner ihn vielleicht verdächtig beäugt, auch dem Taxifahrer wäre aufgefallen, dass der Mann keineswegs einen Hauseingang ansteuert u.s.w. Hätte also auch wieder Nachteile gehabt.
Der Gedanke, der mir übrigens so nebenbei bei den obigen Überlegungen gekommen ist, ist Folgender:
Könnte es sein, dass der Blonde sich selbst einmal mit Taxifahrten ein Zubrot verdient hat?
Indizien:
a) Überhaupt die Idee, sich per Taxi von Nürnberg nach Litzlwalchen fahren zu lassen, kommt nicht jedem X-Beliebigen. Für die meisten Menschen sind so weite Taxifahrten außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Auch eine gewisse Großzügigkeit ist dem Fahrgast nicht abzusprechen, ohne große Diskussionen akzeptierte er den Fahrpreis. Verständnis für den "Kollegen"? Leute, die jedenfalls kellnern, sind auch regelmäßig großzügiger beim Trinkgeld.
b) Der Fahrgast wusste anscheinend (jedenfalls laut XY), dass man in manchen Taxis in manchen Metropolen mit Kreditkarte bezahlen kann. Die meisten Leute wüssten das jedenfalls nicht, ich habe es auch nicht gewusst. Wusste er es, weil er in dem Bereich Erfahrung hatte?
c) Der Blonde ließ sich auch noch Geld wechseln. Auch das ist eine ungewöhnliche Idee, auf die ein Typ, der nur alle heilige Zeit einmal mit dem Taxi fährt, wahrscheinlich gar nicht kommen würde.
d) Auch auf den Gedanken, sich mitten auf der Landstraße aussetzen zu lassen, würde ein üblicher Fahrgast gar nicht kommen, jedenfalls unter solchen Umständen. Angstvoll würde er sich in irgendeinen Ort fahren lassen, weil er denken würde, das wäre höchst verdächtig, wenn er einfach im Wald verschwinden würde. Ich könnte mir vorstellen: Nur jemand, der selbst schon Taxifahrer und alles Mögliche und Unmögliche erlebt hat, könnte das nicht für sooo auffällig halten. Als Taxifahrer - und wohl NUR als Taxifahrer - hat man schon bizarrere Situationen erlebt, als dass jemand mitten im Wald aussteigen will. Der Blonde könnte also gedacht haben: "Okay, wenn ich jetzt mitten auf der Landstraße aussteigen will, ist das vielleicht etwas auffällig, aber bei Weitem nicht so verrückt, wie das, was ich selbst schon manchmal erlebt hatte, als ich noch Taxi fuhr... Der 'Kollege' wird sich seinen Teil denken, aber mehr auch nicht..."