Der "Vermisstenfall" Maike Thiel
27.02.2014 um 08:48Ein ungewöhnliches Plädoyer im Fall Maike Thiel
Neuruppin/Hennigsdorf (MZV) Am Ende dieses ersten Tages, an dem im Maike-Thiel-Prozess die Plädoyers gehalten werden, wird es unappetitlich im Saal 1 des Neuruppiner Landgerichts. Mit den Worten "Ich habe Ihnen etwas mitgebracht" wendet sich der Nebenklägervertreter Horst Fischer an den Angeklagten Michael Sch. und packt einen künstlichen Schädel aus. Unter Protest der Verteidigung ruft er dem Angeklagten zu: "Schauen Sie in die Augenhöhlen!" Doch Michael Sch. reagiert wie immer. Er schweigt.
Es war ein ungewöhnlicher, vielleicht auch geschmackloser Einfall des Anwalts. Doch wirkte bei der Erörterung der Tat im Gerichtssaal nicht alles abstoßend? Am 3. Juli 1997 verschwand die hochschwangere 16-jährige Maike Thiel. Bis hierhin sind sich alle Prozessbeteiligten einig. Doch während die Staatsanwaltschaft am Dienstag in ihrem Plädoyer begründet, weshalb sie Michael Sch. des Mordes und seine Mutter Christine Sch. der Anstiftung zum Mord für schuldig hält, halten die Verteidiger an der Unschuld ihrer Mandanten fest. In neun Verhandlungsmonaten haben sie einen Vorgeschmack dafür geliefert, was ebenfalls als unerhört gewertet werden kann. Sie packten zwar keine Totenschädel auf den Tisch. Aber sie versuchten, selbst Maikes Vater und den Bruder als tatverdächtig darzustellen. Eltern und Geschwister mussten sich anhören, dass ihre Tochter Prostituierte in Hamburg gewesen oder vom Fahrer eines Trabants überfahren und verscharrt worden sein könnte. Alle Hinweise verliefen im Sande.
Für Staatsanwalt Philip Schumacher ergibt sich nach 34 Verhandlungstagen ein Bild des Geschehens, das sich kaum von der im Mai 2013 verlesenen Anklage unterscheidet. Demnach hatte Maike Thiel an jenem 3. Juli um 8.50 Uhr einen Schwangerschaftsvorsorgetermin im Hennigsdorfer Krankenhaus. Danach wollte sie sich mit einer in der Nähe wohnenden Freundin treffen. Doch bei der kam sie nie an. Wohl ab 9 Uhr muss Michael Sch. mit dem zurzeit nicht verhandlungsfähigen Manfred Sch. auf einen günstigen Moment gewartet haben, Maike in sein Auto zu locken. Ganz nach dem von Mutter Christine ausgeheckten Plan habe man ein Waldgebiet angesteuert. "Maike wird misstrauisch. Sie weiß, was sie erwartet. Sie fleht um ihr Leben und sagt zu Michael, dass er nicht der Vater ihres Kindes ist und sie kein Geld von ihm will."
Diese Unterhaltszahlungen sollen es sein, die Christine Sch. bewogen hätten, sich den "geradezu teuflischen Mordplan" auszudenken, so der Staatsanwalt. Einen Plan, mit dem sie dafür sorgt, dass ihr Enkelkind nie zur Welt kommen wird. Die als geldgierig beschriebene Familie Sch. - gegen die Mutter wurde zu der Zeit vergeblich wegen Geldwäsche ermittelt - soll alles daran gesetzt haben, Maike zum Schwangerschaftsabbruch zu überreden. Monate zuvor habe Christine Sch. ein solches Gespräch mit den Worten beendet: "Wenn Du nicht willst, wollen wir auch nicht. Wir werden dafür sorgen, dass Du das Kind nicht behältst."
Für die Momente, in denen Maike Thiel im Auto um ihr Leben kämpfte, gibt es keine Zeugen. Jedenfalls keine, die reden. Michael Sch. schweigt seit dem ersten Verhandlungstag. Er schweigt auch, wenn im Gerichtssaal berichtet wird, dass er der schreienden Maike etwas in den Mund gestopft und ihr den linken Arm vor den Mund gedrückt habe, als diese von Manfred Sch. erdrosselt wurde.
Die Staatsanwaltschaft hat mit größtmöglichem Aufwand die Leiche suchen lassen. Doch sie bleibt bis heute verschwunden.Daher stützt sich die Anklage vor allem auf zwei Zeuginnen. 15 Jahre hat es gedauert, ehe die beiden Frauen ihr Schweigen brachen, denen Michael Sch. von der Tat berichtet haben soll. Während er seiner Jugendfreundin Dominique Sch. bereits vor der Tat von dem Plan erzählte und sie Stunden nach dem vermuteten Mord mit einem Geständnis aufsuchte, hat er Lydia C. Jahre später bei einem Gespräch über Auftragsmorde erzählt: "Ich musste es selber machen."
Wenn die Verteidigung am 10. März plädiert, wird sie erneut Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen streuen. Der Staatsanwalt baut bereits vor: "Dominique Sch. hatte kein Wahn-erleben. Es liegt auch keine psychische Störung vor."
Vielmehr überzeuge es, dass die damals 16-Jährige mit dem Wissen um den Mord nicht klargekommen sei. Da sie in Christine und Michael Sch. ihre Ersatzfamilie sah, habe sie 15 Jahre gebraucht, ihr Schweigen zu brechen. Lydia C. hingegen sei zwar wie Michael Sch. drogenabhängig gewesen. Doch es gebe keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage, dass ihr Michael Sch. an einem Abend unter der Dusche den Mord gestanden hat. Zudem verweist der Staatsanwalt auf die Michael Sch. belastende Indizienkette. Eines deren Glieder: Zur Tatzeit habe ihn Maikes Freundin in Tatortnähe gesehen.
Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall gelöst. Für Maikes Familie nicht. Sie sucht weiter nach Maikes Leiche. Demnächst soll der betonierte Balkon einer Hennigsdorfer Wohnung untersucht werden, die schon 1997 Christine Sch. gehört habe.
http://www.moz.de/lokales/artikel-ansicht/dg/0/1/1250693/
Neuruppin/Hennigsdorf (MZV) Am Ende dieses ersten Tages, an dem im Maike-Thiel-Prozess die Plädoyers gehalten werden, wird es unappetitlich im Saal 1 des Neuruppiner Landgerichts. Mit den Worten "Ich habe Ihnen etwas mitgebracht" wendet sich der Nebenklägervertreter Horst Fischer an den Angeklagten Michael Sch. und packt einen künstlichen Schädel aus. Unter Protest der Verteidigung ruft er dem Angeklagten zu: "Schauen Sie in die Augenhöhlen!" Doch Michael Sch. reagiert wie immer. Er schweigt.
Es war ein ungewöhnlicher, vielleicht auch geschmackloser Einfall des Anwalts. Doch wirkte bei der Erörterung der Tat im Gerichtssaal nicht alles abstoßend? Am 3. Juli 1997 verschwand die hochschwangere 16-jährige Maike Thiel. Bis hierhin sind sich alle Prozessbeteiligten einig. Doch während die Staatsanwaltschaft am Dienstag in ihrem Plädoyer begründet, weshalb sie Michael Sch. des Mordes und seine Mutter Christine Sch. der Anstiftung zum Mord für schuldig hält, halten die Verteidiger an der Unschuld ihrer Mandanten fest. In neun Verhandlungsmonaten haben sie einen Vorgeschmack dafür geliefert, was ebenfalls als unerhört gewertet werden kann. Sie packten zwar keine Totenschädel auf den Tisch. Aber sie versuchten, selbst Maikes Vater und den Bruder als tatverdächtig darzustellen. Eltern und Geschwister mussten sich anhören, dass ihre Tochter Prostituierte in Hamburg gewesen oder vom Fahrer eines Trabants überfahren und verscharrt worden sein könnte. Alle Hinweise verliefen im Sande.
Für Staatsanwalt Philip Schumacher ergibt sich nach 34 Verhandlungstagen ein Bild des Geschehens, das sich kaum von der im Mai 2013 verlesenen Anklage unterscheidet. Demnach hatte Maike Thiel an jenem 3. Juli um 8.50 Uhr einen Schwangerschaftsvorsorgetermin im Hennigsdorfer Krankenhaus. Danach wollte sie sich mit einer in der Nähe wohnenden Freundin treffen. Doch bei der kam sie nie an. Wohl ab 9 Uhr muss Michael Sch. mit dem zurzeit nicht verhandlungsfähigen Manfred Sch. auf einen günstigen Moment gewartet haben, Maike in sein Auto zu locken. Ganz nach dem von Mutter Christine ausgeheckten Plan habe man ein Waldgebiet angesteuert. "Maike wird misstrauisch. Sie weiß, was sie erwartet. Sie fleht um ihr Leben und sagt zu Michael, dass er nicht der Vater ihres Kindes ist und sie kein Geld von ihm will."
Diese Unterhaltszahlungen sollen es sein, die Christine Sch. bewogen hätten, sich den "geradezu teuflischen Mordplan" auszudenken, so der Staatsanwalt. Einen Plan, mit dem sie dafür sorgt, dass ihr Enkelkind nie zur Welt kommen wird. Die als geldgierig beschriebene Familie Sch. - gegen die Mutter wurde zu der Zeit vergeblich wegen Geldwäsche ermittelt - soll alles daran gesetzt haben, Maike zum Schwangerschaftsabbruch zu überreden. Monate zuvor habe Christine Sch. ein solches Gespräch mit den Worten beendet: "Wenn Du nicht willst, wollen wir auch nicht. Wir werden dafür sorgen, dass Du das Kind nicht behältst."
Für die Momente, in denen Maike Thiel im Auto um ihr Leben kämpfte, gibt es keine Zeugen. Jedenfalls keine, die reden. Michael Sch. schweigt seit dem ersten Verhandlungstag. Er schweigt auch, wenn im Gerichtssaal berichtet wird, dass er der schreienden Maike etwas in den Mund gestopft und ihr den linken Arm vor den Mund gedrückt habe, als diese von Manfred Sch. erdrosselt wurde.
Die Staatsanwaltschaft hat mit größtmöglichem Aufwand die Leiche suchen lassen. Doch sie bleibt bis heute verschwunden.Daher stützt sich die Anklage vor allem auf zwei Zeuginnen. 15 Jahre hat es gedauert, ehe die beiden Frauen ihr Schweigen brachen, denen Michael Sch. von der Tat berichtet haben soll. Während er seiner Jugendfreundin Dominique Sch. bereits vor der Tat von dem Plan erzählte und sie Stunden nach dem vermuteten Mord mit einem Geständnis aufsuchte, hat er Lydia C. Jahre später bei einem Gespräch über Auftragsmorde erzählt: "Ich musste es selber machen."
Wenn die Verteidigung am 10. März plädiert, wird sie erneut Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen streuen. Der Staatsanwalt baut bereits vor: "Dominique Sch. hatte kein Wahn-erleben. Es liegt auch keine psychische Störung vor."
Vielmehr überzeuge es, dass die damals 16-Jährige mit dem Wissen um den Mord nicht klargekommen sei. Da sie in Christine und Michael Sch. ihre Ersatzfamilie sah, habe sie 15 Jahre gebraucht, ihr Schweigen zu brechen. Lydia C. hingegen sei zwar wie Michael Sch. drogenabhängig gewesen. Doch es gebe keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage, dass ihr Michael Sch. an einem Abend unter der Dusche den Mord gestanden hat. Zudem verweist der Staatsanwalt auf die Michael Sch. belastende Indizienkette. Eines deren Glieder: Zur Tatzeit habe ihn Maikes Freundin in Tatortnähe gesehen.
Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall gelöst. Für Maikes Familie nicht. Sie sucht weiter nach Maikes Leiche. Demnächst soll der betonierte Balkon einer Hennigsdorfer Wohnung untersucht werden, die schon 1997 Christine Sch. gehört habe.