Der Fall Nelli Graf
25.05.2012 um 09:2725.05.12
Von Nicole Donath Halle/Kreis Gütersloh/ Bielefeld. Als Sascha und Rafael Quisbrock am späten Abend des 9. Februar nach Kölkebeck fahren, herrscht draußen Eiseskälte und in ihrem Mercedes »Vito« Stille. Von der Polizei sind die Geschäftsführer des Bielefelder Überführungsunternehmens bereits darüber informiert worden, was sie in dem Haller Ortsteil am Kölkenweg zwischen Acker und Wäldchen erwartet: eine stark verweste Leiche, halb im Erdreich festgefroren, halb freigelegt, gefesselt und geknebelt. Es ist die seit Monaten vermisste Ehefrau und Mutter dreier Kinder - Nelli Graf.
Seit neun Jahren haben die Brüder einen Vertrag mit dem Polizeipräsidium Bielefeld und führen sämtliche Bergungen durch, mit denen die Ermittler sie beauftragen. Sie werden zu Verkehrsunfällen mit Todesopfern gerufen. Zu Todesfällen in Privathaushalten, bei denen die Auffindesituation gegen ein natürliches Ableben spricht. Oder eben bei Kapitalverbrechen. Der Mord an dem türkischen Mädchen Kardelen, der Mord an einer Frau auf einem Wanderweg an der Kahlen Wart, der Mord an Nelli Graf - immer war es das Team von Quisbrock, das die Polizei zur Unterstützung herbeirief.
In 30 Minuten vor Ort
„Wir müssen uns an jedem Tag im Jahr rund um die Uhr bereithalten und sind verpflichtet, zumindest im Raum
Bielefeld innerhalb von 30 Minuten mit zwei Leuten vor Ort zu sein”, erläutert Sascha Quisbrock (36)
Details aus dem Vertrag. Für die Strecke von Altenhagen nach Kölkebeck brauchen die Hauderer, wie ihre historische Berufsbezeichnung lautet, natürlich länger. Zum einen der Entfernung wegen, zum anderen müssen sie zuvor noch die passenden Bergungsmaterialien zusammenstellen: spezielles Beleuchtungsgerät oder neu entwickelte Schutzhüllen vom Bundeskriminalamt, die einer Belastung von 500 Kilogramm standhalten. Doch auf eine halbe Stunde kommt es den Ermittlern hier nicht an. Vielmehr schätzen sie die Professionalität, die ihnen im Gegenzug garantiert wird. Und in 20 Jahren haben die Mitarbeiter von Quisbrock alle naheliegenden wie unvorstellbaren Erfahrungen gesammelt. Jeder von ihnen weiß sehr genau, wie man möglichst spurenschonend vorzugehen hat. Immer. Für die spätere Aufklärung eines Falls unerlässlich.
Auch an jenem Winterabend in Kölkebeck sind hohes Geschick und Feinfühligkeit gleichermaßen gefragt: „Hier bestand die Herausforderung da-rin, den Körper mitsamt dem ihm umgebenden Erdreich zu bergen. Das war letztlich ein Block von 2,50 Metern Länge und 1,20 Metern Breite”, erinnert sich Sascha Quisbrock noch genau. „Gemeinsam mit dem THW und der Polizei, die bereits vor Ort waren, haben wir das gut geschafft”, fährt er fort, ohne weiter ins Detail zu gehen. Noch in der Nacht wird der gefrorene Block in den Sektionsraum des Überführungsunternehmens gebracht.
Hier an der Brönninghauser Straße kann er behutsam auftauen, ehe die zuständige Mordkommission und Gerichtsmediziner aus Münster Schicht für Schicht des rund 1000 Kilogramm schweren Erdreichs entfernen und die sterb- lichen Überreste untersuchen können.
Diese außergewöhnliche Infrastruktur bestehend aus modernem Sektionsraum mit Absauganlage, Kalt- und Warmwasseranschlüssen und einem räumlich abgetrennten Arzt-raum wird von den Ermittlern entsprechend hoch geschätzt. Und zumindest ein Erfolg hat sich im Fall Nelli Graf eingestellt: Nicht zuletzt aufgrund der umsichtigen Bergung konnten die Spezialisten des Landeskriminalamtes Düsseldorf DNA-Spuren des mutmaßlichen Täters an der Leiche entschlüsseln.
Entsprechende Vergleichsproben sind in der vergangenen Woche durchgeführt worden. Von 1300 eingeladenen Männern kamen 1100 zur Speichelprobe. Während die restlichen 200 Männer aktuell von der Polizei befragt werden, ist mit dem Untersuchungsergebnis der Proben Ende nächster Woche zu rechnen.
Platz für 23 Tote
Sascha Quisbrock lässt seinen Blick über die Kühlräumetüren gleiten, hinter denen im Katastrophenfall 23 Tote gelagert werden können, über seine sechs modernen Fahrzeuge in dunklem Grün, über die Särge. Dann sagt er: „Am schlimmsten sind die Kinder. Die toten Kinder, die wir überführen müssen. Dann sind sogar die Ermittler schon mal auf professionelle Hilfe der Notfallbegleitung angewiesen. Und Messie-Wohnungen, ja, Messie-Wohnungen, in denen lange Zeit ein Toter gelegen hat, sind auch fürchterlich”, fährt der dreifache Familienvater fort. „Aber bei aller persönlichen Betroffenheit stehen für uns zwei Dinge immer Vordergrund: das professionelle Arbeiten und - der Respekt vor den Toten. Dieser Respekt hat immer höchste Priorität.”
http://www.haller-kreisblatt.de/hk-templates/nachrichtendetails/datum/2012/05/25/die-ueberfuehrer/ (Archiv-Version vom 28.04.2015)
Von Nicole Donath Halle/Kreis Gütersloh/ Bielefeld. Als Sascha und Rafael Quisbrock am späten Abend des 9. Februar nach Kölkebeck fahren, herrscht draußen Eiseskälte und in ihrem Mercedes »Vito« Stille. Von der Polizei sind die Geschäftsführer des Bielefelder Überführungsunternehmens bereits darüber informiert worden, was sie in dem Haller Ortsteil am Kölkenweg zwischen Acker und Wäldchen erwartet: eine stark verweste Leiche, halb im Erdreich festgefroren, halb freigelegt, gefesselt und geknebelt. Es ist die seit Monaten vermisste Ehefrau und Mutter dreier Kinder - Nelli Graf.
Seit neun Jahren haben die Brüder einen Vertrag mit dem Polizeipräsidium Bielefeld und führen sämtliche Bergungen durch, mit denen die Ermittler sie beauftragen. Sie werden zu Verkehrsunfällen mit Todesopfern gerufen. Zu Todesfällen in Privathaushalten, bei denen die Auffindesituation gegen ein natürliches Ableben spricht. Oder eben bei Kapitalverbrechen. Der Mord an dem türkischen Mädchen Kardelen, der Mord an einer Frau auf einem Wanderweg an der Kahlen Wart, der Mord an Nelli Graf - immer war es das Team von Quisbrock, das die Polizei zur Unterstützung herbeirief.
In 30 Minuten vor Ort
„Wir müssen uns an jedem Tag im Jahr rund um die Uhr bereithalten und sind verpflichtet, zumindest im Raum
Bielefeld innerhalb von 30 Minuten mit zwei Leuten vor Ort zu sein”, erläutert Sascha Quisbrock (36)
Details aus dem Vertrag. Für die Strecke von Altenhagen nach Kölkebeck brauchen die Hauderer, wie ihre historische Berufsbezeichnung lautet, natürlich länger. Zum einen der Entfernung wegen, zum anderen müssen sie zuvor noch die passenden Bergungsmaterialien zusammenstellen: spezielles Beleuchtungsgerät oder neu entwickelte Schutzhüllen vom Bundeskriminalamt, die einer Belastung von 500 Kilogramm standhalten. Doch auf eine halbe Stunde kommt es den Ermittlern hier nicht an. Vielmehr schätzen sie die Professionalität, die ihnen im Gegenzug garantiert wird. Und in 20 Jahren haben die Mitarbeiter von Quisbrock alle naheliegenden wie unvorstellbaren Erfahrungen gesammelt. Jeder von ihnen weiß sehr genau, wie man möglichst spurenschonend vorzugehen hat. Immer. Für die spätere Aufklärung eines Falls unerlässlich.
Auch an jenem Winterabend in Kölkebeck sind hohes Geschick und Feinfühligkeit gleichermaßen gefragt: „Hier bestand die Herausforderung da-rin, den Körper mitsamt dem ihm umgebenden Erdreich zu bergen. Das war letztlich ein Block von 2,50 Metern Länge und 1,20 Metern Breite”, erinnert sich Sascha Quisbrock noch genau. „Gemeinsam mit dem THW und der Polizei, die bereits vor Ort waren, haben wir das gut geschafft”, fährt er fort, ohne weiter ins Detail zu gehen. Noch in der Nacht wird der gefrorene Block in den Sektionsraum des Überführungsunternehmens gebracht.
Hier an der Brönninghauser Straße kann er behutsam auftauen, ehe die zuständige Mordkommission und Gerichtsmediziner aus Münster Schicht für Schicht des rund 1000 Kilogramm schweren Erdreichs entfernen und die sterb- lichen Überreste untersuchen können.
Diese außergewöhnliche Infrastruktur bestehend aus modernem Sektionsraum mit Absauganlage, Kalt- und Warmwasseranschlüssen und einem räumlich abgetrennten Arzt-raum wird von den Ermittlern entsprechend hoch geschätzt. Und zumindest ein Erfolg hat sich im Fall Nelli Graf eingestellt: Nicht zuletzt aufgrund der umsichtigen Bergung konnten die Spezialisten des Landeskriminalamtes Düsseldorf DNA-Spuren des mutmaßlichen Täters an der Leiche entschlüsseln.
Entsprechende Vergleichsproben sind in der vergangenen Woche durchgeführt worden. Von 1300 eingeladenen Männern kamen 1100 zur Speichelprobe. Während die restlichen 200 Männer aktuell von der Polizei befragt werden, ist mit dem Untersuchungsergebnis der Proben Ende nächster Woche zu rechnen.
Platz für 23 Tote
Sascha Quisbrock lässt seinen Blick über die Kühlräumetüren gleiten, hinter denen im Katastrophenfall 23 Tote gelagert werden können, über seine sechs modernen Fahrzeuge in dunklem Grün, über die Särge. Dann sagt er: „Am schlimmsten sind die Kinder. Die toten Kinder, die wir überführen müssen. Dann sind sogar die Ermittler schon mal auf professionelle Hilfe der Notfallbegleitung angewiesen. Und Messie-Wohnungen, ja, Messie-Wohnungen, in denen lange Zeit ein Toter gelegen hat, sind auch fürchterlich”, fährt der dreifache Familienvater fort. „Aber bei aller persönlichen Betroffenheit stehen für uns zwei Dinge immer Vordergrund: das professionelle Arbeiten und - der Respekt vor den Toten. Dieser Respekt hat immer höchste Priorität.”
http://www.haller-kreisblatt.de/hk-templates/nachrichtendetails/datum/2012/05/25/die-ueberfuehrer/ (Archiv-Version vom 28.04.2015)