lawine schrieb:@LivingElvis oder @hawo könnt ihr zur Klärung beitragen, inwieweit sämtliche Verhöre aufgezeichnet wurden?
Im Sinne der Vernehmungsmitschnitte nicht, sorry.
lawine schrieb:ich finde eure Fragen und Antworten ungemein hilfreich und bestens verständlich.
Was ich bitte zu bedenken, aber mir liegen dazu leider keine direkten Infos vor:
Es geht mir um die Vernehmungen und ich frage konkret, weil das Geständnis ohne funktionierendes Aufnahmegerät der Aufreger schlechthin ist: wurden sämtliche anderen Vernehmungen aufgezeichnet? Von ministerieller Seite wurde ausgeschlossen, dass UK nach Reid vernommen wurde. Macht man das an Aussagen der Ermittler fest (grrr, die würden das nicht zugeben) oder anhand der aufgezeichneten Vernehmungen. Wenn nämlich NUR beim Geständnis das Tonband nicht aufzeichnete/mitlief, impliziert das für mich, dass es sonst sehr wohl der Fall war.
Erst einmal ist die Reid-Methode ein qualifiziertes Verfahren in dem Sinne, dass man das nicht einfach mal so machen kann, wenn einem danach ist, sondern es zum einen einer Schulung in dieser Methode und zum anderen in einem solchen Fall auch einer entsprechenden Strategie bedarf.
Da man 2001 in Bayern Reid relativ kritiklos angenommen hat (nicht im ganzen Land, aber durchaus in Teilen), hätte es überhaupt keines Grundes bedurft die Vernehmung nach Reid geheim zu halten. Ganz im Gegenteil hätte man die "erfolgreiche" Vernehmung mit Reid als weiteren Faktor bemüht die Methode flächendeckend anzuwenden.
Das Ministerium wird also in erster Linie sicherlich die Behördenleitung befragt haben und ggf. auch die Akten bemüht haben. Dass das Ministerium alle Vernehmungen einzeln durchgehört hat, kann man wohl ausschließen. Nicht unbedingt aus Desinteresse, aber der Fall Ulvi Kulac ist nunmal leider nicht der einzige Kriminalfall des Landes in den letzten 13 Jahren gewesen.
lawine schrieb:Es gab meiner Meinung nach auch durchaus die Bemühungen, den UK nicht dermaßen intensiv zu befragen wie man es bei einem völlig normalem TV getan hat. Die Anwälte waren bei vielen Vernehmungen zugegen. Ein Anwalt hat den Ermittlern grünes Licht gegeben, seinen Mandanten auch ohne ihn vernehmen zu dürfen.
Was ich aus dem Urteil diesbezüglich herauslesen kann, würde ich das erstmal ähnlich sehen.
lawine schrieb:Dies alles in Gesamtschau spricht für mich gegen eine suggestive Befragung und Anwendung der Reid Methode. Ich glaube daher nicht, dass das Gständnis des UK auf Suggestion beruht.
Es gibt ja nicht nur "Reid oder nicht Reid", sondern durchaus massig Grauzonen.
Wir haben da grundsätzlich zwei große Probleme:
1. Fehlende Standards in der polizeilichen Vernehmung. Die macht jeder noch weitgehend nach eigenem Gutdünken und da ist "gut gemeint" halt oft das Gegenteil von "gut", denn zumeist ist es den Beamten überhaupt nicht klar, DASS sie gerade hochgradig suggestiv vernehmen. Der Streit zwischen Vernehmungspsychologen und Kriminalisten ist da nicht neu, eine Besserung ist nicht in Sicht.
Übrigens - bevor man da auf der Polizei rumhackt - kaum einer hier würde das viel besser machen, weil so gut wie JEDER falsche Vorstellungen von einer guten Vernehmung und auch von suggestiver Befragung hat.
2. Die absolut unzureichende Protokollierungspraxis. Man kann es nicht oft genug wiederholen - was die Bayern da 2001 bei Ulvi gemacht haben, war -insbesondere an den damaligen Verhältnissen gemessen- qualitativ weit ÜBER dem Standard! Wir leisten uns immer noch eine völlig unzureichende Protokollierung, was es letztlich auch für einen Gutachter schwer bis unmöglich macht, belastbare Schlüsse zu ziehen, selbst WENN das Aktenmaterial in vollem Umfang zur Verfügung steht. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen - Standard ist (immer noch!), dass der Vernehmer die Aussage aufschreibt.
DASS die da überhaupt viel mit Tonbändern und Video gearbeitet haben, spricht eher FÜR die guten Absichten der Bayern, als dagegen. Es ist allerdings kein Garant für gute Ergebnisse, immerhin hat man das im Fall Rupp auch gemacht.
Insofern wird Ulvi vermutlich nicht suggestiver vernommen worden sein, als der Rest der Beschuldigten in Deutschland. Das ist handwerklich nicht "gut", es ist aber auch moralisch nicht "böse". Die große Frage ist, OB sich das negativ auf seine Aussage ausgewirkt hat.