Hier ein ganz neuer Bericht "Tanja gehört nach wie vor dazu" - 16vor-Bericht vom 31. Mai 2012:
Heute in einer Woche jährt sich zum fünften Mal der Tag, an dem Tanja Gräff verschwand. Nach wie vor fehlt von der jungen Frau jede Spur, tappen die Ermittler weiterhin im Dunkeln und hoffen Eltern und Freunde, dass sie endlich erfahren, was der damals 21-Jährigen am frühen Morgen des 7. Juni 2007 zugestoßen ist. 16vor sprach mit Waltraud Gräff über den bevorstehenden Jahrestag und warum sie diesem keine besondere Bedeutung beimisst, und mit Christian Jäger sowie Christoph Krier, die berichten, wie sie das ungewisse Schicksal der Freundin bis heute beschäftigt. Dafür, dass der Vermisstenfall aufgeklärt werden könnte, spricht derzeit nichts: “Die Ausgangslage ist und bleibt bescheiden”, räumt Christian Soulier von der Kriminaldirektion Trier ein.
TRIER. Fünf Jahre können eine lange Zeit sein – oder auch nicht. Waltraud Gräff mag nicht beurteilen, ob die Wochen, Monate und Jahre, seit sie sich von ihrer Tochter zum letzten Mal verabschiedete, schnell vergangen sind. “Jeder einzelne Tag war ganz furchtbar”, sagt sie. Doch im Nachhinein erstaune es sie dann doch, dass nun schon fünf Jahre ins Land gingen seit jenem Abend des 6. Juni 2007, als die Mutter ihre Tochter zur Universität fuhr, wo Tanja sich mit Freunden verabredet hatte, um anschließend zum Sommerfest der Fachhochschule zu fahren.
Wer mit Waltraud Gräff spricht, erlebt eine Frau, die versucht, die Dinge realistisch zu sehen. Dass ihre Tochter Tanja eines Tages wieder vor der Tür des Korlinger Einfamilienhauses stehen könnte, daran glaubt sie schon lange nicht mehr. Und auch der Hoffnung, dass sich über kurz oder lang doch noch ein Zeuge oder sogar der Täter bemerkbar machen könnte, gibt sie sich nicht hin. Warum auch? Und warum gerade jetzt? Wo doch mögliche Zeugen und Mitwisser ausreichend Zeit und Gelegenheiten hatten, Licht ins Dunkel zu bringen und der Ungewissheit ein Ende zu setzen. Und habe nicht der Fall Lolita Brieger gezeigt, wozu Menschen in der Lage seien, fragt Waltraud Gräff jetzt. Dass der Hauptbelastungszeuge, der dem derzeit vor dem Trierer Landgericht angeklagten Ex-Freund im November 1982 geholfen haben will, Lolitas Leiche zu beseitigen, fast 29 Jahre schwieg – nicht nur für Tanjas Mutter ist das schier unfassbar.
Es ist ein Leben in der Warteschleife, das Waltraud und Karl-Hans Gräff seit nunmehr fünf Jahren führen. Ein Warten, von dem niemand sagen kann, ob es irgendwann ein Ende haben wird. Nun steht der Jahrestag an. “Es ist wie damals”, sagt Waltraud Gräff, “da fiel Fronleichnam auch auf den 7. Juni”. Doch das Datum als solches habe keine größere Bedeutung für sie; “das interessiert mehr die Medien, und das ist auch okay”. Für sie und ihren Mann ist Tanja aber ohnehin immer präsent, bleibt die Erinnerung an die einzige Tochter lebendig. Tanjas Zimmer haben die Eltern unverändert gelassen. Manchmal überlege sie, wie die Jahre wohl verlaufen wären, wenn es den 7. Juni 2007 nicht gegeben hätte. “Vielleicht hätte Tanja dann heute Mann und Kinder”, sagt Waltraud Gräff und ist sich sicher: “Und sie hätte uns auch ein Stück Kraft gegeben”.
Journalisten boten den Freunden Geld
Christoph Krier hält bis heute Kontakt zu Tanjas Eltern. Als die Studentin verschwand, war er ihr Kommilitone. Doch die beiden kannten sich schon viel länger, waren gemeinsam als Betreuer auf Jugendfreizeiten unterwegs. Krier unterrichtet heute als Lehrer an der Nelson-Mandela-Realschule plus in Trier-Süd. Manchmal sprechen ihn seine Siebtklässler auf Tanja an. Beim Googeln stießen einige von ihnen auf ein Youtube-Video, das einen Ausschnitt aus der Sendung “Johannes B. Kerner” vom 27. September 2007 zeigt. “Der ganz rechts ist mein Klassenlehrer und deutschlehrer
:D”, postete einer von Kriers Schülern.
Der heute 29-Jährige war gemeinsam mit Christian Jäger und Christian Steffen eingeladen. Die drei Freunde hatten überlegt, ob sie das Angebot annehmen sollten. Doch damals, keine vier Monate nach Tanjas Verschwinden, überwog die Hoffnung, der Auftritt könne Bewegung in die seinerzeit schon festgefahrenen Ermittlungen bringen. Dem sollte nicht so sein, wie auch alle anderen Versuche fehlschlugen, Zeugen zu finden oder wirklich brauchbare Hinweise zu erhalten. Zehntausende Flyer druckten die Freunde, in unterschiedlichen Sprachen, von Französisch bis Türkisch. Über Wochen waren sie mit Infoständen präsent, brachten Plakate in Umlauf, pflegten die eigens geschaltete Homepage. So erreichten die Freunde ein Medieninteresse, das ohne dieses Engagement kaum vorstellbar gewesen wäre. “Irgendwann war da aber der Punkt, an dem wir uns gesagt haben: wir haben alles gemacht, was geht”, erinnert sich Jäger und ergänzt: “Es hat ja auch niemand gedacht, dass das so lange dauern würde”.
Manche dachten, hinter dem Engagement stecke Profilierungsgehabe. Auch deshalb überlegten die Freunde, ob sie überhaupt noch einmal in Erscheinung treten sollten. Krier und Jäger wissen von Journalisten zu berichten, die ihnen Geld boten, um über die Freunde an private Foto- oder Filmaufnahmen von Tanja zu kommen. Private Fernsehsender hätten versucht, sie zu locken. “Die wollten, dass wir mit Tanjas Schicksal Geld machen”, sagt Jäger. Doch schon früh hatten sich die Freunde auf eine gemeinsame Linie verständigt: “Keine Alleingänge, alles mit der Polizei abstimmen und nur mit seriösen Medien zusammenarbeiten”, berichtet Krier. Keines der Angebote habe man angenommen, betonen sie. “Das Gute war, dass wir nie alleine waren”, unterstreicht Jäger und berichtet, dass er selbst mehrfach von der Polizei vernommen wurde. “Wir waren als Täter ja nie ausgeschlossen”. Anfangs sei ihm das seltsam vorgekommen, doch dann habe er sich klargemacht: “Die machen ihre Arbeit”.
Ermittler ohne Erfolg
“Die”, das sind die Ermittler um Christian Soulier. Der Leiter der Trierer Mordkommission ist nach fünf Jahren soweit wie zu Beginn der Suche. Bis heute kann die Kripo keinerlei Ermittlungserfolg vorweisen. “Wir haben keinen Tatort und keine Spur, nichts”, erklärt der 47-Jährige ernüchtert, “unsere Ausgangslage ist nach wie vor bescheiden”. So habe sich auch nie ein wirklicher Ansatz ergeben, in welche Richtung er und seine Kollegen hätten ermitteln sollen. Soulier versichert, dass sein Kommissariat den Fall immer auf dem Schirm habe. Sobald er von Verbrechen und Tätern andernorts erfahre, prüften er und sein Team umgehend, ob es Parallelen geben könnte. Bislang blieb auch das ergebnislos. Somit bleibt die Ungewissheit, und damit auch die Frage, auf welchem Wege, mit wem und wie Tanja das FH-Gelände verließ. Wenn es etwas gibt, das für Soulier völlig unstrittig ist, dann ist es das letzte Telefonat: Tanja Gräff habe am frühen Morgen des 7. Juni 2007 gegen 4.13 Uhr das letzte Mal mit Freunden in der Stadt telefoniert, und sie sei zu diesem Zeitpunkt definitv auch noch auf dem FH-Campus gewesen. Was dann geschah? “Wir können nur spekulieren”.
“Ich weiß nicht, ob ich noch genauer darüber nachdenken möchte, was passiert sein könnte”, sagt derweil Jäger. Er weiß, dass es ihm nicht besser gehen würde, wenn er im Kopf alle nur denkbaren Szenarien durchspielte. Fast täglich kommt er an der Fachhochschule vorbei, im nahe gelegenen Weisshauswald arbeitet der angehende Pädagoge im Hochseilgarten. “Manchmal wähle ich noch Tanjas Handynummer”, berichtet er jetzt. Dass Tanja ans Telefon gehen könnte, erwartet er nicht – “aber vielleicht jemand, der etwas wissen könnte”. Für ihn bleibe das Ganze unwirklich: “Ich realisiere das nicht, dass das so passiert ist”. Und Krier sagt: “Jeder hat auf seine Art gelernt, damit umzugehen”. Doch wenn man sich unter Freunden treffe, dann sei auch klar: “Tanja gehört nach wie vor dazu”.
http://www.16vor.de/index.php/2012/05/31/tanja-gehort-nach-wie-vor-dazu/ (Archiv-Version vom 02.06.2012)[/quote]