Mordfall Charlotte Böhringer
22.12.2018 um 14:16Was mir beim Lesen des Urteils auffällt ist eine Argumentationslinie, die sich bei den Ausführungen zu den Indizien durchzieht: Erst wird ein Sachverhalt genannt, der für sich betrachtet ganz klar GEGEN BT´s Täterschaft spricht. Dann wird das eben genannte Argument lapidar mit der Aussage beiseite gewischt, "dass dies trotzdem nicht die Täterschaft ausschließt", allerdings teils ohne Begründung, warum der eben genannte Sachverhalt denn nun irrelevant ist. Und teils mit einer Begründung, die für sich betrachtet oft konstruiert wirkt bzw. für die mehrere gedankliche Hilfskonstruktionen aufgebaut werden. Beispiel:
DNA-Mischspur am Sakko (Urteil S. 153): Es wird ausgeführt, dass eine Blutspur (CB), die von einem Handschuh (Strick oder Arbeitshandschuh mit Noppen) gesetzt wurde. In der Nähe von der Blutspur gibt es eine DNA-Spur von BT (nicht Blut, sondern unklare Herkunft). Die zeitliche Zuordnung ist nicht möglich, auch sind die Spuren nicht "übereinander" vermischt, sondern nebeneinander und wurden von der Spurensicherung mit Klebeband abgenommen, abgeschabt und analysiert, daher "Mischspur", weil es auf einem Klebeband ist. Dann wird ausgeführt, dass die Handschuh-Blutspur klar vom Täter gesetzt wurde. Außerdem wird angeführt, dass BT seine DNA beim Auffinden der CB durch anfassen, ansprechen oder sogar Hautschüppchen an das Sakko verbracht haben kann, auch gibt es die Möglichkeit, dass die DNA schon viel früher da hin gelangt ist, z.B. weil BT die Angewohnheit hatte, seiner Tante höflichkeitshalber in Jacken und Mäntel zu helfen. Und dann plötzlich die Aussage, dies sei aber auszuschließen, im Rahmen der "Gesamtwürdigung".
Es wird also ein erstmal neutraler Sachverhalt erklärt (DNA von BT auf Sakko, in der Nähe Blut von CB von Handschuh gesetzt), dann werden Deutungsmöglichkeiten genannt. Dabei gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Deutung auf BT´s Täterschaft hinweist oder aber diese ausschließt. Und in etlichen Fällen wird der Sachverhalt so gedeutet, dass es auf BT als Täter verweist. Selbst wenn es nicht wahrscheinlicher ist. Denn es ist definitiv nicht wahrscheinlicher, dass BT mit Handschuhen zuerst an mehreren Stellen am Sakko ohne Blut seine eigene DNA überträgt (z.B. weil er sich an der Nase kratzt und dann das Sakko berührt) und dann MIT Blut nochmal das Sakko in der Nähe der 1. Spur berührt, als dass er entweder irgendwann seiner Tante mal ins Sakko geholfen hat oder sie beim Auffinden berührt hat oder aber sich über sie gebeugt hat und angesprochen hat.
Im Urteil aber die Deutung: BT hat beide Spuren gesetzt. Punkt abgehakt.
Oder eben die besagte Händigkeit. Erst wird im Urteil ausführlich erklärt, dass der Täter links die Tür aufgehalten hat und CB mit rechts ausgeführten Schlägen zurückgedrängt hat und danach weitere Schläge auf die am Boden liegende CB ausübte, durch die dabei entstandenen Spuren an der Wand etc. lässt sich ableiten, dass ausnahmslos mit rechts zugeschlagen wurde. Aber: trotz der Tatsache, dass BT Linkshänder ist, spricht das nicht gegen ihn als Täter, weil ein Linkshänder ja auch mit rechts Schläge ausführen könnte (und einarmig ist BT ja nicht). Punkt abgehakt.
Die zwei 500 Euro Scheine mit DNA von CB in BT´s Geldbörse: es befanden sich drei 500er im Geldbeutel von BT, zwei davon tragen CB´s DNA. Erklärung von BT: seine Tante hatte ihn als "zu fett" kritisiert und gesagt, er solle Sport treiben und mehr Fahrrad fahren. Weil er sagte, er habe kein Fahrrad (tatsächlich hatte er das Rad ja vom Freund geliehen), gab sie ihm zwei 500 Euro-Scheine um ein Rennrad zu kaufen. Ausführungen dazu: der Bruder MT und weitere Zeugen bestätigen, dass CB durchaus großzügig zu ihren Neffen war und zudem nicht nur grundsätzlich bevorzugt mit Bargeld zahlte, sondern den Neffen, insbesondere BT oft Bargeld schenkte. Zudem laut Zeugenaussage des ital.Wirtes, bei dem CB Mittagessen war, sagte sie, es wäre besser, wenn BT häufiger zu ihm zum Essen gehen würde statt zu Mac Donald´s, denn er sei zu fett geworden. Alternativerklärung: alle drei 500er (bzw. vier, einer wurde ja beim Tanken in Augsburg gewechselt) wurden im Zuge der Tat CB entwendet, ihre DNA ist nur auf zwei Scheinen, weil DNA nicht immer gleich gut haftet. Punkt abgehakt.
Die Liste könnte ich noch erheblich fortsetzen: der Umschlag mit dem Testament, wo BT´s DNA gefunden wurde. Eine Möglichkeit: nachweislich machte er Büroarbeit an diesem Schreibtisch, nachweislich wurde der Umschlag wohl wiederverwertet, da Klebereste unbekannter früherer Herkunft darauf waren und der Umschlag wurde mehrfach geöffnet und wiederverschlossen, aber nachweislich schon früher, da der Klebestreifen ein anderer ist als im Büro. BT kann also früher den Umschlag und auch das Papier, auf dem später das Testament verfasst wurde, in den Händen gehabt haben. Andere Möglichkeit: Nach der Tat ist BT ins Büro, hat die Handschuhe ausgezogen, das Testament gelesen, wieder in den Umschlag zurückgetan und diesen wieder verschlossen. Das Gericht entscheidet sich für die 2. Möglichkeit.
Ich muss sagen, wenn man das Urteil mal genau durchliest, könnte man sich schon gruseln. Es liegt nunmal in der Natur der Dinge, dass Indizien verschiedenste Deutungsmöglichkeiten zulassen. Bei einer gleich hohen Wahrscheinlichkeit für und gegen den Angeklagten, also p= 0,5, sollte gemäß unserem Rechtsverständnis das vielbemühte "in dubio pro reo" gelten. Wenn nun aber die Wahrscheinlichkeit überwiegt, dass der Sachverhalt für die Unschuld des Angeklagten spricht, dürfte das Indiz doch keinesfalls einen Schuldspruch stützen. Natürlich kann kein Statistikmodell errechnen, wie wahrscheinlich etwa bei den 500ern die beiden Varianten sind, aber die bezeugte Geschichte mit dem beabsichtigten Fahrradkauf erscheint mir wahrscheinlicher als die 2. Möglichkeit)
DNA-Mischspur am Sakko (Urteil S. 153): Es wird ausgeführt, dass eine Blutspur (CB), die von einem Handschuh (Strick oder Arbeitshandschuh mit Noppen) gesetzt wurde. In der Nähe von der Blutspur gibt es eine DNA-Spur von BT (nicht Blut, sondern unklare Herkunft). Die zeitliche Zuordnung ist nicht möglich, auch sind die Spuren nicht "übereinander" vermischt, sondern nebeneinander und wurden von der Spurensicherung mit Klebeband abgenommen, abgeschabt und analysiert, daher "Mischspur", weil es auf einem Klebeband ist. Dann wird ausgeführt, dass die Handschuh-Blutspur klar vom Täter gesetzt wurde. Außerdem wird angeführt, dass BT seine DNA beim Auffinden der CB durch anfassen, ansprechen oder sogar Hautschüppchen an das Sakko verbracht haben kann, auch gibt es die Möglichkeit, dass die DNA schon viel früher da hin gelangt ist, z.B. weil BT die Angewohnheit hatte, seiner Tante höflichkeitshalber in Jacken und Mäntel zu helfen. Und dann plötzlich die Aussage, dies sei aber auszuschließen, im Rahmen der "Gesamtwürdigung".
Es wird also ein erstmal neutraler Sachverhalt erklärt (DNA von BT auf Sakko, in der Nähe Blut von CB von Handschuh gesetzt), dann werden Deutungsmöglichkeiten genannt. Dabei gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Deutung auf BT´s Täterschaft hinweist oder aber diese ausschließt. Und in etlichen Fällen wird der Sachverhalt so gedeutet, dass es auf BT als Täter verweist. Selbst wenn es nicht wahrscheinlicher ist. Denn es ist definitiv nicht wahrscheinlicher, dass BT mit Handschuhen zuerst an mehreren Stellen am Sakko ohne Blut seine eigene DNA überträgt (z.B. weil er sich an der Nase kratzt und dann das Sakko berührt) und dann MIT Blut nochmal das Sakko in der Nähe der 1. Spur berührt, als dass er entweder irgendwann seiner Tante mal ins Sakko geholfen hat oder sie beim Auffinden berührt hat oder aber sich über sie gebeugt hat und angesprochen hat.
Im Urteil aber die Deutung: BT hat beide Spuren gesetzt. Punkt abgehakt.
Oder eben die besagte Händigkeit. Erst wird im Urteil ausführlich erklärt, dass der Täter links die Tür aufgehalten hat und CB mit rechts ausgeführten Schlägen zurückgedrängt hat und danach weitere Schläge auf die am Boden liegende CB ausübte, durch die dabei entstandenen Spuren an der Wand etc. lässt sich ableiten, dass ausnahmslos mit rechts zugeschlagen wurde. Aber: trotz der Tatsache, dass BT Linkshänder ist, spricht das nicht gegen ihn als Täter, weil ein Linkshänder ja auch mit rechts Schläge ausführen könnte (und einarmig ist BT ja nicht). Punkt abgehakt.
Die zwei 500 Euro Scheine mit DNA von CB in BT´s Geldbörse: es befanden sich drei 500er im Geldbeutel von BT, zwei davon tragen CB´s DNA. Erklärung von BT: seine Tante hatte ihn als "zu fett" kritisiert und gesagt, er solle Sport treiben und mehr Fahrrad fahren. Weil er sagte, er habe kein Fahrrad (tatsächlich hatte er das Rad ja vom Freund geliehen), gab sie ihm zwei 500 Euro-Scheine um ein Rennrad zu kaufen. Ausführungen dazu: der Bruder MT und weitere Zeugen bestätigen, dass CB durchaus großzügig zu ihren Neffen war und zudem nicht nur grundsätzlich bevorzugt mit Bargeld zahlte, sondern den Neffen, insbesondere BT oft Bargeld schenkte. Zudem laut Zeugenaussage des ital.Wirtes, bei dem CB Mittagessen war, sagte sie, es wäre besser, wenn BT häufiger zu ihm zum Essen gehen würde statt zu Mac Donald´s, denn er sei zu fett geworden. Alternativerklärung: alle drei 500er (bzw. vier, einer wurde ja beim Tanken in Augsburg gewechselt) wurden im Zuge der Tat CB entwendet, ihre DNA ist nur auf zwei Scheinen, weil DNA nicht immer gleich gut haftet. Punkt abgehakt.
Die Liste könnte ich noch erheblich fortsetzen: der Umschlag mit dem Testament, wo BT´s DNA gefunden wurde. Eine Möglichkeit: nachweislich machte er Büroarbeit an diesem Schreibtisch, nachweislich wurde der Umschlag wohl wiederverwertet, da Klebereste unbekannter früherer Herkunft darauf waren und der Umschlag wurde mehrfach geöffnet und wiederverschlossen, aber nachweislich schon früher, da der Klebestreifen ein anderer ist als im Büro. BT kann also früher den Umschlag und auch das Papier, auf dem später das Testament verfasst wurde, in den Händen gehabt haben. Andere Möglichkeit: Nach der Tat ist BT ins Büro, hat die Handschuhe ausgezogen, das Testament gelesen, wieder in den Umschlag zurückgetan und diesen wieder verschlossen. Das Gericht entscheidet sich für die 2. Möglichkeit.
Ich muss sagen, wenn man das Urteil mal genau durchliest, könnte man sich schon gruseln. Es liegt nunmal in der Natur der Dinge, dass Indizien verschiedenste Deutungsmöglichkeiten zulassen. Bei einer gleich hohen Wahrscheinlichkeit für und gegen den Angeklagten, also p= 0,5, sollte gemäß unserem Rechtsverständnis das vielbemühte "in dubio pro reo" gelten. Wenn nun aber die Wahrscheinlichkeit überwiegt, dass der Sachverhalt für die Unschuld des Angeklagten spricht, dürfte das Indiz doch keinesfalls einen Schuldspruch stützen. Natürlich kann kein Statistikmodell errechnen, wie wahrscheinlich etwa bei den 500ern die beiden Varianten sind, aber die bezeugte Geschichte mit dem beabsichtigten Fahrradkauf erscheint mir wahrscheinlicher als die 2. Möglichkeit)