lakelife schrieb:Meine Meinung: Was wäre, wenn der Junge und das Mädchen winkend am Wegrand gestanden hätten? Hätte sich nicht die Erinnerung überlagern und verfälschen können - ah da standen zwei Kinder, eines mit rotem Haar, das müssen Melanie und Karola gewesen sein?
Das ist absolut möglich. Allerdings sollten dann die Kinder ein zumindest ähnliches Ereignis erinnern.
WM schrieb:Was Oma Adele angeht, habe ich mal ihre Zeitangaben, mit denen MWs verglichen. Mir ist aufgefallen, dass die sehr miteinander korrelieren.
MW sagt am 05. August, sie sei gegen 11:20 zur Post gefahren. (S. 10, Abs. 2). Adele A. gibt am 05. August an, die Kinder zwischen 11:00 und 11:15 gesehen zu haben. (S. 13) Das passt schon ziemlich haargenau ineinander.
MW sagt am 06. August aus, sie sei womöglich eine Stunde früher unterwegs gewesen und beruft sich dabei auf ihre Nachbarin Anna S. (S. 15)
Am 11. August gibt Adele A. die Sichtung der Kinder mit 10:00 Uhr an, also exakt um eine Stunde früher an. (S. 34, Abs. 3) Irgendwie später im Buch habe ich dann gefunden, dass MW wohl bereits am 06. August damit konfrontiert wurde, dass die Post nur bis 11:00 aufhat.
Dann ist mir noch aufgefallen, dass MBs Mutter am 11.08.1986 ausgesagt hat, ihre Mutter sei geistig fit und wenn sie aussage, die Kinder gesehen, dann sei das auch so. (S. 29, Abs. 3)
Da stellt sich mir unwillkürlich die Frage, welche Frage der Ermittler gestellt haben mag, die einer solchen Antwort vorangeht.
Am 28.08.1986 -MW hatte da noch keine Nachtversion ausgesagt- bestätigt Adele A. nochmal, dass sie sich sicher sei, den Tag nicht zu verwechseln.
Auch wenn die Frage da nicht steht, muss sie doch irgendetwas gefragt worden sein, ob sie sich sicher sei, sich nicht im Tag zu vertun.
Am 11. August sagt Adele A. außerdem aus, sie hätte gesehen wie der Besuch der NS wegfuht, die Kinder hätte sie bei der Gelegenheit nicht gesehen. (S. 35 Abs. 1)
Anm.: Hat man überprüft, ob der von Herrn F. und Frau Z. angegebene Standort vom Küchenfenster Adele As. einsehbar war? Immerhin stimmen hier die Aussagen in Bezug auf ein und die selbe Situation nicht überein und zwar ausdrücklich, bevor MW überhaupt eine Nachtversion ausgesagt hat.
Zeitangaben sind immer problematisch. Insbesondere bei Zeugen, die miteinander interagiert haben und zwischen oder vor ihren Aussagen miteinander reden.
Aber du sprichst ein viel wichtigeres Problem an - in den Jahren war es allgemein auch bei derartigen Delikten üblich sinngemäß zu (wort-)protokollieren. Da hast Du dann so tolle Schöpfungen wie: "Wenn ich gefragt werde, ob ich am Montag den XY gesehen habe, so bejahe ich dies. Ich kenne den XY gut und er hat mir zugewunken. Weitere Erinnerungen zu dem Vorfall am XX.YY.ZZZZ habe ich nicht. Ich bin mir bewusst, dass ich für falsche Angaben bestraft werden kann." etc. pp.
So redet natürlich kein Mensch, sondern dass ist die Widergabe dessen, was der Protokollierende verstanden hat. Und wie er es verstanden hat. Dann möchte der noch einen guten Job machen, damit man das hinterher besser lesen kann und er verändert es in der Chronologie wie es gesagt wurde. Und nutzt seine Wortwahl. Deswegen klingen diese Sätze im Cichos-Buch so abgehackt und behördlich.
Das Problem ist, dass du damit niemals herausfinden kannst, was genau gesprochen wurde. Sprich - du kannst da NICHTS mehr auf Glaubhaftigkeit abklopfen. Allenfalls noch eklatante Widersprüche.
Das ist in aller Regel kein böser Wille der Ermittler, sondern war damals leider immer noch State of the Art. Das ist bedauerlich, da Loftus eindrucksvolle Experimente zur Suggestion da auch schon 10 Jahre auf dem Buckel hatten. Allerdings ist man da meist noch davon ausgegangen, dass Suggestionen quasi immer willentlich erfolgen. Wie problematisch Befragungen tatsächlich sind und wie wichtig eine wortgetreue Protokollierung der Äußerungen ALLER Beteiligten, hatte man damals noch nicht wirklich verstanden. Selbst heute läuft das vielerorts noch nicht so, wie es sollte.