margaretha schrieb am 11.04.2022:AgathaChristo schrieb:
Da wäre die Frage, inwiefern sie überhaupt noch in der Lage war, ihre Wiedersprüche und Lügen aufrecht erhalten zu können?
Es gibt eine Aussage des Hausarztes der Familie W. vom 14.8.86, demnach verschrieb er MW am 5.8.86 Diazepam und am 7.8. erhielt sie ein weiteres Rezept für das Medikament.
Wenn man mal davon ausgeht, daß sie diese einnahm -was anhand der 2. Verordnung naheliegt- dann war sie trotz des Einflusses des Medikaments fähig:
ihr „Alibi“ vom Supermarkt aufrecht zu erhalten
den anonymen Brief zu schreiben und Angst vor dem anonymen Schreiber ihrer Familie gegenüber zu schauspielern
sich bei der Schwester den Kassenbon von Melanies Schulranzen zu holen, diesen zurückzugeben und das Geld dafür zu holen
sich um die Sterbeversicherung der Kinder zu kümmern
Einen Gebrauchtwagen am 15.8. zu kaufen
ihrem Mann die Liste der Spendengelder vorzuenthalten
usw.
In den letzten Tagen habe ich mir nicht nur das vielzitierte Buch "
Mordakte Monika Weimar" von
Petra Cichos, sondern auch das Buch "
Kindsmord - Der Fall Monika Weimar" von
Heide Platen, seit 1982 Journalistin bei der taz und Beobachterin im 1. Prozess, zu Gemüte geführt.
Viele Aussagen und Prozessbeobachtungen findet man auch im Archiv der taz:
https://www.google.com/search?q=platen+monika+weimar+site%3Ataz.dehttps://www.google.com/search?q=platen+reinhard+weimar+site%3Ataz.de
Dort findet sich auch ein Artikel zum Thema
Medikamente - Verhandlungsunfähigkeit:
Der zweite wichtige Punkt der beiden Hamburger Revisionsspezialisten Schwenn und Strate bezog sich darauf, daß sie entdeckt hatten, daß Monika Weimar während der gesamten Hauptverhandlung immer wieder Diazepam, eine dem Valium gleiche Psycho-Droge, eingenommen hatte. Sie war ihr von der Anstaltsärztin verordnet und von einer Justizbeamtin im Gerichtssaal nach Wunsch übergeben worden. Der Bundesgerichtshof entschied, daß sie durch die Einnahme des Medikaments nicht ständig, sondern nur vorübergehend verhandlungsunfähig gewesen sei. Nachweisen lasse sich die Tabletteneinnahme nur an fünf der 44 Verhandlungstage. Sie habe sich an diesen Tagen nicht anders verhalten als an anderen auch. Weder dem Gericht noch den Verteidigern sei etwas aufgefallen. Wenn sie doch etwas bemerkt hätten, dann wäre es ihre Pflicht gewesen, dies in der Hauptverhandlung vorzubringen und Monika Weimar untersuchen zu lassen. Es ginge nicht an, wenn dies von der Verteidigung „unter den Tisch gekehrt worden ist, um dann in der Revision wieder aufzutauchen“. Es lasse sich keine Klarheit mehr schaffen, „wenn die Situation längst vorüber ist“.
Quelle:
https://taz.de/Revision-im-Fall-Weimar-verworfen/!1821618/Meine persönliche Anmerkung: Wo der Bundesgerichtshof recht hat, hat er recht: Selbst WENN MW an diversen Tagen verhandlungsunfähig gewesen sein sollte, hätte man das dringend 1987/88 klären und MW untersuchen lassen müssen!
Bei meiner Lektüre habe ich mir zwei von
@margaretha angesprochenen Punkte näher angesehen, die beide
weder etwas mit der Tat noch mit dem Motiv zu tun haben, sich aber im Prozess selbst anders dargestellt haben:
margaretha schrieb am 11.04.2022:-sich bei der Schwester den Kassenbon von Melanies Schulranzen zu holen, diesen zurückzugeben und das Geld dafür zu holen.
Die Geschichte mit dem Schulranzen ist sowohl bei Cichos als auch bei Platen erwähnt. Allerdings nicht kongruent:
Cichos, S. 184Aussage Schwester Ursula
Mein Mann und ich haben im Kaufhof für Melanie für 85 DM als Geschenk für die Melanie zur Einschulung den Ranzen gekauft. Vor der Beerdigung brachte Monika den Schulranzen ins Gespräch. Monika fragte mich, ob Kaufhof den Schulranzen zurücknehmen würde. Sie habe doch nach dem Tod der Kinder keine Verwendung mehr dafür. Ich vertrat die Auffassung, dass Kaufhof in der Situation keine Schwierigkeiten macht. Wir vereinbarten dann, dass derjenige, der zuerst nach Bad Hersfeld muss, den Ranzen und den Kassenbon mitnimmt. Entweder am Tag nach der Beerdigung oder etwas später musste Monika nach Bad Hersfeld. Sie holte sich bei mir den Kassenbon ab und erhielt dann anstandslos das Geld. Das Geld hatte Monika dann sofort ausgehändigt.Platen, S. 60Und da ist noch die Geschichte mit Melanies Schulranzen, die die Staatsanwaltschaft belastend für Monika Weimar vorgetragen hat. Der Ranzen wurde gekauft, weil Melanie, wäre sie nicht umgebracht worden, einen Tag nach ihrem Tod vom Kindergarten in die erste Klasse der Grundschule übergewechselt wäre. Die kaltherzige Frau habe ihn, behauptete der Staatsanwalt, zwei Tage nach der Beerdigung in den Laden zurückgetragen und das Geld zurückverlangt.
Dies stellt sich als falsch heraus. Die Mutter und die ältere Schwester erledigten die Transaktion, das Geld bekam die Schwester, die den Ranzen als Melanies Patin auch gekauft hatte. Sie findet vor Gericht nichts Besonderes daran. Der Ranzen, stellt sie unwiderlegbar fest, sei eben nicht mehr gebraucht worden.Meine persönliche Anmerkung: Nanu? War die geänderte Darstellung vor Gericht eine Gefälligkeitsaussage? Oder hat MW zwar den Bon abgeholt und das Geld zurückgegeben, aber ihre Mutter den Ranzen zurückgebracht? Leider erschließt es sich mir nicht, wie Mutter und Schwester die geänderte Aussage begründen.
Auch beim 2. Punkt, die Lebensversicherungen der Kinder, gibt es verschiedene Darstellungen:
margaretha schrieb am 11.04.2022:-sich um die Sterbeversicherung der Kinder zu kümmern.
Cichos, S. 61Aktenvermerk zu den Lebensversicherungen der Kinder
Von Frau Weimar wurde heute in Erfahrung gebracht, dass für die Kinder eine Versicherung über je 15.000 DM abgeschlossen war. Um welche Versicherung es sich handelt, konnte Frau Weimar nicht angeben. Ihr war nur bekannt, dass jedes der Kinder bei Heirat oder Erreichen des 25. Lebensjahres 15.000 DM hätte ausgezahlt bekommen.
Bei Unfalltod oder Invalidität der Kinder, würde sich die Summe ihrer Meinung nach verdoppelt haben. Frau Weimar selbst liegt der Versicherungsvertrag nicht vor. Sie ist der Meinung, dass die Policen ihr Ehemann hat.
Frau Weimar gibt weiterhin an, dass sie selbst den Versicherungsagenten Herrn W. am 11. August 1986 wegen der Todesfälle ihrer Töchter angerufen hat. Herr W. sei dann bei ihr erschienen und habe erklärt, dass in diesem Fall je Kind 5000 DM ausbezahlt werden. Sie hat dann mit ihrem anwesenden Ehemann vereinbart, dass diese Gelder auf ihr Konto überwiesen werden und für Grabschmuck und Denkmal verwandt werden.Platen, S. 85Ihr Ehemann Günther, Reinhard Weimars älterer Bruder, wirkt im Zeugenstand fast so maulfaul wie dieser. Der behäbige 45jährige Landwirt half bei der Suche nach den Kindern mit. Und er klärt ein Detail, das - wie viele andere - dazu gedient hat, von Monika in der Öffentlichkeit das Bild der kalten, egoistischen Mörderin zu zeichnen. Nicht sie, sondern er sei es gewesen, der die Versicherung benachrichtigt habe, dass die Kinder tot seien und gezahlt werden müsse. In einem Gespräch habe sich die Famiie daran erinnert, dass es beim Tod des krebskranken Vaters von Monika Weimar Schwierigkeiten mit der Zahlung gegeben habe, weil die Versichrung nicht fristgerecht benachrichtigt worden war. Die Erinnerung daran sei noch frisch gewesen, und er habe diese Aufgabe übernommen, um sie seiner Schwägerin zu ersparen.Meine persönliche Anmerkung: Beim Bruder RWs würde ich persönlich Gefälligkeitsaussagen zugunsten von MW jeglicher Art ausschließen.
Stellt es sich ganz einfach so dar: Hat er die Versicherung fristgemäß benachrichtigt und diese dann bei MW angerufen? Sie ihren Ehemann beauftragt, die Policen zu suchen und anschließend selbst einen gemeinsamen Termin mit dem Versicherungsagenten vereinbart?
Dann würden sich die Aussagen nicht gegenseitig ausschließen, sondern lediglich ergänzen.
Um auf die Ausgangsthese zurück zu kommen: MW war nach den Morden an ihren Kindern und der Medikamenteneinnahme genau wie ihr Ehemann nicht komplett handlungsunfähig. Sie haben offensichtlich beide irgendwie "funktioniert".
Dazu gehört auch
margaretha schrieb am 11.04.2022:-Einen Gebrauchtwagen am 15.8. zu kaufen
Dieser Kauf wird sowie bei Cichos als auch bei Platen als
vorher (am Wochenende VOR dem Verschwinden der Kinder) geplant angegeben, s. Cichos, S. 68.
Frau Cichos schreibt dazu als persönliche Anmerkung:
"Wie hoch war eine Woche vor dem Tod der Kinder der Kontostand von MW? Wie hoch war der Kontostand von RW? Kontobelege oder Notizen dazu sind nicht in den Akten zu finden."
Meine persönliche Anmerkung: Ja, das hätte mich auch interessiert. Sehr schade, dass weder Kontoauszüge noch telefonische Verbindungsnachweise existieren!
Aber zurück zum Autokauf:
Platen, S. 61Das Auto spielt in den Familien eine sehr große Rolle. Es ist ein Gegenstand, um dessen Besitz erbittert gestritten wird. Es ist nicht nur ein Symbol, sondern bedeutet reale Freiheit. Wer ein Auto hat, kann den Ort verlassen. Meist gewinnen die Männer. Wenn das Auto defekt ist, sitzen auch sie fest.
...
So ist auch zu verstehen, was Monika Weimar negativ angekreidet wurde. Sie kaufte nach Auszahlung der Versicherungssumme ein vor der Beerdigung bestelltes und erst danach geliefertes Auto. Den Wagen, in dem ihre Kinder transportiert wurden, wollte sie nicht mehr. Vor allem die Nebenklage hatte ihr den Autokauf als berechnende Herzlosigkeit ausgelegt. Eine trauernde Mutter kauft kein Auto. Erst während des Verfahrens wird öffentlich, dass Reinhard Weimar, dem auch ein Versicherungsanteil ausgezahlt wurde, ebenfalls ein neues Auto kaufte. Denn: ohne Auto geht nichts in der Gegend.Meine persönliche Anmerkung: Es ist schlüssig, dass beide Weimars das bisherige Familienauto nicht mehr fahren wollten und angesichts der Scheidung auch beide ein Auto besitzen wollten/mussten.
Allerdings würden mich die Kontostände jetzt noch mehr interessieren. 10000 DM Versicherungsgeld reicht schwerlich für zwei Autos, Grab und Denkmal.