@Aggie Aggie schrieb:Was mich jedoch interessiert: wäre die Polizei rechtlich verpflichtet gewesen, ihre Vernehmungen auf Tonträger aufzuzeichnen?
Gute Frage, hier bewegen wir uns in einer Grauzone. Ich habe bisher in dem italienischen Gesetzestexten
http://www.leggeonline.info/ (Archiv-Version vom 20.09.2014) dazu nichts finden können, das wird auch wohl eher in Dienstanweisungen zu finden sein als im Gesetz.
Es werden verschiedene Argumente angeführt, warum die Polizei (angeblich) nicht verpflichtet war, diese Befragungen aufzuzeichnen:
Befragungen von Zeugen müssen nicht aufgezeichnet werden, oder werden generell nicht aufgezeichnet. Knox und Sollecito wurden hier als Zeugen befragt, deshalb keine Aufzeichnung. Wenn man dan weiterargumentiert, dass Knox spätestens nach der um 1:45 Uhr unterschriebenen Erklärung eine "Verdächtige" war und sich fragt, warum dann auch von der Befragung die zur um 5:45 Uhr unterschriebenen Erklärung führte keine Aufzeichnung existiert, bekommt man zur Antwort, dass diesem Schriftstück nur eine sog. "spontane Erklärung" von Knox vorausgegangen ist (Knox schildert das natürlich anders), die ebenfalls nicht aufgezeichnet werden müsse. Daraus schliesse ich, dass nur Verhöre von Verdächtigen aufgezeichnet werden müssen.
Diese Argumentation ist allerdings komplett hinfällig, wenn man sich ansieht, warum Sollecito am späten Abend des 5. November 2007 zur Befragung gerufen wurde. Die Ermittler haben schon sehr früh angefangen die Telefone der beiden abzuhören. Dabei haben sie erfahren, dass Sollecito immer ein Taschenmesser bei sich hat und dies auch bei den bisherigen Befragungen bei sich hatte. (Honor Bound, Kindle 796):
Then my father called and asked about my pocketknife. Carrying a small knife had been a habit of mine since I was a teenager—not for self-defense, mind you, just as an ornamental thing. I’d use one occasionally to peel apples or carve my name on tree trunks, but mostly I carried them around for the sake of it. Having a knife on me had become automatic, like carrying my wallet or my keys. The one in my pocket that day had been a present from my father.
“You should really leave it at home,” Papà advised. “You don’t want to get into trouble over it.”
I hadn’t given the knife a second thought. Now that he mentioned it, I still couldn’t see the harm. The blade was barely three inches long and hadn’t been opened in weeks. Besides, what kind of idiot killer would bring the murder weapon to the police station?
“Don’t worry,” I told my father. “I’ve had my knife on me every day and they haven’t even noticed
it.”
Whoever was listening at the Questura pricked up their ears; I certainly had their attention now.
Aus den Telefonaten von Knox wussten sie, dass Frau Mellas am folgenden Tag in Perugia eintreffen würde. (Waiting to Be Heard, Seite 255):
Judge Matteini sent me her decision about house arrest on May 16: “Denied.” By then the prosecution had stacked so much against me that Guede’s testimony hadn’t even figured in her decision. Even though I hadn’t left the country before my arrest, the judge was certain that Mom would have helped me leave when she was to have arrived in Perugia on November 6. That, she said, is why the police planned to arrest me before Mom could get to me. It turned out that they’d gotten her itinerary the same time I did—by bugging my phone.
Da muss man sich doch die Frage stellen, ob Knox und Sollecito wirklich nur als "Zeugen" befragt werden sollten?