rayden schrieb:Dass sie ihn vielleicht doch nicht (gut) kannte?!
Das vermute ich auch. Ich bin sicher, der Täter kannte Frauke recht gut, ich denke die ganze Tat zeigt, dass er sehr fixiert auf sie war. Umgekehrt allerdings vermute ich, kannte Frauke ihn zwar, aber nur sehr oberflächlich, vielleicht nicht einmal den kompletten Namen. So wie man z.B. einen Kollegen im Krankenhaus kennen würde: "Das ist Pfleger Michael von der Station A, den seh ich jeden Tag zwei, drei Mal, aber keine Ahnung, wie der mit Nachnamen heisst..."
Dass sie ihn überhaupt kannte sagt mir, dass sie freiwillig mit ihm in ein Auto etc. stieg, am Beginn der ganzen tragischen Saga. Denn an eine gewaltsame Entführung in Paderborn denke ich nicht, wegen der 1. SMS.
Wozzeck schrieb:Ich teile Deine Einschätzung, dass der spätere 'Täter' keinen Plan verfolgt hat. Wie ich bereits mehrfach geschrieben habe, alles deutet auf eine progressive Dynamik hin. Ich glaube eher, dass sich dieses unbedingte Bedürfnis des Täters, mit FL zusammen sein zu wollen, erst im Laufe des gemeinsamen Zusammenseins einstellte und er FL - vermutlich wenigstens zu Beginn - mit vielerlei Worten und psychologischen Spielchen dazu bewegen konnte, weiter und weiter nachzugeben und den Zeitraum, den sie ihm einräumte, Schrittweise auszudehnen. Ich bin mir aber auch darüber im Klaren, dass diese Taktik bei FL vermutlich bereits im Laufe der ersten Nacht, vielleicht am frühen Morgen, an ihre Grenzen gestoßen sein dürfte. Muss das aber bedeuten, dass es tatsächlich zum Ausbruch von unmittelbarer Gewalt kam? Ich denke nicht. Vielmehr kann es auch FL zu Bewusstsein gekommen sein, dass - würde sie es darauf ankommen lassen - unmittelbarer Zwang die Folge wäre, wodurch sie sich evtl. entschied, sich noch weiter auf den psychischen Zustand ihres Gegenübers einzulassen. Ich finde, vieles spricht dafür, dass FL sich ausgesprochen vernünftig und besonnen verhielt und dem Umstand Rechnung trug, dass sie sich - unbemerkt - in die Hand eines psychisch labilen und daher ausgesprochen unberechenbaren Menschen begeben hatte.
Wozzeck schrieb:Genau... Ich denke, dass wir überhaupt mehr von der Tat wissen, als nur von dem Leichenfund, verdanken wir diesem Charakterzug von FL. Es ist ihr gelungen, sich in dieser schwierigen Situation eine Stimme zu geben, noch aus den Händen ihres späteren Mörders ihrer Familie Nachrichten zukommen zu lassen. Das scheint mir ziemlich einzigartig und m.E. klar mit der besonderen Persönlichkeit von FL zu erklären. Sie muss tatsächlich unglaubliche innere Stärke und viel Mut besessen haben, um ihre Situation in dieser Lage noch beeinflussen zu können. Sicherlich war sie stärker als das armselige Würstchen, dass ihr vermutlich letztlich doch das Leben nahm. Leider ist das ein häufiger Ausgang in vergleichbaren Konstellation. Nichtsdestotrotz sollte man diesen speziellen Zug in FL im Andenken bewahren und sie nicht ein zweites, drittes und x-tes Mal zum Opfer machen, in dem man ihr abspricht, was ihr offensichtlich gelungen ist, nämlich sich noch in ihrer dunkelsten Stunde nicht vollständig ergeben sondern gekämpft zu haben.
Genau so stelle ich mir das auch vor. Der Täter war fixiert auf sie, war sehr realitätsfern von dem Gedanken beherrscht, sie irgendwie dazu bringen zu können, eine freiwillige Beziehung mit ihm aufzubauen. Sie hat das vermutlich recht schnell begriffen und gespürt und es ergab sich ein Hin- und Her des "Wohlverhaltens." Die Telefonate sehe ich als Belohnung: wenn Frauke sich "wohlverhielt," wie auch immer das gewesen sein mag, z.B. keine Ausbruchsversuche, dann durfte sie telefonieren. Und je "wohler" sie sich verhielt, desto mehr Versprechungen machte der Täter. Ich denke, an dem einen oder anderen Punkt könnte sich die Lage so entspannt dargestellt haben, dass beide tatsächlich daran glaubten, dass Frauke wieder nach Hause gehen dürfte.
Frauke mag da ganz bewusst mitgespielt haben: "ich telefoniere und siehste, ich hab' nichts verraten! Du kannst mir vertrauen. Wenn du mich freilässt, werde ich auch nichts verraten. Bist ja gar kein schlechter Kerl." - "Ja, morgen darfst Du wieder nach Hause." Nur 30 Minuten später schwingt das Pendel, er bekommt Angst, dass er doch verraten werden wird. Und nun muss Frauke mühsam wieder dieses Vertrauen aufbauen, es gelingt ihr, wieder ein Telefonat zu erhalten, wieder zeigt sie, dass man ihr vertrauen kann, wieder ein Versprechen: "na gut, morgen dann..." - Und wieder überkommt den Täter Panik.
Das Ganze kostet Frauke sehr viel Kraft. Am Ende resigniert sie vielleicht, wie es manche aus dem letzten Telefonat herauslesen wollen. Und das bringt dann auch den Täter dazu, seine Hoffnung, es gäbe irgendwie ein positives Ende der ganzen Sache, zu begraben. Keine Telefonate mehr. Im Gegenteil.
Der Fall ist so einzigartig, da wir es meiner Meinung nach mit einer recht seltenen Lage zu tun haben: es gibt sehr tiefe Emotionen auf der Täterseite. Und einen gewaltigen Realitätsverlust, einen Wahn, der aber leider sonst nicht dazu geführt hat, dass er unzurechnungsfähig war und grobe Fehler machte.
Also kurz gefasst: Der Täter war krankhaft auf Frauke fixiert. Er erhoffte sich, dass er eine wie auch immer genau geartete "Beziehung" mit ihr "erzwingen" konnte. Frauke hat das während ihrer Gefangenschaft realisiert und versucht, das auszunutzen, hat dabei aber leider am Ende nicht geschafft, den Täter von seiner Angst vor Strafe zu befreien. Dieser hat, als Frauke immer erschöpfter wurde, dann mehr und mehr Angst bekommen, sich vielleicht auch selbst mehr und mehr als Versager gesehen und dann alles zusammen, Angst und Wut auf sich selbst, auf Frauke, auf die Situation in einer Gewalttat gebündelt.
Ich glaube nicht, dass er dieses Ende vorhergesehen oder gar geplant hatte. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum man bisher auf ihn nicht gekommen ist: vielleicht macht er in seinem Umfeld den Eindruck, er könne keiner Fliege etwas zu Leide tun und niemand kann sich ihn als Mörder vorstellen.