Nach meiner Ansicht sprechen mehrere Gründe für die Gegend um Altenbeken/Bad Driburg als Festhalteort. Und ich finde es sehr nahliegend, dass der Täter sich einen anderen Ort für die Telefonate aussuchte.
Gründe für PB als Ort der Telefonate (aus meiner Sicht):
1. Die Gewerbegebiete waren über die B64 von Altenbeken/Bad Driburg aus sehr gut und weitgehend unproblematisch zu erreichen: kein innerstädtischer Verkehr, eine weitgehend vorfahrtsberechtigte Fahrt auf einer gut ausgebauten Bundesstraße in einer ländlichen Gegend, vermutlich ohne viel Verkehr (zumindest zu den Zeiten der Telefongespräche) - dennoch genügend Abstand zwischen Gewerbegebieten und (von mir vermutetem) Festhalteort.
2. Sinnvoll war auf jeden Fall ein Ort für die Telefonate, der nicht nur gut erreichbar, sondern als vermeintlicher Festhalteort auch groß genug war, um die Suche nach FL zu erschweren.
3. Das erste Telefonat hatte offensichtlich (jedenfalls in meiner Wahrnehmung) die Funktion, ein freiwilliges Wegbleiben vorzutäuschen.
Das setzte voraus, dass auch die 1. SMS als glaubwürdig angesehen wurde. Diese Einschätzung konnte der Täter dem - kurz vor (!) dem ersten Anruf - veröffentlichten Appell an FL, sich zu melden, entnehmen. (Wäre man zu diesem Zeitpunkt bereits von einer Entführung ausgegangen, wäre ein solcher Appell sinnlos gewesen.)
Wenn die 1. SMS also als freiwillig eingeschätzt wurde, lag die Vermutung sehr nahe, dass FL (zumal sie am nächsten Tag früh aufstehen musste, um entweder zur Schule oder ins Krankenhaus zu gehen) mit einer Person aus ihrem engeren Umkreis in die Nieheimer Gegend gefahren sei.
Dann war es für den Täter nur konsequent, diesen Ansatz fortzuführen. In PB kannte FL, obwohl sie dort erst seit einem Jahr lebte, bereits eine Menge Leute, und damit gab es eine Menge Möglichkeiten (das alles wohlbemerkt aus der Sicht eines Täters, der nach meiner Einschätzung FL nur flüchtig kannte), wo Fl mal für ein paar Tage wohnen konnte.
Auf jeden Fall unterstützte es die "Harmlosigkeit" ihres Wegbleibens, wenn sie sich zumindest wieder in PB aufhielt. Es suggerierte eine "Normalisierung", auf die FLs Angehörige (zuerst) auch mit großer Erleichterung reagierten. Die beruhigende Wirkung dieser "Rückkehr" nach Paderborn wäre nach meiner Ansicht für den Täter leicht vorstellbar gewesen.
Ich hatte mich gestern schon mal auf einen Band der vom BKA herausgegebenen Forschungsreihe bezogen, auf den
@Drosselpart hier auf S. 3479verwiesen hat: J. Hoffmann/C. Musolff: Fallanalyse und Täterprofil, Wiesbaden 2000. (Leider gelingt es mir nicht, den von drosselpart eingefügten Link zu dem online verfügbaren Text zu kopieren.)
Dort heißt es in einem Kapitel zur Tatrekonstruktion (S. 167):
"Die Fallanalytiker des BKA betonen die Wichtigkeit eines sequentiellen Vorgehens bei der Tatrekonstruktion und bei der Tathergangsanalyse im Allgemeinen. Sequentiell meint hier, dass bei der Nachbildung der Tat ein Handlungsschritt nur mit den vorangehenden Geschehnissen begründet werden darf und nicht mit den nachfolgenden. Dies soll die Realität des Tatverlaufs und die Perspektive des Täters besser nachvollziehbar werden lassen, da das Verhalten von Täter und Opfer von den jeweiligen bisherigen Ereignissen determiniert war und nicht vom jeweils künftigen, noch nicht existenten Hergang des Verbrechens."
Das ist nicht so banal, wie es zunächst vielleicht klingen mag. Ich halte es jedenfalls auch für eine gute Herangehensweise an den Fall FL. (Beim Versuch einer Tatrekonstruktion jeden Schritt nur aus den vorausgegangenen abzuleiten, bedeutet aber
natürlich nicht, dass er im Widerspruch zum Späteren stehen darf.)
Ich finde es - inzwischen - nicht mehr sinnvoll, davon auszugehen, der Täter habe alles von Anfang an genau geplant. Der Täter hatte zwar meiner Ansicht nach einen Plan und vieles sehr gut vorbereitet, aber ich glaube, er konnte auch flexibel auf für ihn günstige (und für ihn nicht vorhersehbare) Gelegenheiten reagieren. Und es ist auch keineswegs auszuschließen, dass es eine dynamische Weiterentwicklung seiner Absichten während des Verbrechens gab.
Nach meiner Ansicht sind verschiedene Ereignisse unter dieser Prämisse eher erklärbar, als wenn man sie als Bestandteil eines von Anfang an in allen Details fixierten Plans sieht.