Mordfall Tristan
04.05.2013 um 15:52
Nochmal eine Presse-Info von mir
Mord an Tristan Brübach Die losen Enden
23.03.2013 · Vor 15 Jahren wurde das Kind Tristan Brübach ermordet, mitten am Tag, brutal. Der Fall ist ungeklärt. Ermittler Uwe Fey sagt: So darf das nicht bleiben.
Von Denise Peikert, Frankfurt
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Uwe Fey - Der Frankfurter Mordermittler ist der letzte und einzige, der noch an dem Mordfall Tristan Brübach ermittelt. Wie es ist, immer wieder an einer über Jahre ungelösten Aufgabe zu knabbern. © Fricke, Helmut
In diesem Tunnel am Bahnhof Höchst wurde Tristan vor 15 Jahren Tristan ermordet. Kriminalermittler Uwe Fey (oben) tut alles, damit der Fall kein ungelöster bleibt.
2010 setzt sich Kriminalhauptkommissar Uwe Fey in sein Auto und fährt nach Südfrankfreich. Bei der Fremdenlegion dort gibt es einen Mann, für den er sich interessiert. Ein Söldner im Dienste der französischen Armee. Der in Tschechien war, kurz bevor in Frankfurt der 13 Jahre alte Tristan Brübach ermordet worden ist. Der seinen Weg zurück über Frankfurt genommen haben muss, ein Mann, bei dem vieles passt. Fey will ihn als Tatverdächtigen vernehmen, ein französisches Gericht hat ihm das erlaubt. Als er in Perpignan ankommt, 30 Kilometer vor der spanischen Grenze, reicht ein Blick in den Einsatzplan der Fremdenlegion: Der Söldner hat ein Alibi. Fey sagt, dass er trotzdem mit dem Mann reden möchte, weil er doch vielleicht etwas weiß über den schon seit zwölf Jahren ungelösten Fall. Er darf es nicht. Seine Erlaubnis, Fragen zu stellen, gilt nur für einen Beschuldigten. Durch das Alibi ist der Fremdenlegionär jetzt aber nur noch Zeuge. Und eine Zeugenvernehmung, sagen die Franzosen, muss Fey neu beantragen.
So war das: 1141 Kilometer hin, 1141 Kilometer zurück, 20 Stunden Autofahrt. Keine Antworten.
Wer aufgibt, hat schon verloren
In seinem Büro im Frankfurter Polizeipräsidium verschränkt Uwe Fey seine Arme vor dem Bauch. Er ist keiner, der mit dem Schicksal hadert. Er ist einer, der einfach sagt, sein Kollege fliege nicht gerne und deshalb seien sie damals mit dem Auto nach Frankreich gefahren. Lautes Lachen. Anders könnte Fey das alles auch gar nicht aushalten. Den Gedanken an den Transporter, den er mit roten Plastikkörben vollgeladen hatte, 2000 Akten aus dem Gefängnis in Höchst, deren Auswertung nichts brachte. Die Erinnerung an die 54 Männer, die sich weigerten, ihre Fingerabdrücke abzugeben, 54 von 4600. Die Momente, in denen er alles wieder auf Anfang stellen musste, obwohl er sich gerade noch sicher war, den Mörder zu haben. Das halbe Jahr, das ihm verlorengegangen ist, weil er in einen Rosenkrieg verwickelt wurde. Es ist, als würde einer versuchen, Pompeji auszugraben. Und andauernd bricht der Vesuv wieder aus.
Wer aufgibt, sagt Fey, hat schon verloren.
Die Eisengitter sind längst rostig
Uwe Fey stellt seinen Dienstwagen immer auf der Sperrfläche vor dem Zebrastreifen am Höchster Bahnhof ab, wenn er zu dem Ort fährt, wo Tristan getötet wurde. Er schmeißt die Polizeikelle auf den Beifahrersitz. Dann sind es noch 300 Meter bis zur Böschung, die steil abfällt, hinunter zum Liederbach, der neben dem Bahnhof durch einen Tunnel fließt. Im Tunnel, auf dem Wandsockel, wurde Tristan damals gefunden, hingelegt, als schliefe er, mit aufgeschlitzter Kehle und ohne Hoden.
Die Tunneleingänge wurden kurz nach dem Mord an dem Jungen vergittert. Die Eisenstäbe sind längst rostig. Fey hat einen Schlüssel, um die Tür aufzuschließen, aber er benutzt ihn nicht oft. Im tropfnassen Schummerlicht gibt es nicht viel zu sehen. Und Fey kennt sowieso alles. Die Peter-Bied-Anlage, wo Tristan zuletzt gesehen wurde. Das schmale Haus an der Liederbacher Straße, in dem er gewohnt hat. Den Spielplatz, auf dem die drei Kinder gespielt haben, die, ohne es zu wissen, einen Mord beobachtet haben.
Abkürzung durch den Tunnel
Fey ist 51 Jahre alt, seit er 16 ist, ist er bei der Polizei, seit 23 Jahren bei der Mordkommission. Es gibt ein paar Fälle, die er nicht lösen konnte. So ist das: Er kann zwar nicht immer beweisen, wer der Mörder ist. Aber er ist immer überzeugt davon, sagt er, zu wissen, wer der Mörder ist. Bei Tristan weiß er es nicht.
Tristan war an dem Donnerstag im März früher als sonst aus der Schule nach Hause gegangen, weil er Rückenschmerzen hatte. Zuletzt wurde er um kurz nach drei in einem Park in der Nähe des Höchster Bahnhofs gesehen. Der Tunnel, durch den dort der Liederbach fließt, war damals eine Abkürzung, die die Kinder oft nahmen, um vom Bahnhof nach Unterliederbach zu kommen. Vielleicht entschied sich auch Tristan am 26. März 1998 dafür. Um halb vier wollten drei andere Kinder durch den Tunnel gehen, stockten aber, als sie im Dunkel einen Mann bemerkten, der sich über etwas am Wandsockel beugte. Sie kehrten um.
Der Mörder hinterließ außer Entsetzen nicht viel
Der Mörder, den sie beobachtet hatten, hinterließ Entsetzen, ansonsten aber nicht viel. Einen verschmierten Abrieb in Tristans Schulbuch, als er sein Messer auf einer der Seiten abwischte. Einen blutigen Fingerabdruck, von so schlechter Qualität, dass er mit keiner Datenbank automatisch abgeglichen werden kann. Tristans Rucksack mit einer DeutschlandKarte auf Tschechisch im Wald bei Niedernhausen. Die Hoden des Jungen und die Teile seiner Muskeln, die der Mörder herausschnitt und in dem Rucksack abtransportierte, wurden nie gefunden.
So etwas, sagt Fey, muss aufgeklärt werden.
„Ich hab Scheiße gebaut“
Aber wo sind die losen Enden? Wenn es sie gibt, dann stecken sie irgendwo in den rund 380 Aktenordnern, die der Fall füllt und in denen 21000 Spuren abgeheftet sind. Nebeneinandergestellt wären die Ordner 22 Meter lang. 2006 hat Fey sie das letzte Mal ganz durchgesehen, Seite für Seite, mit der Hoffnung, dass in den acht Jahren zuvor etwas übersehen worden sein musste. Er fand es. Ein Mädchen hatte am Liederbach einen Mann mit einem Pferdeschwanz aus einem Gebüsch kriechen sehen. Eine Woche nach der Tat, das stand ganz woanders in den Ordnern, war ein Mann mit Pferdeschwanz in einer Frankfurter Anwaltskanzlei aufgetaucht, verwirrt und mit den Worten: „Ich hab Scheiße gebaut.“ Und fast gleichzeitig, las der Ermittler in den Akten, hatte ein Mann mit Zopf in Hofheim einen Jungen in einem Kindergarten belästigt. Fey fieberte: Meinen die alle denselben?
Jahre nach dem Mord entstand ein erstes Phantombild, von einem hageren Mann mit blondem Zopf und einer großen Narbe über der Lippe. 2010 wurde das Bild veröffentlicht.
Die Versager verstecken sich hinter Karriere und Ehrgeiz
Bis heute wurde der Mann, der darauf erfunden wird, nicht gefunden. Das Bild hängt an Feys Pinnwand und verhöhnt den Misserfolg. Davor steckt das Bild des ermordeten Jungen, mit halboffenen Augen, gescheiteltem Pony und mahnt die Aufklärung. Wir kriegen ihn, sagt Fey.
Fey hält nicht viel von den Profilern, wie man sie aus amerikanischen Krimiserien kennt. Er findet, gesunder Menschenverstand reicht aus. Und der sagt ihm, dass der Mord an Tristan ein Sexualverbrechen war. Die Leute von der Operativen Fallanalyse aus Bayern, Spezialisten, eigentlich auch eine Art Profiler, sagten dasselbe, fügt er hinzu. Das macht Fey selten: Jemanden anführen, um seine Meinung zu stützen. „Hinter Karriere, Ehrgeiz und Führungsstreben verstecken sich die eigentlichen Versager des Lebens“, steht auf einer Karte in seinem Büro. Dieses Mal spricht er von den Leuten aus Bayern, die seiner Ansicht sind, weil im Mordfall Tristan Brübach lange Zeit niemand an ein Sexualverbrechen glaubte. Was, fragt Fey, soll es denn sonst sein? Er redet von dem professionellen Schnitt, den der Mörder am Schambein von Tristan ansetzte, von der „Schlachtanleitung für Knaben“, die er im Internet gefunden hat, und davon, dass es ja nur einen Grund dafür geben könne, warum man Tristans Hoden nie gefunden habe. Und dann ein Satz wie Sackhüpfen im Schützengraben: „Das Monster ist der nicht.“ Fey sagt das mit leichtem hessischem Zungenschlag. Pause. „Unser Täter ist überhaupt nicht auffällig.“
Ist da jemand nervös?
Wie jemanden finden, der nicht auffällt? Von 2002 an haben nahezu alle Männer zwischen 18 und 49 Jahren, die zur Tatzeit in Höchst und Unterliederbach wohnten, ihre Fingerabdrücke abgegeben. Fey ist zu jedem hin, der nicht wollte. Vor einem baute er sich auf: „Ich hole jeden einzelnen Fingerabdruck. Dann sind Sie der Einzige, der übrig ist, und dann nehme ich Sie fest.“ Zwei Jahre hat das alles gedauert. 54 Männer verweigerten sich. Ein Riesenaufwand. Kein Ergebnis.
Das erste Mal war Fey sich 2003 sicher: Wir haben ihn. Drei Mal am Tag klickte der Mann, Familienvater, unauffällig, nicht viele Freunde, am Tattag krankgeschrieben, die Internetseite an, die das Bundeskriminalamt zu dem Fall Tristan eingerichtet hatte. Drei Mal am Tag, dabei gab es nur selten etwas Neues. Fey dachte: Ist da jemand nervös? Durchsuchung, Festnahme, das ganze Pipapo, sagt Fey. „Und dann ist das Ding geplatzt wie eine Seifenblase.“ Die Frau des Mannes hatte, in Angst um ihren Sohn, damals im Tristan-Alter, immer wieder auf die Website geklickt. So war das: ganz einfach zu erklären.
Mord wird in Stunden gerechnet
„Meine Alte, diese Drecksau.“ Das war das zweite Mal, dass Fey sich sicher war, am Frankfurter Flughafen: ein Postdirektor a.D., verheiratet, vier Kinder, integrer Mann, vom Haus seiner Familie in Höchst kann man das Haus sehen, in dem Tristan wohnte. Die Frau des Mannes, der inzwischen in den Vereinigten Staaten lebte, gab Fey die entscheidenden Hinweise: Dass die Familie genau zur Tatzeit zu Besuch in Frankfurt gewesen sei. Wen er fragen müsse, um mehr über ihren Mann zu erfahren, der das vielleicht, bestimmt, O Gott!, gewesen sein könnte. Alles passte. Bis auf den Satz am Flughafen, den der Mann sofort sagte, als sie ihn bei einem Besuch in Frankfurt festnehmen wollten. Was wie ein fertiges Puzzle ausgesehen hatte, zerbröselte zu einer gutgestrickten Intrige: Der Mann war zur Tatzeit auf einem Kongress in Brasilien, seine Frau hatte Zeugen bestochen, damit die Fey das erzählten, was sich so passend anhörte. So war das: Die Frau wurde wegen Verleumdung zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt, Fey verlor ein halbes Jahr Zeit. Ein halbes Jahr! Wo doch bei Mord eigentlich nur in Stunden gerechnet wird, den 48 ersten, in denen die Spuren noch frisch, die Erinnerungen der Zeugen noch klar sind.
Von 150 Beamten, die nach Tristans Tod ermittelt haben, ist nur Fey übrig geblieben. Normalerweise. Bis vergangene Woche haben sie im Polizeipräsidium eine heiße Spur verfolgt, da bekam er Hilfe von den Kollegen. Seit langem sah es mal wieder so aus, als könnten sie ihn haben. Inzwischen weiß Fey, dass der verdächtigte Mann unschuldig ist. Schon wieder.