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Mordfall Hinterkaifeck

51.942 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Bauernhof, Hinterkaifeck ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Hinterkaifeck

Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 00:21
Um vielleicht wieder zurück zum Thema zu kommen. Was spricht für, was spricht gegen LS als Täter. Ich denke, das wurde hier noch nicht besprochen. 🤭

Daher möchte ich hier mal den Anfang machen.

Übrigens, mir ging es genau wie FZ, ich war anfangs auch von einer Schuld des LS überzeugt und je mehr ich mich die letzten Jahrzehnte in die Dokumente eingelesen habe, desto weniger war ich von seiner Schuld überzeugt.

(+) Übertötung - Beziehungstat
(+) Ermorden unschuldiger, ungefährlicher Kinder - Beziehungstat
(+) Keine Wegnahme von Geld, Gold und Wertsachen

(-) Anderweitig vergeben und verheiratet
(-) Körperlich schwache Verfassung

uvam.

Es war ja nicht so, dass die Polizei damals irgendetwas unversucht gelassen hätte und unter erheblichem Ermittlungsdruck stand.

Ein "Ach, der LS war's wahrscheinlich, lassen wir ihm mal durchgehen" ist doch eher unwahrscheinlich.


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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 00:36
@PhilippGeorg
Alles, was Du unter für und wider beschreibst, trifft für mich alles auf den von Dir genannten LS zu.

Z. B. hält einen Asthmatiker in der Raserei nichts auf, das Argument habe ich schon immer für schwach gehalten. Ich kenne Asthmatiker, die halten sehr lange still, aber bricht die Wut aus ihnen heraus, dann bleibt kein Auge trocken.

Auch vergeben und verheiratet bedeutet nicht, dass er etwas vergessen hat. Gekränkte Eitelkeit und Eifersucht sind eher ein noch wichtigeres Motiv für mich.


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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 07:35
Zitat von AllgoriaAllgoria schrieb:ch habe den Bericht sogar mehrfach gelesen. Er ist gut gemacht und beschreibt viel Zeitkolorit. Ich fand ihn sachlich und gut formuliert.
Ich habe ihn auch gelesen. Sonst würde ich ja nichts dazu schreiben. Es geht ja hier auch nur darum, dass einige Leute offenbar nicht einsehen wollen, dass da keine Sensationen drin enthalten sind und dass eben auch kein Täter "ermittelt" wird.

Und deshalb ist es völliger Blödsinn zu behaupten, der Bericht würde aus irgendwelchen Gründen unter Verschluss gehalten. Das ist nämlich so ein seltsamer Zirkelschluss, den offenbar einige Leute anstellen: "Der Bericht wird unter Verschluss gehalten, also muss da eine Sensation drin enthalten sein, und das kann ja nur bedeuten, dass da der [hier Name des jeweiligen Lieblingstäters einsetzen den man gerne überführt sehen will] als Täter benannt wird."

Was aber eben so nicht stimmt. Insofern hoffe ich, dass da endlich Ruhe einkehrt, wenn das wieder zugänglich ist und dann die entsprechenden Leute eben feststellen, dass sie da eine völlig übertriebene Vorstellung haben und eben nicht darin enthalten ist, was sie gerne hätten.


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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 13:56
@PhilippGeorg
Danke, dass Du zum Thema zurückkommst.

Deine Argumente bzw. deren Deutung, sind natürlich dann schlüssig, weil sie dann für Dich eine stimmige Geschichte ergeben.
Ich möchte mal einige alternative Sichtweisen aufzeigen, die "meine" Version rund machen.
Zitat von PhilippGeorgPhilippGeorg schrieb:(+) Übertötung - Beziehungstat
Eine Übertötung ist nicht immer ein Hinweis auf eine Beziehungstat. Frau Prof. Dr. Kastner beispielsweise nennt auch die Möglichkeit, dass Opfer gerade bei Gewalt gegen den Hals/Kopf noch Geräusche von sich geben. Damit könnte ein Täter annehmen, trotz bereits tödlicher Wunden, dass das Opfer noch lebt und weitermachen. Darüberhinaus waren die Lichtverhältnisse sicher sehr ungünstig und der Täter konnte optisch keine Feststellungen treffen, ob bereits ausreichende Schläge ausgeführt wurde.
Zitat von PhilippGeorgPhilippGeorg schrieb:(+) Ermorden unschuldiger, ungefährlicher Kinder - Beziehungstat
Unschuldig - da stimme ich zu. Ungefährlich - nicht zwingend. Gerade Cilli hätte sich in ihrem Alter ausreichend artikulieren können, um Hinweise auf den Täter zu geben. Sie hätte zudem wegrennen können.
Im Fall des Josefs wiederum sehe ich das anders. Der hatte während der Tat geschlafen und gar nichts mitbekommen. Bei einem Zweieinhalbjährigen wäre der Informationsgehalt ohnehin nicht sehr ergiebig gewesen.
Dass er starb hatte entweder mit Hass zu tun oder aber damit, dass der Täter durch diesen einen Hieb aus der Verantwortung stahl, sich eventuell mit einem weinenden, schreienden Kind konfrontiert zu sehen. Das gilt natürlich besonders dann, wenn der Täter den Hof nicht gleich verlassen wollte. Aber auch dann wäre das Zurücklassen eines Kindes nur dann "verantwortungsvoll" (klingt höhnisch, ich weiß), wenn für eine rasche Auffindung gesorgt wäre. Aber das wäre dann ja nicht im Interesse des Täters.
Vielleicht spielt auch ne Rolle, dass Kinder damals nicht denselben Stellenwert hatten wie heute und deren Tod anders wahrgenommen wurde.
Zitat von PhilippGeorgPhilippGeorg schrieb:(+) Keine Wegnahme von Geld, Gold und Wertsachen
Das ist halt die Frage. Was war vor der Tat da, was wurde weggenommen? Wissen wir nicht. Ein Zeuge hat Jahrzehnte später ausgesagt, alle erwachsenen Opfer hätten eigene "Kassen" gehabt. Gefunden wurde nur eine versteckte Metallschatulle. Wurde also wirklich gar nichts gestohlen? Oder ein bisschen? Immerhin war auch kein Papiergeld mehr da.
Zitat von PhilippGeorgPhilippGeorg schrieb:(-) Anderweitig vergeben und verheiratet
Das ist halt die Frage. War er so richtig verliebt oder ging es eher um die gegenseitige Unterstützung und Versorgung der Kinder? Letzteres ist damals wohl deutlich wahrscheinlicher gewesen. Also eher kein hormongesteuertes Glücksgefühl, das mit der Welt versöhnt hätte.
Zitat von PhilippGeorgPhilippGeorg schrieb:(-) Körperlich schwache Verfassung
Er hatte Asthma und schlechte Zähne. Aber beides wohl nicht schlimm genug, um nicht doch als Hofherr den Bauernhof zu steuern und als Ortsführer zu agieren.
Das halte ich allenfalls als ergänzendes Argument für gerechtfertigt. Für sich alleine zieht das ned.


Mir fehlt bei Schlittenbauer tatsächlich das Motiv. Welchen Konflikt sollte es 1922 gegeben haben, um so einen Hass zu erzeugen. Nachdem er mit den späteren Opfern wieder normal kommunizierte und auch aushalf.
Dass ein ortsnaher Täter mit blutverschmierter Kleidung und mit einem Fehlen von einiger Zeit seinem Umfeld nicht aufgefallen sein soll, ist für mich ein weiterer Grund, den Schlittenbauer (aber auch alle Gröberner/Waidhofener) auszuschliessen. Die Menschen damals und dort hatten vielleicht 2 oder 3 Garnituren an Kleidung. Diese war vielfach aus schweren Lodenstoffen oder Leder. Blutflecken wären wenn überhaupt nur sehr mühsam rausgegangen. Und fehlende Kleidung wäre bemerkt worden.

Für mich gehört auch der Einbruch(sversuch) in der Nacht auf den Freitag zur Tat hinzu. Dass Schlittenbauer das war und zur falschen Tür einsteigen wollte, liegt für mich nicht nahe.


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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 16:49
Ich glaube: Da muss aus einzelnen Mosaiksteinen ein Bild zusammengefügt werden und dann muss man zurücktreten und sich das Gesamte anschauen - und dann kann man analysieren, wie diese einzelnen Indizien ein Netzwerk ergeben.

1. Motivlage

  • Lorenz Schlittenbauer hatte eine Affäre mit Viktoria Gabriel, einer der Ermordeten, und es wurde spekuliert, dass er der Vater ihres Sohnes Josef war.


  • Vaterschaftsstreit: Nachdem er zunächst die Vaterschaft von Josef anerkannt hatte, zog Schlittenbauer dies später zurück und erstattete Anzeige wegen Inzests gegen Viktoria und ihren Vater Andreas Gruber.


  • Es gab Streit um die geplatzte Hochzeit mit Viktoria.

  • Diese Beziehung führte also zu einer Spirale von andauernden Spannungen, insbesondere als Viktoria finanzielle Unterstützung für Josef forderte. Viktoria soll behauptet haben, dass Schlittenbauer sie erpresst habe. Soweit ich es sehe, muss es in Punkto Geld/Unterhalt/Erpressung/Klage vor Gericht in den Tagen vor der Tat wieder eskaliert sein.


  • Zusammenfassend: Zurückweisung und verschmähte Liebe quälten Schlittenbauer über Jahre, da muss es in dieser kleindörflichen Atmosphäre gebrodelt haben, wo jeder jeden kennt, wo über alles getratscht und gelästert wird. Die Zeugenaussagen, dass sich die Beziehung in den Monaten vor der Tat beruhigt habe, könnte also auch eine Abwehrstrategie gewesen sein, um den Leuten nicht noch mehr Futter fürs Tratschen zu liefern.


2. Psychologische Ausnahmesituation

  • Die Tochter von Lorenz Schlittenbauer und seiner zweiten Frau Anna starb nur wenige Tage vor dem Mord in Hinterkaifeck an plötzlichem Kindstod oder Keuchhusten, wie im Kirchenregister vermerkt ist. Sie starb am 26. März 1922, also wenige Tage vor der Mordnacht vom 31. März auf den 1. April 1922.


  • Der Tod seiner neugeborenen Tochter könnte Lorenz Schlittenbauer stark belastet haben. Es ist denkbar, dass dieser Verlust seine psychische Stabilität beeinträchtigt hat. In Kombination mit den langjährigen rechtlichen und finanziellen Auseinandersetzungen zwischen ihm, Viktoria Gabriel und ihrem Vater Andreas Gruber – insbesondere der Streit um die Vaterschaft des kleinen Josef – könnte der tragische Tod seiner Tochter zu einem „Kurzschluss“ führen: eine emotionale Überforderung. Einige Theorien spekulieren, dass der Mord an Josef eine Art „Ersatzhandlung“ gewesen sein könnte, ausgelöst durch die Trauer über diesen Verlust. Das könnte auch den brutalen Mord des kleinen Josef erklären, dem der Schädel in einer unglaublichen Wucht zerschmettert wurde. Ein Kleinkind, das nicht einmal als Zeuge zum Mörder hätte aussagen können. Vielleicht sah Schlittenbauer in Josef den "Stein des Anstoßes", der alles hat eskalieren lassen.


  • Die Dinge können sich auch gegenseitig in der Eskalation verstärkt haben: Der Streit um Liebe, Inzest, Sohn, Unterhalt und Rufmord waren gerade wieder am Eskalieren, im Normalfall hätte man sich in einer Unterredung wieder einigen können, aber durch die emotionale Labilität nach dem Tod der Tochter könnte ein falsches Wort bei Schlittenbauer dann den berühmten Schalter umgelegt haben.


  • Die Tatsache, dass die Leichen sorgfältig abgedeckt wurden, deutet darauf hin, dass der Täter eine emotionale Bindung zu den Opfern hatte. Schlittenbauer hatte eine Beziehung zu Viktoria und auch starke Gefühle für seinen mutmaßlichen Sohn Josef.


3. Auffälliges Verhalten nach der Tat:

  • Schlittenbauer entdeckte zusammen mit zwei Dorfbewohnern die Leichen. Die beiden Zeugen schildern, dass Schlittenbauer in diesem Moment eine außergewöhnliche Gelassenheit und Zielstrebigkeit zeigte. Er kannte Haus und Hof wie seine Westentasche.


  • Obwohl unbekannt war, ob der Mörder noch dort war, ging er voran und betrat das Haus allein. Er öffnete die Tür mit einem Schlüssel von innen. Kurz vor den Morden war ein Hausschlüssel bei den Grubers verschwunden. Als seine Begleiter ihn fragten, warum er dieses Risiko einging, erklärte Schlittenbauer, dass er nach seinem Sohn Josef suchen müsse.


  • Schlittenbauer ging den Tatort ab, zeigte den Nachbarn die Leichname oder stolperte förmlich über deren Körper. Er fand seinen Sohn Josef in der Wiege. Er bewegte die Leichen am Tatort und legte sie wieder zurück in die vermeintliche Ausgangslage, was die Ermittlungen später beeinträchtigte. Seine Handlungen waren also eine Mischung aus Abgebrühtheit und ungewöhnlicher emotionaler Aufladung.


  • Als die Polizei endlich am Tatort war, verhielt sich Schlittenbauer ebenso ungewöhnlich aktiv und fürsorglich: Er fütterte etwa die Tiere, schnitt den Speck an. Auch hier konnte er potenziell Beweise manipulieren und Spuren verwischen, die Ermittlungen verfolgen und Einfluss nehmen.


  • Verdächtige Versorgung des Viehs: Nach den Morden aber vor der Entdeckung wurde das Vieh auf dem Hof tagelang versorgt. Der Mörder hielt sich noch längere Zeit oder immer wieder am Tatort auf. Schlittenbauer war vertraut mit dem Hof, lebte nur 350 Meter entfernt und wusste, wie man die Tiere versorgt. Hungrige Tiere und nicht gemolkene Kühe hätten die Nachbarn herbei gebrüllt und zur Entdeckung der Tat geführt.


  • Tatwaffe: Ein Jahr nach dem Mord wurde die Tatwaffe (eine Reuthaue) beim Abriss des Hofes gefunden. Schlittenbauer gab an, den Griff der Tatwaffe selbst geschnitzt zu haben, als er früher auf dem Hof arbeitete. Diese Aussage wurde ebenfalls als belastend empfunden, da er so wohl seine möglichen Fingerabdrücke auf der Mordwaffe erklären wollte.


  • Kommentar über den gefrorenen Boden: Einer der auffälligsten Kommentare Schlittenbauers fiel 1925, als er die Überreste des abgerissenen Hofes besuchte. Ein Lehrer fragte ihn, warum er dort sei, und Schlittenbauer antwortete, dass der Täter versucht habe, die Leichen zu vergraben, aber durch den gefrorenen Boden daran gehindert worden sei. Dieser Kommentar wurde als verdächtig angesehen, da er auf ein Detail hinwies, das nur jemand mit direktem Wissen über die Tat hätte wissen können.


  • Aussage im Wirtshaus: Es wird berichtet, dass Schlittenbauer in einem Wirtshaus in Ich-Form über die Fußspuren sprach, die zum Hof führten, aber nicht wieder hinausgingen. Er soll gesagt haben: "Dann bin ich da arschlinks wieder raus." Diese Aussage könnte als Eingeständnis interpretiert werden.


  • Er nannte in den Zeugenaussagen die Summe von 100.000 Mark, die im Haus gewesen sein soll.



4. Fehlen eines stichhaltigen Alibis für die Tatnacht

  • Schlittenbauer gab an, in der Tatnacht bei seiner Frau Anna gewesen zu sein. Seine Frau gab aber an, dass er sich auf "Heuwache" befand, was bedeutet, dass er allein war und somit niemand seine Anwesenheit bestätigen konnte.


5. Gegenargumente

  • Fehlende Beweise: Trotz intensiver Ermittlungen konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden. Er gewann sogar mehrere Verleumdungsklagen gegen Personen, die ihn öffentlich als den Mörder bezeichneten.


  • Gesundheitliche Einschränkungen: Schlittenbauer litt an Asthma, allerdings wechseln sich symptomarme oder sogar symptomfreie Phasen mit Zeiten von deutlichen Beschwerden ab.



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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 19:53
Liebes @Marzipanferkel!
Sehr gute Zusammenfassung. Da kann man nichts dran aussetzen.
Und das leidige Athmatikerthema:
Wie gesagt. Ich kenne welche, die wirklich eine schlechte Lungenfunktion haben und auch körperlich nicht die stärksten sind. Aber im psychischen Ausnahmezustand ist fast alles möglich.


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Mordfall Hinterkaifeck

gestern um 22:48
@Marzipanferkel
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:1. Motivlage

Lorenz Schlittenbauer hatte eine Affäre mit Viktoria Gabriel, einer der Ermordeten, und es wurde spekuliert, dass er der Vater ihres Sohnes Josef war.
Das wurde nicht nur spekuliert. Das wurde gerichtlich festgehalten und Schlittenbauer selbst redet von Josef als seinem Sohn.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Es gab Streit um die geplatzte Hochzeit mit Viktoria.
Gab es?
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Diese Beziehung führte also zu einer Spirale von andauernden Spannungen, insbesondere als Viktoria finanzielle Unterstützung für Josef forderte. Viktoria soll behauptet haben, dass Schlittenbauer sie erpresst habe. Soweit ich es sehe, muss es in Punkto Geld/Unterhalt/Erpressung/Klage vor Gericht in den Tagen vor der Tat wieder eskaliert sein.
Aber genau dafür gibt es halt keinerlei Anzeichen. Das Einzige, was überhaupt hierzu hervorgebracht werden kann ist ein Zeitungsartikel aus den Wochen zuvor, der den ledigen Müttern eine Möglichkeit eröffnete, erneut den Unterhalt auszuhandeln, selbst wenn das bereits abschliessend erfolgt war. Dass die Viktoria diese Möglichkeit verfolgte und dass es in den Tagen vor der Tat hier einen Konflikt gab ist durch nichts belegt. Im Gegenteil, Schlittenbauer und Gruber unterhielten sich normal am Tag vor der Tat. Das Gespräch zwischen den beiden verlief sehr ähnlich zu weiteren Gesprächen, die Gruber an diesem Morgen mit weiteren Personen hatte. Deshalb ist Schlittenbauers Aussage dazu glaubhaft. Kein anderer Zeuge berichtete von irgendeinem Konflikt.
Den brauchst Du aber, um einen Sechsfachmord zu begründen.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Zusammenfassend: Zurückweisung und verschmähte Liebe quälten Schlittenbauer über Jahre, da muss es in dieser kleindörflichen Atmosphäre gebrodelt haben, wo jeder jeden kennt, wo über alles getratscht und gelästert wird.
Den zweiten Teil Deines Satzes hast Du als persönliche Mutmaßung formuliert. Den ersten als Behauptung. Hast Du dafür irgendwelche konkreten Anhaltspunkte?
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Der Tod seiner neugeborenen Tochter könnte Lorenz Schlittenbauer stark belastet haben. Es ist denkbar, dass dieser Verlust seine psychische Stabilität beeinträchtigt hat. In Kombination mit den langjährigen rechtlichen und finanziellen Auseinandersetzungen zwischen ihm, Viktoria Gabriel und ihrem Vater Andreas Gruber – insbesondere der Streit um die Vaterschaft des kleinen Josef – könnte der tragische Tod seiner Tochter zu einem „Kurzschluss“ führen:
Puh, da vermischt Du jetzt Einiges. Welche "langjährigen rechtlichen und finanziellen Auseinandersetzungen" meinst Du denn?
Schlittenbauer hatte zudem bereits weitere Kinder verloren und die gesellschaftlichen Umstände waren in Bezug auf Tod und den Tod von Kindern völlig anders. Ich glaube, Du berücksichtigst hier nicht die damaligen Zeiten sondern gehst von den eigenen Erfahrungen heutzutage aus. Das liefert aber halt nicht die Wahrheit über die damaligen Umstände, Motivationen, Sichtweisen. Und selbst da kann man sich heute nur grob annähern und nicht in den Einzelnen reinschauen.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Die Dinge können sich auch gegenseitig in der Eskalation verstärkt haben: Der Streit um Liebe, Inzest, Sohn, Unterhalt und Rufmord waren gerade wieder am Eskalieren, im Normalfall hätte man sich in einer Unterredung wieder einigen können, aber durch die emotionale Labilität nach dem Tod der Tochter könnte ein falsches Wort bei Schlittenbauer dann den berühmten Schalter umgelegt haben.
Das wichtigste an diesem Punkt ist der Konjunktiv.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Die Tatsache, dass die Leichen sorgfältig abgedeckt wurden, deutet darauf hin, dass der Täter eine emotionale Bindung zu den Opfern hatte.
Das ist eine von verschiedenen Möglichkeiten, die Experten nennen.
Eine gute Erklärung für den Fall, dass dieser Punkt die Tatvariante unterstützen soll, dass Schlittenbauer der Täter ist. Aber eben nicht die einzige Erklärung.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Schlittenbauer entdeckte zusammen mit zwei Dorfbewohnern die Leichen. Die beiden Zeugen schildern, dass Schlittenbauer in diesem Moment eine außergewöhnliche Gelassenheit und Zielstrebigkeit zeigte. Er kannte Haus und Hof wie seine Westentasche.
Kannte er das Haus wirklich? Ist es Gelassenheit, wenn er als Einziger (alleingelassen), nachschauen wollte, ob sein Sohn noch lebte?


Ich mach jetzt gar nicht weiter. Das könnte ich in jedem einzelnen Punkt einbringen.
Du interpretierst das alles mit einem einzigen Ziel.
Das kannst Du machen und bekommst zwangsweise eine stimmige Geschichte.

Wo aber sind die Fakten aus den noch erhaltenen Akten oder die Tatsache, dass die Polizei zeitnah trotz deutlich besserer Informationslage als heute, nicht mehr fand als unbestätigtes Getratsche?

Mir fehlen bei Deiner Version:
- Nachweise über zeitnahe Konflikte
- Erklärungen bekannter Indizien, wie der Einbruch in der Nacht zum Donnerstag, der Verbleib des Papiergeldes, die verschobenen Dachziegel an mehreren Stellen, die Liegekuhlen im Heu, das Fehlen des Brotes, das Verstecken der Reuthaue, der offensichtliche Verbleib auf den Hof über die reine Angriffe hinaus usw.


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Mordfall Hinterkaifeck

um 01:21
Zitat von jaskajaska schrieb:Gab es?
Es gab massiven Streit um die Hochzeit, um die Legalisierung der Verbindung und Anerkennung des Kindes:

  • Lorenz Schlittenbauer begann 1918 eine Affäre mit Viktoria Gabriel zwei Wochen(!), nachdem seine erste Frau an Brustkrebs verstorben war. Laut eigener Aussage im Verhör 1931 hatte er "etwa fünf Mal Intimverkehr mit Viktoria", wobei sie sich ihm "regelrecht aufgedrängt" habe.

  • Schlittenbauer wollte Viktoria heiraten, was durch eine Aussage der Nachbarn Pöll und Sigl (05.04.22) verbürgt ist.

  • Mit einer Heirat hätte Schlittenbauer eines seiner erwachsenen Kinder durch die Übergabe von Hinterkaifeck versorgen können. Die Ländereien und Waldstücke hätten die Möglichkeiten seiner Familie erweitert.

  • Viktoria Gabriel und vor allem ihr Vater Andreas Gruber stimmten der Hochzeit nicht zu. Andreas Gruber soll aktiv versucht haben, die Ehe zwischen den beiden Verwitweten zu verhindern. Wir haben hier also eine toxische, sexuelle Dreiecksbeziehung.

  • Ende 1918 wurde Viktoria schwanger. Die Frage ist: von wem?

  • Das Kind (Josef) kam 1919 unehelich zur Welt.

  • Es folgte eine "Schlammschlacht" um die Vaterschaft. Schlittenbauer erstattete Anzeige wegen Inzests gegen Viktoria und Andreas Gruber. Der kam sogar ins Zuchthaus, Viktoria gab Versprechungen, wenn er die Anzeige zurückzieht. Das tat Schlittenbauer auch. Er glaubte, Viktoria Gabriel heiraten zu können, verlangte aber von Andreas Gruber, dass der Inzest aufhören muss. Antwort: "Das werden wir dann schon sehen."

  • Schlittenbauer zog die Anzeige also mehrfach zurück und erneuerte sie wieder, was ihn als Zeugen unglaubwürdig machte und seinen Ruf beschädigte.
Zitat von jaskajaska schrieb:Aber genau dafür gibt es halt keinerlei Anzeichen. Das Einzige, was überhaupt hierzu hervorgebracht werden kann ist ein Zeitungsartikel aus den Wochen zuvor, der den ledigen Müttern eine Möglichkeit eröffnete, erneut den Unterhalt auszuhandeln, selbst wenn das bereits abschliessend erfolgt war.
Allein die Geschichte der Unterhaltszahlungen ist ein Krimi für sich:

  • Viktoria Gabriel gab ihm 2.000 Mark in bar und Wertpapiere über 3.000 Mark. Sie wollte damit erreichen, dass ihr Vater aus dem Gefängnis kommt, weil es ja einen offiziellen Vater gab, der bezahlte.

  • Schlittenbauer machte später eine Einmalzahlung von 1.800 Mark für den Unterhalt des kleinen Josef und gab das übrige Geld und die Wertpapiere freiwillig zurück. Er muss sich also noch Hoffnungen gemacht haben und später erkannte er: Er wurde benutzt.


1922:

  • Anfang 1922 fuhr Viktoria Gabriel mit Thomas Schwaiger nach Schrobenhausen, um "reinen Tisch zu machen".

  • Zu der Zeit erschien im Schrobenhausener Wochenblatt ein Bericht über ein Gerichtsurteil, in dem einer alleinerziehenden Mutter aufgrund der Inflation mehr Unterhalt zugesprochen wurde.

  • Schwaiger gab an, dass Viktoria sich dazu durchgerungen hatte, weitere Alimente von Schlittenbauer für Josef zu fordern.

  • Nun wird es interessant: Bei einem Brand 1926 wurden auf dem Hof von Schlittenbauer auch Papiere mit Bezug zu Hinterkaifeck zerstört. Darunter befand sich laut seiner Aussage auch ein Schriftstück, in dem Viktoria Gabriel auf Unterhalt für Josef verzichtet haben soll.

  • Laut den Quellen wurde bei den Morden auf Hinterkaifeck kaum etwas gestohlen: Mehr als 2.200 Goldmark blieben unberührt im Schrank. Der Schmuck wurde nicht entwendet. Etwa 100.000 Reichsmark in Form von Bargeld und Pfandbriefen wurde ebenso nicht angerührt.

  • "Durchwühlt war eigentlich in der Wohnung nichts, mit Ausnahme vom Schlafzimmer, wo der oder die Täter einige Zeit herumgesucht haben müssen. Denn in dem einen Bette lagen vom Oberbett verdeckt mehrere Schlußnoten u. sonst. beschriebene Papiere, ein Notizbuch, eine geleerte Brieftasche.

  • Der Mörder hat also nach der Tat offenbar ausschließlich Dokumente gesucht - oder ein bestimmtes Dokument. Ein Dokument, dass ihn belastet oder ihn entlastet - in einer Frage wie etwa der Vaterschaft.

  • Ein in den Augen von Schlittenbauer endloser Streit um den Sohn, den Unterhalt, den Inzest war also wieder aufgeflammt und damit haben wir die Eskalationsgrundlage für einen Mann, der gerade seine Tochter verloren hatte.

  • Die Beerdigung fand am 30. März 1922 statt.

  • Die Morde in Hinterkaifeck fanden nur einen Tag später. Zwischen Viktoria Gabriel und Lorenz Schlittenbauer lag also nicht nur eine persönliche Tragödie um eine gescheiterte sexuelle Beziehung, Ausnutzung, Zurückweisung, eine verhinderte Heirat, ein uneheliches Kind, eine Schlammschlacht um Inzest und die gerade wieder der aufgeflammte Streit um neue Unterhaltszahlungen. Er war auch noch einer akuten emotionalem Krisensituation nach der Beerdigung.



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Mordfall Hinterkaifeck

um 06:28
@Marzipanferkel
Jetzt hast Du viel geschrieben und doch nichts konkret beantwortet.

Wir suchen ja ein Motiv oder eine Gemengelage, die 1922 so explosiv war, dass sich daraus ein Sechsfachmord ergab inklusive der Tötung des eigenen Kindes. Richtig?
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Es gab massiven Streit um die Hochzeit, um die Legalisierung der Verbindung und Anerkennung des Kindes:
Das war 1919.
Die zeitnahen Quellen ergeben keinen Hinweis auf fortdauernde Konflikte, die ins Jahr 1922 reichten. Keine Behörde, keine Freunde, keine Familienangehörigen, keine entsprechenden Briefe, keine Anwälte - niemand hat sich gemeldet, nichts wurde gefunden, was einen akuten Streit nachweist.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Anfang 1922 fuhr Viktoria Gabriel mit Thomas Schwaiger nach Schrobenhausen, um "reinen Tisch zu machen".
Das wäre natürlich schön und einleuchtend, wenn es so gewesen WÄRE. Das kannst Du nach Aktenlage aber definitiv nicht als gegeben ansehen.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Etwa 100.000 Reichsmark in Form von Bargeld und Pfandbriefen wurde ebenso nicht angerührt.
Es wurde außer einem 5-Mark-Schein im Gebetsbuch gar kein Papiergeld gefunden.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Der Schmuck wurde nicht entwendet
Falsch. Du kannst nur sagen, dass nach der Tat noch Schmuck vorhanden war. Ohne die Kenntnis, was zuvor da war, ist es unmöglich zu wissen, dass nichts wegkam oder was genau wegkam.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Ein in den Augen von Schlittenbauer endloser Streit um den Sohn, den Unterhalt, den Inzest war also wieder aufgeflammt und damit haben wir die Eskalationsgrundlage für einen Mann, der gerade seine Tochter verloren hatte.
Na eben nicht.
Zitat von MarzipanferkelMarzipanferkel schrieb:Die Morde in Hinterkaifeck fanden nur einen Tag später. Zwischen Viktoria Gabriel und Lorenz Schlittenbauer lag also nicht nur eine persönliche Tragödie um eine gescheiterte sexuelle Beziehung, Ausnutzung, Zurückweisung, eine verhinderte Heirat, ein uneheliches Kind, eine Schlammschlacht um Inzest und die gerade wieder der aufgeflammte Streit um neue Unterhaltszahlungen. Er war auch noch einer akuten emotionalem Krisensituation nach der Beerdigung.
Das fasst es eigentlich schön zusammen: Tragödie, Herzschmerz, Eskalation. Geeignet für eine spannende Geschichte. Ohne Belege halt überhaupt nicht geeignet für die Auflösung eines Kriminalfalls.

Ich hab ja gar nichts dagegen, wenn Jemand für sich darin eine runde Sache sieht. Das ist aber nun einmal nicht gleichwertig mit einer Überführung Schlittenbauers als Täter.
Alle diese Annahmen, dass da kurz vor der Tat noch emotional so viel Sprengstoff da war, sind nicht belegt.
Und die ganzen anderen Punkte, die ich gestern auch erwähnt hatte (Heukuhlen, Einbruch etc) kriegste da auch nicht unter.


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