http://www.br.de/franken/inhalt/aktuelles-aus-franken/inzest-willmersbach-prozess100.html (Archiv-Version vom 31.12.2011)Knapp drei Jahre Haft
Willmersbacher Vater wegen Inzests verurteilt
Im Inzestfall von Willmersbach (Lkr. NEA) hat das Nürnberger Landgericht den 69-jährigen Vater zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Das Urteil stieß auf viel Kritik.
Stand: 19.12.2011
Urteil im Inzestprozess: Vater zu knapp drei Jahren Haft verurteilt
Der Opferschutzverband "Weißer Ring" kritisierte den Richterspruch. "Das Urteil ist für mich unverständlich", sagte Kurt Stiermann dem Bayerischen Rundfunk. "Ich kenne das Opfer, habe mich mit der Frau und ihrer Bewährungshelferin unterhalten. Das Opfer ist für mich glaubwürdig", so Stiermann weiter.
Inzest ja, Vergewaltigung nein
Das Gericht sprach den 69-Jährigen wegen Inzests, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung schuldig. Den Vorwurf der massenweisen Vergewaltigung seiner Tochter konnten die Richter dem Vater nicht nachweisen. Außerdem habe das Gericht Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers. Die 46-jährige Frau aus Willmersbach habe sich bei ihren Aussagen vor der Polizei, dem Vernehmungsrichter und dem Gericht immer wieder in Widersprüche verwickelt. "Ihre Aussage ist nicht konstant", so der Kammervorsitzende.
"Wir haben den Angeklagten nicht wegen Vergewaltigung sondern wegen Beischlaf mit Verwandten verurteilt. Der Tatbestand der Vergewaltigung konnte nicht nachgewiesen werden."
Günther Heydner, Vorsitzender Richter
Gerichtssaal mitten in Urteilsbegründung verlassen
Die Tochter verließ mitten in der Urteilsbegründung den Gerichtssaal. Ihre Anwältin Andrea Kühne beklagte, dass in dem Urteil "Juristerei und Psychologie weit auseinanderklaffen". Sie mache sich ernsthaft Gedanken, ob sie beim nächsten Opfer, das so lange sexuell missbraucht wurde, nicht erst nach der Therapie Anzeige erstatte. Sonst wäre das Opfer wohl nicht in der Lage, eine ordentliche Aussage zu machen.
Bei jemandem, der jahrzehntelang unter dem Druck eines Familientyrannen gelebt habe, könne man einfach keine druckreife Aussage erwarten, so Anwältin Kühne. Da könne es schon mal zu kleineren Abweichungen bei der Schilderung des Erlebten kommen. Ob sie nun in Berufung gehe, müsse sie erst mit ihrer Mandantin besprechen.
Staatsanwaltschaft: Keine Zweifel an der Schuld
Die Kammer wich mit ihrem Urteil deutlich von der Bewertung und der Strafforderung der Staatsanwaltschaft ab. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer 14 Jahre Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. Es bestünden keine Zweifel an der Schuld des 69-Jährigen. "Von Schuldeinsicht und Reue gibt es keine Spur", sagte die Vertreterin der Anklagebehörde. Im Elternhaus des Opfers habe ein Klima der Gewalt geherrscht. Der Angeklagte habe seiner Tochter ein eigenes Leben genommen.
Verteidiger: "Auf der Suche nach finanzieller Sicherheit"
Der Verteidiger des 69-Jährigen hatte dagegen maximal fünf Jahre Haft gefordert. Zwar sei der Inzest belegt, die Initiative zum Sex sei aber von der Tochter ausgegangen, so der Rechtsanwalt: "Die Tochter war auf der Suche nach finanzieller Sicherheit." Sie habe nicht arbeiten wollen und aus diesem Grund mit ihrem Vater geschlafen. Erst als der Vater ihr das versprochene Elternhaus verweigerte, habe sie die Vergewaltigungsvorwürfe erhoben.
Behörden sollen von Missbrauch gewusst haben
Die Inzest-Beziehung im mittelfränkischen Willmersbach (Lkr. NEA) war Zeugen zufolge seit Anfang der 1980er-Jahre zumindest gerüchteweise bekannt. Auch das Landratsamt soll davon gewusst haben. Ein Zeuge aus dem Nachbarort hatte vor Gericht ausgesagt, der Fall sei mindestens seit 1982 Gesprächsstoff in der Region gewesen. Ein weiterer Zeuge hatte angegeben, über die intime Beziehung von Vater und Tochter sei in Willmersbach hinter vorgehaltener Hand viel diskutiert worden. Er habe davon seit den 80er-Jahren gewusst und sich gewundert, warum die Behörden nichts unternommen hätten. Den Zeugenaussagen zufolge war bei den Gerüchten auch von Vergewaltigungen die Rede gewesen. Keiner habe jedoch Vater und Tochter direkt bei intimen Kontakten beobachtet.
Vorwürfe gegen Mutter
Ihre Mutter habe von Anfang an von den Vergewaltigungen gewusst, hatte die Tochter des 69-Jährigen vor Gericht gesagt. Bei dem ersten sexuellen Übergriffen habe sie sogar mit im elterlichen Ehebett gelegen, so die Tochter. Auch als sie ihre Mutter Jahre später auf die Vergewaltigungen angesprochen habe, habe diese nur geschwiegen. Die Behauptung ihres Vaters, der Sex sei einvernehmlich gewesen, hatte die Tochter zurückgewiesen. Einmal habe sie ihrem Peiniger sogar Schlafmittel unters Essen gemischt, um nicht schon wieder Opfer seiner sexuellen Übergriffe zu werden, so die Frau. Ein Gutachter hatte dem Vater eine hohe Wiederholungsgefahr bescheinigt. Er sei voll schuldfähig.
Angeklagter bestreitet Gewalt
Zum Prozessauftakt hatte der 69-jährige Vater angegeben, zum ersten Mal mit seiner Tochter geschlafen zu haben, als sie 17 Jahre alt war. Seitdem sei dies meist ein- bis zweimal die Woche geschehen, stets mit dem Einverständnis der Tochter. Der 69-Jährige hatte unter anderem sein Unverständnis darüber geäußert, dass seine Tochter von Vergewaltigung spricht: "Nie im Leben" habe er sie geschlagen, an den Haaren gezogen oder mit einem Messer bedroht, wie es in der Anklage stand. Fast 34 Jahre lang soll der 69-Jährige seine Tochter immer wieder vergewaltigt haben, hatte der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gelautet. Angeklagt waren allerdings nur die noch nicht verjährten 497 Fälle seit März 1991 sowie 68 Inzest-Fälle gewesen. Bei Inzest ist die Verjährungsfrist mit fünf Jahren deutlich kürzer.