Der Vollständigkeit wegen ist hier auch die Anklage (criminal complaint):
https://coi.isc.idaho.gov/docs/case/CR29-22-2805/122922%20Criminal%20Complaint.pdf (Archiv-Version vom 06.01.2023)Sehr kurz und nicht überraschend: Kohberger wird angeklagt vier Opfer ermordet zu haben, unter den §§ 18-4001 bis 4004 des Strafgesetzes von Idaho als "vorsätzlichen und geplanten Mord 1. Grades" (willfull, deliberate, premeditated and unlawful).
Die Höchststrafe ist lebenslange Freiheitsstrafe, oder, wenn der Staat bestimmte Mordmerkmale nachweist, auch die Todesstrafe. Mindestens eines dieser Mordmerkmale scheint gegeben, nämlich, wenn der Angeklagte in einem Tatzusammenhang mehr als einen Menschen ermordet.
Ausserdem wird er wegen Einbruch (burglary) angeklagt.
Quelle: Strafgesetz von Idaho
Der Staat muss nun alle diese Anklagepunkte beweisen, um ein einstimmiges Urteil der Jury zu erlangen, aber das liegt noch in der Zukunft.
Die Anklage ist nun der formelle Anfangspunkt des Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft hat Untersuchungshaft beantragt, dazu wurde ein "probable cause affidavit" eingereicht, eine eidliche Aussage der Ermittlungsbeamten, die darlegt, dass ein dringender Tatverdacht besteht, die in der Anklage genannten Taten begangen zu haben.
Der Angeklagte hat nun Zeit, sich einen Verteidiger zu suchen oder zu beantragen, wegen finanzieller Umstände einen Pflichtverteidiger zu brauchen, der dann vom Gericht bestellt wird. Er hat ebenfalls Zeit, 14 Tage, sich eine Antwort auf die Anklage zu überlegen, die drei Möglichkeiten umfasst: die Taten gemäss der Anklage zu gestehen und damit auf einen Tatsachenprozess zu verzichten (guilty plea), sich als "nicht schuldig" zu bezeichnen und damit einen Tatsachenprozess zu verlangen (not guilty plea) oder aber die Tat nicht zuzugeben, aber dennoch auf einen Tatsachenprozess zu verzichten (nolo contendere).
Das Verfahren wird dann vor einer/m zuständigen Richterin/Richter eröffnet - oder auch nicht. Die Anhörung heute war lediglich eine zur Feststellung der Untersuchungshaft. Mit anderen Worten: die Mühlen der Justiz beginnen nun zu mahlen.
Der Angeklagte hat ein Recht auf einen Prozessbeginn spätens in 6 Monaten. Er kann darauf aber verzichten, was in solch komplexen Fällen meistens passiert, d.h. der Prozesstermin kann dann später sein.
Die Anklage kann jederzeit noch verändert oder ergänzt werden, was aber dann ebenfalls wieder Anhörungen vor Gericht erfordert.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Ermittlungen auf jeden Fall weiter gehen, und dass auch die Verteidigung nun mit eigenen Ermittlungen beginnen wird. Ausserdem ist ziemlich sicher, dass eine der beiden Seiten oder beide ein psychiatrisches Gutachten beantragen werden.
Zwar besteht grundsätzlich ein verfassungsmässiges Recht auf Freilassung auf Kaution vor dem Prozess, aber bei dem Anklagepunkt "first degree murder" ist dies durch Gesetz in Idaho ausgeschlossen. Solange also der dringende Tatverdacht besteht, bleibt der Angeklagte in Untersuchungshaft, solange die Dauer nicht gar unverhältnismässig ist. In solchen Fällen wie diesem kann es durchaus ein Jahr oder länger dauern, bis ein Prozess beginnt.
Ein Strafprozess ist immer zweigeteilt: zuerst muss im Tatsachenverfahren (guilt phase) bewiesen werden, dass der Täter die angeklagte Tat begangen hat. Die Jury muss einstimmig entscheiden. Sollte sie die Schuld bewiesen sehen, folgt dann sofort das Verfahren über das Strafmass, die "penalty phase." Wurde die Todesstrafe beantragt, muss der Staat die vorausgesetzen Mordmerkmale (die ganz anders sind als in Deutschland) beweisen und die Jury einstimmig zum Tode verurteilen. Kann oder will sie das nicht, ist die gesetzliche Strafe lebenslang und diese darf frühestens nach 10 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.
Beantragt der Staat die Todesstrafe nicht, ist die penalty phase also sehr kurz, da, wie in Deutschland auch, dann nur lebenslange Haft möglich ist.