Lesebrille schrieb:Weiterhin gibt es wohl genug Fälle in der Vergangenheit, die den Ermittlern als Grundlage dienen.
Ganz genau, so ist es. Das nennt man empirisch begründete Vorurteile (Vorurteile sind per se nicht schlecht, sondern sichern unser Überleben).
Wenn Du an einer sechsspurigen Autobahn stehst, rennst Du nicht rüber (hoffe ich), weil Du aufgrund der Empirie davon ausgehst, mit großer Wahrscheinlichkeit tot gefahren zu werden (könnte aber auch gut gehen).
Steigst Du aus dem Auto und stellst vor der Haustür fest, dass Du den Haustürschlüssel nicht mehr in Deiner offenen Jackentasche hast, gehst Du zum Auto zurück und schaust nach, ob er Dir im Auto rausgefallen ist. Das wäre nämlich erfahrungsgemäß am wahrscheinlichsten. Empirie. Würdest Du dahingegen gleich 30 Kilometer zu Deinem Arbeitsplatz zurück fahren um da zu suchen, wäre das blöd. Erst wenn der Schlüssel nicht im Auto ist, prüfst Du andere, weniger wahrscheinliche Optionen, die aber nicht auszuschließen sind.
Verschwindet ein Mensch spurlos und unter Umständen, die ein freiwilliges Verschwinden höchst unwahrscheinlich machen, ist zunächst der Mensch verdächtig, für sein Verschwinden verantwortlich zu sein, mit dem er zuletzt vor dem Verschwinden zusammen war. Vor allem, wenn er mit ihm
alleine zusammen war.
Anders sieht es aus, wenn der Verschwundene zuletzt mit einer ganzen Gruppe von Menschen zusammen war.
Ist aber hier nicht so.
Zwei Menschen in einem Haus, einer bleibt, einer verschwindet spurlos.
Der, der bleibt, ist bis auf weiteres verdächtig. Empirie, Autobahn, Haustürschlüssel.
Das ist auch in diesem Fall der Anfang der Ermittlungen.
Nun gibt es zusätzlich Indizien, die
- ein foul play morgens im Haus nahe legen (Handy)
- es gibt keinerlei glaubwürdige Sichtungen des Opfers nach dem Verschwinden
- es gibt keine bekannten Dritten, die ihr hätten Böses tun wollen
- es gibt ein Verhalten des empirisch a priori Verdächtigen, dass er nicht erklären kann/will, das sehr gut zu einer Leichenverbringung passt (die Fahrten)
All das zusammengenommen macht den Verdächtigen sehr verdächtig. Alternativhypothesen sind angesichts der Indizienlage so konstruiert, dass die a priori Wahrscheinlichkeit für sie sehr, sehr viel geringer ist. Aber natürlich nicht null /wie das lebendige Überqueren der Autobahn)
Aber die Indizien sind auch nicht so, dass aus dem Verdächtigen ein Angeklagter würde. Dazu fehlt meiner Überzeugung nach entweder eine Leiche oder aber eine ihn belastende Aussage aus dem Umfeld.
Aber so wird dauerhaft verdächtig bleiben, es sei denn, der Fall nimmt eine völlig unerwartete Wendung, die ihn entlastet.