Vielleicht auch von Interesse: In Norwegen steht einer der bekanntesten und spektakulärsten Cold Cases des Landes offenbar kurz vor der Aufklärung. Die 17-jährige Birgitte Tengs wurde am Morgen des 6. Mai 1995 von einem Bauern in einem Busch 400 Meter weit ihres Elternhauses in Kopervik im Südosten Norwegens entdeckt. Birgitte war augenscheinlich, nachdem sie von einem Treffen mit Freundinnen zurückgekehrt war, in der Nacht kurz vor ihrem Zuhause angegriffen, vergewaltigt und mit einem Stein erschlagen worden. Zuletzt wurde sie um 0.08 Uhr vor einem Pub in der Innenstadt Koperviks gesehen, wie sie mit einer unbekannten Person in einem Auto sprach.
Rund um die ersten Ermittlungen gab es bereits erste Pannen: Noch in der Nacht kamen am späteren Fundort der Leiche zwei Polizisten vorbei. Sie entdeckten direkt an der Straße eine Blutlache, folgten der Spur die Böschung hinauf, doch ihre Taschenlampen waren zu schwach, um bis zu ihrem Ende zu leuchten. Die Polizisten gingen davon aus, dass ein Schaf geschlachtet oder gerissen wurde, und setzten ihre Streife fort. Nach dem Leichenfund deckten die Beamten dann den Boden mit einer Plane ab, um Spuren vor dem Regen zu schützen. Zur Beschwerung der Plane wurden Steine genutzt - darunter wohl die Tatwaffe, die später nicht mehr ausfindig gemacht werden konnte.
Die heißeste Spur in dem Fall waren monatelang blonde lange Haare am Tatort. Eine zweite DNA-Analyse in Großbritannien konnte jedoch zeigen, dass diese doch von Birgitte selbst und nicht dem Täter stammten. Nicht nur die gesamte Öffentlichkeitsfahndung nach dem blonden langhaarigen Mann, auch ein Massengentest bei 530 Männern aus der Nähe war demnach völlig sinnlos.
Ins Visier geriet schließlich mehr in der Not der Cousin des Opfers. Er kannte Birgitte, wohnte in der Nähe und war zuvor etwa bereits nackt in einer Turnhalle angetroffen worden. Der damals 19-Jährige bestritt die Tat zunächst, gestand sie aber am 24. Februar 1997 zunächst gegenüber seinen Anwälten, tags darauf auch gegenüber der Polizei. Dem waren über 180 Stunden Vernehmung, praktisch alle davon ohne Aufzeichnung, vorausgegangen. Auf Basis des Geständnisses verurteilte das Bezirksgericht Karmsund Birgittes Cousin zu 14 Jahren Gefängnis sowie 100.000 NOK Wiedergutmachung an die Eltern. Nach 495 Tagen in Haft wurde das Strafurteil vom Berufungsgericht mit drei zu zwei Stimmen der Richter aufgehoben. Die zivilrechtlichen Ansprüche wurden jedoch bestätigt, da hierfür nur eine "große Wahrscheinlichkeit" der Täterschaft und keine "über jeden Zweifel erhabene Wahrscheinlichkeit" benötigt wurde. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde allgemein als Freispruch zweiter Klasse aus Mangel an Beweisen aufgefasst.
Am 14. September 1998 ging auf dem privaten Festnetzanschluss von Arvid Sjødin, dem Anwalt des Cousins, ein anonymer Anruf ein. Der Anrufer sprach etwa 45 Minuten mit Sjødins Gattin. Diese berichtete später, der Anrufer habe den Mord an Birgitte gestanden, Mitgefühl mit dem Cousin des Opfers bekundet und zahlreiche Informationen über sich selbst preisgegeben. Anhand dieser Informationen konnten Sjødin und andere Dorfkundige den Personenkreis eingrenzen und beschuldigten schließlich beim Generalstaatsanwalt den 32-jährigen Robin Hult der Tat. Hult stritt die Tat, nachdem sein Name an die Öffentlichkeit geraten war, schließlich im landesweiten Fernsehen ab und erstritt vor Gericht eine Wiedergutmachung von Sjødin.
Der Kampf des Cousins um einen echten Freispruch scheint belohnt zu werden: Am 1. September 2021 nahm die Polizei einen 50 bis 60 Jahre alten Mann im Mordfall Tengs fest. Durch neuere Analysemethoden konnte an der Strumpfhose Birgittes noch ein Y-Chromosom ausfindig gemacht werden. Dieses ist mit der DNA des Angeklagten identisch. Da das Y-Chromosom von Vätern an ihre Söhne vererbt wird, standen auch andere männliche Anverwandte noch als Täter im Raum. Dieser Verdacht konnte aber mittlerweile ausgeräumt worden, da zwischen dem Angeklagten und seinem Vater eine Mutation des Chromosoms festgestellt werden konnte.
Quelle:
https://www.vg.no/nyheter/innenriks/i/8QOPEx/tengs-saken-dna-mutasjon-kan-felle-drapssiktet