@traces Danke für diesen hervorragenden Beitrag.
Natürlich ist alles was wir hier momentan an Szenarien anbringen sehr spekulativ. Aber ich finde einige Erklärungen sind wirklich extrem voreilig und vielleicht sogar voreingenommen. Als Beispiel: 'Er wollte sie zerstören, weil sie alles repräsentiert was er nicht ist.' Das kann selbstverständlich stimmen, insbesondere, wie
@Trimalchio anmerkt, der Umstand das der Kopf auch, vermeintlich unnötig, abgetrennt wurde.
Gehen wir mal davon aus, das wirklich ein tragischer Unfall vorgefallen ist. Das ist nicht unwahrscheinlich, da dieses Amateur Boot (wie oben auch schon von Madsen Kollegen angemerkt) nicht für die Sicherheit von Passagieren konzipiert ist. Scharfe, kantige Ecken, rutschige Leitern, nicht ausgereifte Hebel und Armaturen an denen man sich verletzen kann. Wall stirbt. Madsen sieht sich nur indirekt in der Schuld, weil er körperlich nicht beteiligt ist (aber letztlich natürlich schon die Verantwortung für sein Boot trägt).
Er überdenkt sein Handeln. Was sind die Konsequenzen die für ihn aus den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten erwachsen?
Ein wichtiger Raketenstart steht am 25./26. August an. Es gibt Streit mit seiner alten Gruppe, die sich so zerstritten haben, das sie Rivalen geworden sind. Beide Gruppen wollen diesen Termin nutzen, die zuständige Behörde hat beiden Gruppen eine Genehmigung gegeben, will sich aber nicht in ihre Koordination untereinander einmischen. Das nächste Zeitfenster ist im September. Bevor er überhaupt an diesem Tag ins Boot steigt steht er schon unter Druck.
Hier dokumentiert:
https://ing.dk/blog/foerst-moelle-202853Handlungszenario:
Ich melde den Unfall, und fahre in der Dunkelheit zurück. Es wird sicherlich zu einer Untersuchung kommen. Ich habe keine Genehmigung Passagiere zu befördern. Die Behörden suchen eigentlich nur noch einen Grund mir Verstösse von Sicherheitsregeln anzuhängen, geht schon Jahre so. Bisher ist immer alles gut gelaufen, das ist jetzt vorbei. Der Frachter da hinten wird mich auch melden wegen der Beinahe-Kollision. Ich verliere meine Lizenz für das Boot. Die Raketenstarts sind sowieso hin, bis das alles geklärt ist. Vielleicht wird mir Fahrlässigkeit vorgeworfen und eine Untersuchung meiner anderen Aktivitäten beginnt. Vielleicht verliere ich auch meine Genehmigungen für das Raketenprojekt. Dies sind ziemlich nahe liegende und nicht unwahrscheinliche Konsequenzen. Für Menschen mit anderen Prioritäten als Madsen, wären sie mit Sicherheit auch dramatisch, aber sie würden für die meisten wahrscheinlich nicht das Entsorgen der Leiche aufwiegen. Für Madsen allerdings sind das nicht nur schmerzliche Konsequenzen, sondern eine existentielle Bedrohung. Er hat sein Leben diesen Projekten gewidmet. Das ist sein primärer Antrieb. Die Projekte und das Ansehen das für ihn daraus entspringt stehen für ihn über allem. Wenn sein Ansehen angekratzt wird, verliert er nicht nur Sponsoren und es wird schwerer werden Freiwillige für sich anzuwerben, es wird seine ganze Identität in Frage gestellt. Wenn das rauskommt wird er für immer ein Amateur sein, der durch seine Unprofessionalität ein Menschenleben auf dem Gewissen hat. Zumindest wenn die Medien, denen er zutiefst misstraut, mit ihm fertig sind.
Alternatives Handlungsszenario
Ich lasse die Leiche verschwinden. Ja, ich wurde mit ihr gesehen. Aber ich kann behaupten sie abgesetzt zu haben. Bis das überprüft ist, ist die Leiche irgendwo in der Ostsee verschwunden und taucht eh nicht wieder auf. In ein paar Wochen erledigt sich das von selber. Vielleicht bleibt da was hängen an mir, aber was kann man mir nachweisen? Kannte sie ja auch kaum. Ich weiss das das falsch ist, aber bin ich bereit für diesen dummen Unfall mein Lebenswerk zu opfern? Hauptsache keine Spuren hinterlassen.
Ich will das an dieser Stelle gar nicht weiter ins Detail ausführen. Das ist schon alles schrecklich genug als es sich auch noch konkret auszumalen. Natürlich muss man um diese Entscheidung zu treffen schon herabgesenkte Empathie an den Tag legen, aber halt auch nur im Kontext zur eigenen angenommen Bedrohungslage. Die Grenzüberschreitung ist hier auch schon erheblich. Sollte wirklich die Zerstückelung statt gefunden haben, noch einmal um einiges mehr. Mir geht es auch nicht darum eine definitive Version der Ereignisse zu präsentieren, sondern eher meine Meinung, das
@traces ein ziemlich überzeugendes Plädoyer dafür gehalten hat, das Madsens Handlungen, selbst die Zerstückelung, aus Madsens Sicht defensives, Existenz bewahrendes Verhalten sein können.
Nichts davon macht es aus unserer Sicht weniger monströs oder gar entschuldbar. Aber es ist eine Lesart die mir wahrscheinlicher erscheint als ein plötzlicher, bisher nicht dokumentierter, zerstörerischer Hass auf Frauen, oder gar - diese spezielle Frau - die ihn angetrieben haben soll. Ein Hass der sich gegen allen leidenschaftlichen Interessen und Motivationen stellte, die seine engeren Vertrauten ihm bisher attestierten. Auch das rein sexuelle Motiv erscheint mir weniger überzeugend, auch wenn die Bild Zeitung (in dem kürzlich verlinkten Artikel) jetzt natürlich versucht die Perversion in ihm herauszustellen. Es fällt mir extrem schwer mir vorzustellen das er das extreme Risiko eingeht eine Journalistin zu bedrängen, bei der er ja mit vernichtendem Echo rechnen muss wenn es schief läuft.
Wir werden es hoffentlich erfahren. Auch wenn ich
@traces unbedingt Recht gebe, das es uns hier nicht gut tut diesen Fall getrieben durch unsere Emotionen zu bewerten, diese Geschichte packt mich wirklich ganz persönlich und es fällt mir schwer nicht immer den Madsen vor Augen zu haben mit dem ich auch mal 20 Minuten in einer engen Röhre eingeschlossen war.