equinoxx schrieb:Aber wir diskutieren doch schon seit Monaten über diesen maximal komplexen Fall. Und du sagst jetzt, du weißt nicht, was daran so kompliziert sein soll?
Ja genau: wir diskutieren hier seit Monaten. Und andere Teile des Internets ja auch, was man allein an der schieren Anzahl von Youtubern und Podcastern sieht, sie dich mit dem Fall beschäftigen (und teils die wildesten Theorien aufstellen).
Aber nur weil es für uns alles rätselhaft, zweifelhaft, kompliziert, dubios und undurchsichtig aussieht, bedeutet das doch nicht, dass die Sach- und die Beweislage an sich besonders komplex oder kompliziert ist. Wir kennen nur einzelne Brocken an Informationen und dazu kommt noch, dass die jeweils andere Seite diese Brocken, die an die Öffentlichkeit gelangt sind (z.B. durch die Veröffentlichung der Durchsuchungsbeschlüsse oder des Memorandums) jeweils als unwahr, erfunden, zweifelhaft darstellt: die Verteidiger sagen, die Ermittler und die StA haben gelogen, die StA sagt, was in dem Memorandum steht ist erfundener Humbug. Was soll man da glauben?
Das ist der Sachstand, den wir seit Monaten diskutieren und die Diskussion wird immer wieder durch Häppchen an Information gespeist, die nach außen bekannt werden...
Aber Ermittler und StA haben mehrere tausend Seiten an Ermittlungsakten zur Verfügung, die haben also einen ganz anderen Kenntnis- und Informationsstand. Die PCAs zu den Durchsuchungsbeschlüssen müssen nicht alle Beweise und Indizien gegen einen Verdächtigen enthalten und tun das in der Regel auch nicht. Wir können also nicht davon ausgehen, dass das die einzigen Beweise und Indizien sind, die die StA hat.
Andererseits hat die Verteidigung bisher nichts wirklich entlastendes vorgebracht. Alles was sie getan haben, ist auf andere Personen als Alternativtäter hinzuweisen und zu versuchen, einzelne Beweismittel (wie z.B. die bei der Durchsuchung gefundene Waffe, RA "confessions" und seine Aussagen aus der dritten Vernehmung) mit der Begründung von Formfehlern bzw. mit Hinweis auf seinen psychischen Zustand als Beweismittel aus dem Prozess zu boxen.
equinoxx schrieb:Alles ist und bleibt höchst komplex und es gibt nur einen einzigen Beweis, das wäre die Patrone. Wenn ich dich richtig verstehe, gehst du davon aus, dass die Staatsanwaltschaft zweifelsfrei nachweisen kann, dass die Patrone zur RAs Waffe gehört? Sollte das so sein, dann bleibt weiter neben anderem die Frage offen, warum keine DNA von RA am Tatort gefunden wurde. Nehmen wir mal an, Richard Allen hat sich hier schuldig gemacht — es wäre meiner Meinung nach dennoch höchst zweifelhaft, dass er als Einzeltäter gehandelt hat.
Ob er alleine oder mit Mitttätern zusammen gehandelt hat, muss aber in diesem Prozess nicht geklärt werden. Dies ist der Prozess gegen RA, es geht dabei um die Schuld dieser Person und nicht darum, wer sonst noch wie beteiligt war. Zunächst lautete die Anklage ja nur darauf, dass er die Mädchen gekidnappt hat und sie in Folge dieses Kidnappings zu Tode gekommen sind. Wenn die StA die Jury davon überzeugt, dass er BG ist und man auf dem Video sieht und/oder hört, dass er die Mädchen kidnappt (die dann nachweislich innerhalb der nächsten Stunde nach dem Kidnapping tot waren), dann reicht das für einen Schuldspruch wegen Mordes. Dafür ist es ziemlich egal, ob er die Mädchen zwei Minuten nach Ende des Videos an eine Horde Odinisten übergeben hat und selber weggegangen ist und mit dem angebl. Ritualmord selbst nichts zu tun hatte.
Aber die StA hat die Anklage ja mittlerweile sogar um den Punkt erweitert, dass ihm vorgeworfen wird, auch an der eigentlichen Ermordung der Mädchen beteiligt gewesen zu sein. Das ist sehr spät hinzugekommen, woraus ich persönlich schließe, dass das mittlerweile durch die Ergebnisse von Untersuchungen nachweisbar ist, die sich erst im Rahmen von Ermittlungen nach RAs Festnahme ergeben haben (vielleicht sogar durch seine confessions, wer weiß welche Details er da zum Tatablauf preis gegeben hat....)
Selbst wenn die StA davon ausgeht, dass er Mittäter hat, dann ist es logisch, dass diese Hypothese und evtl. Beweise und Indizien dazu nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Denn natürlich will der StA diese Mittäter nicht warnen, Täterwissen preis geben und die Mittäter indirekt über den derzeitigen Ermittlungsstand informieren.
Es ist, wie gesagt, für die Anklage und Verurteilung von RA auch nicht wesentlich, ob er die Tat alleine oder mit 25 anderen Personen begangen hat. Wenn er BG dann hat er durch die Entführung direkt an der Ermordung der Mädchen mitgewirkt. Und wenn 5 Leute gemeinsam einen Mord begehen, dann wird die Gesamtstrafe nicht durch 5 geteilt, sondern jeder wird wegen Morde verurteilt und erhält die darauf stehende Strafe.
Rick_Blaine schrieb:Ja, das sehe ich zum Teil auch so. Es gibt Mordfälle, die man in 3-4 Verhandlungstagen abhaken kann, aber das hier ist sicherlich keiner davon.
Davon geht ja auch keiner aus.
Das was halt mal wieder unangenehm an den Verteidigern aufstößt ist, dass sie jetzt, also wenige Wochen vor dem geplanten Prozesstermin ankommen und sagen, die angesetzten Verhandlungstage würden nicht ausreichen und darum wieder mal einen Riesenzinnober machen (Rozzi war wohl sehr in Rage darüber in der Verhandlung....). Sie hatten die Planung der Verhandlungstage aber schon vor Monaten bekommen und damals keinen Einspruch erhoben und demnach offenbar auch keine Bedenken, dass die angesetzte Zeit reichen würde.
Natürlich hatten sie damals noch keinen Überblick, wie viele Zeugen vorgeladen werden würden, aber doch zumindest von ihrer Seite her eine sehr gute Vorstellung davon, um wie viele Zeugen es in etwas gehen würde. Es hat sich nicht erst in den letzten 2 Wochen ergeben, dass offenbar fast 200 Zeugen auf der Liste stehen würden.
Ich habe es so verstanden, dass die Prozessordnung es gar nicht zulässt, zum jetzigen Zeitpunkt einfach mal die Terminplanung für den Prozess zu ändern und ihn mal eben doppelt so lang anzusetzen, wie seit Monaten geplant. Und die Vorschlag, die Jury erst mal zu vereidigen und dann höflich zu bitte, ob man sie nicht statt 2 Wochen 4 Wochen auf ihrer Jurorenbank festnageln könnte, finde ich für einen erfahrenen Strafverteidiger, der die Prozessordnung seines Staates doch wohl sehr gut kennen sollte, sehr abenteuerlich.
Da habe ich tatsächlich den Eindruck, dass es den Verteidigern mit diesen Manövern darum geht, formale Prozessfehler zu provozieren, um sich jetzt schon mal ein Ticket für eine Berufung zu sichern. Oder aber darum, die Richterin zum ausrasten zu bringen, damit sie wieder mal ihre Absetzung fordern können.
In meinen Augen ist das wirklich ein unmögliches Benehmen, nicht nur allen Prozessbeteiligten, v.a. den Angehörigen der Opfer gegenüber, sondern ganz besonders auch ihrem Mandanten gegenüber. Wenn dessen psychischer Zustand tatsächlich so schlecht ist, wie die Verteidiger uns glaube machen wollen, dann dürfte dieses ständige Hüh und Hott für ihn sehr fatal sein.