GigiNazionale schrieb:Wenn das stimmt, finde ich es mutig von Rechtsanwalt Rozzi sich hier so klar zu den Umständen zu äußern. Ist seine Schilderung korrekt, empfinde ich das Verhalten der Richterin als grenzwertig.
Ich würde es sogar nicht nur als grenzwertig, sondern als absolut inakzeptabel ansehen.
Es war eine öffentliche Anhörung angesetzt, in der die Umstände und Verantwortlichkeiten des Leaks erörtert werden sollten. Baldwin war mit einen Anwalt erschienen und der Staatsanwalt hatte offenbar einige Zeugen mitgebracht, die vernommen werden sollten.
Baldwin hatte in einem Antrag eingeräumt, dass die Bilder über seine Kanzlei an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte aber die Verantwortung dafür zurückgewiesen.
Laut Rozzi habe die Richterin die beiden Verteidiger vor die Wahl gestellt, entweder noch vor der Anhörung "freiwillig" von ihrem Mandat zurückzutreten oder aber die öffentliche Anhörung mit all ihren für sie beschämenden Details über sich ergehen zu lassen und anschließend von der Richterin rausgeschmissen zu werden.
Das mag auf den ersten Blick wie ein faires Angebot, meinetwegen auch eine Warnung oder ein persönlicher Ratschlag klingen ("Leute, das wird hart werden, ich öffne Euch hier eine Hintertür, mit der ihr Euch eine unnötige öffentliche Schlachtung ersparen könnt....!"), aber eine Richterin kann doch nicht vor so einer Verhandlung schon das Ergebnis und die von ihr dann zu ergreifenden Sanktionen kennen! Sie mag ja durchaus schon vor der Verhandlung eine Meinung haben, sich auch schon überlegt haben, was sie als Sanktion verhängen wird, WENN sich in der Verhandlung herausstellt, dass Baldwin tatsächlich das Leak zu verantworten hat, trotzdem muss sie ergebnisoffen in diese Anhörung gehen.
Und als Richterin weiß sie das doch nur zu gut! Es ist doch ihr täglich Brot, sie kann ja auch nicht vor einer Verhandlung einen Angeklagten in ihr Besprechungszimmer rufen und ihm erklären, dass er sich die ganze peinliche Befragung in der Anhörung ersparen kann, wenn er direkt zugibt, die Tat begangen zu haben. Sei weiß eh, dass er Dreck am Stecken hat und wird ihn sowieso verurteilen.
Insofern ist das Verhalten der Richterin, wenn es so abgelaufen ist, wie Rozzi in seinem Antrag darlegt, deutlich mehr als grenzwertig!
Rick_Blaine schrieb:Es wäre zu verstehen, wenn der Rücktritt vom Mandat vom Anwalt selbst ausgegangen wäre, oder vom Mandanten, aus Gründen, die ich hier schon mal erwähnte. Aber die freie Anwaltswahl ist ein Grundrecht, da kann die Richterin nicht einfach so herumfuhrwerken.
Zumal sie in ihrem kurzen Statement es so dargestellt hat, dass die Verteidiger FREIWILLIG von dem Mandat zurückgetreten seien. Baldwin habe das bei ihr mündlich beantragt, Rozzi ebenfalls seine Absicht erklärt, den Antrag später schriftlich einzureichen.
Das ist schon ziemlich heftig und wenn es stimmt, was Rozzi schreibt, eine Lüge gegenüber der Öffentlichkeit!
Und hinzu kommt ebene noch, dass Rozzi, soweit wir das bisher wissen, mit dem Leak nichts zu tun hatte. Baldwin hatte wie gesagt eingeräumt, dass die Informationen aus seiner Kanzlei heraus veröffentlicht wurden, dafür kann aber Rozzi kaum zur Verantwortung gezogen werden.
Offenbar hat die Richterin die Verteidiger in mehreren Angelegenheiten gerügt, u.a. für die Art, wie das Memorandum verfasst und veröffentlicht wurde. Das kann man als Richterin nervig finden, dass die Anwälte damit indirekt die Gag-Order umgangen haben und viele Infos an die Öffentlichkeit gebracht haben. Und ich persönlich finde das absolut unethisch.
Aber de facto war es nicht illegal und juristisch erlaubt. Insofern hätte sie dafür vielleicht eine persönliche Ermahnung aussprechen können, aber eine Sanktion hätte sie dafür nicht aussprechen können und schon gar keinen Rücktritt der Verteidiger fordern.
Die Verteidiger stellen neben Richter und Staatsanwalt eine wichtige Partei in einem Prozess dar und es liegt in der Natur der Sache, dass sie sehr umfangreiche Freiheiten und Befugnisse haben müssen, um die Aufgabe ausüben zu können. Es ist absolut inakkzeptabel, dass eine der anderen Parteien in die Rechte und Freiheiten der Verteidiger eingreift. Sie sind ja gerade eines der Gewicht, die das System so austarieren sollen, dass die Rechte des Angeklagten nicht untergehen. Wenn ein Richter also versucht, den Verteidigern Vorschriften zu machen, wie sie verteidigen sollen oder wie sie nicht verteidigen dürfen, dann ist ein fairer Prozess nicht mehr möglich!
jaska schrieb:Wenn nun der Oberste Gerichtshof über die mögliche Absetzung der Richterin entscheiden muss klingt das erst mal nach einer nicht unerheblichen Verzögerung. Gibt es Erfahrungswerte, wie lange das bis zu dieser Entscheidung dauern kann?
Die Verzögerung kommt ja nicht nur durch die Dauer zustande, die der Gerichtshof benötigt, um über die Befangenheit der Richterin und ihre Absetzung zu entscheiden, sondern vor allem dadurch, dass sich ein neuer Richter in diesen Fall einarbeiten muss.
Wir kennen das Memoradum mit 136 Seiten. In dem Menmorandum wird mehrfach auf Anhänge zum Memorandum verwiesen, die nicht mit veröffentlicht wurden, weil es sich ja um Beweismittel handelt.
@Rick_Blaine hat in diesem Beitrag
Beitrag von Rick_Blaine (Seite 182)einen Gerichtsbeschluss zitiert, in dem davon die Rede ist, dass allein mit diesem Memorandum zusammen "tausende Seiten von Beweismaterial" und mehrere Stunden Audiodateien (mit Vernehmungen und Interviews) eingereicht wurden. Das ist nur eine Auswahl an Beweismaterial, was die Thesen der bisherigen Verteidiger stützen soll und es gibt einen ganz guten Vorgeschmack, wie umfangreich dann das gesamte gesammelte Beweismaterial in diesem Fall ist und wie viele Wochen und Monate jemand benötigt, um das alles zu prüfen, zu bewerten und juristische Schlüsse daraus abzuleiten.