Ich muss sagen, dass ich nicht wirklich nachvollziehen kann, was genau warum passiert ist und wieso sich Baldwin oder auch Baldwin und Rozzi zu diesem Schritt entschlossen haben.
Andrew Baldwin hatte einen Anwalt, Hennesey aus Indianapolis, der ihn vertreten sollte, engagiert, der noch gestern Vormittag einen Antrag eingereicht hat. Darin wird erklärt, dass Baldwin nicht verantwortlich für die Veröffentlichung der Fotos sei, sondern ebenfalls ein Opfer sei und von einem Freund, dem er vertraut habe, auf sehr böse Art hintergangen worden sei. Diesem habe er Zugang zu seinem Büro gestattet, wodurch er ohne Baldwins Wissen an die Unterlagen gekommen sei.
Es wird betont, welcher Schaden RA dadurch entstehen würde, wenn Baldwin und oder Baldwin und Rozzi von der Verteidigung entbunden werden würde und wie wichtig es deshalb sei, dass die beiden weiter RA Verteidiger sein dürfen.
Quelle:
https://www.the-sun.com/news/9371852/richard-allen-delphi-andrew-baldwin-betrayal/Ich muss sagen, dass ich diese Aussagen ziemlich zum erbrechen finde… Der Leaker war wohl früher in Baldwins Kanzlei angestellt, auch über einen längeren Zeitraum, arbeitet aber mittlerweile nicht mehr für ihn, ist aber ein enger Freund von ihm geblieben. Insofern ist es nicht so, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt und Baldwin damit für einen seiner Mitarbeiter geradestehen müsste.
Aber ich finde diesen Umgang mit den Dokumenten fast noch schlimmer. Dass Mitarbeiter einen hintergehen, die aber ihm Rahmen ihrer Arbeit legal und unvermeidlich Zugang zu den Informationen haben, ist eine Sache. Als Arbeitgeber muss man sich natürlich dagegen absichern, in dem man Mitarbeiter sorgfältig aussucht, sie über die Verschwiegenheitspflicht belehrt und ggfls. Verschwiegenheitsverpflichtungen unterzeichnen lässt. Man kann den Mitarbeitern aber ja nur vor den Kopf gucken und wenn man seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist, hat man sich nicht schuldhaft verhalten.
Aber man kann doch nicht externe Menschen, die keinerlei Bezug zu dem Fall haben, ein und aus gehen lassen, wenn diese hoch vertraulichen Unterlagen zu einem high-profile-Fall dort offenbar offen zugänglich rumliegen.
Stellt Euch vor, ihr würdet privat einen befreundeten Arzt besuchen, der zufällig Angela Merkel, Donald Trump oder Vladimir Putin als Patienten hat und der hätte da deren Krankenunterlagen offen rumliegen! Selbst wenn es "nur" um die Patientin Lieschen Müller ginge, ist das völlig undenkbar, dass fremde Menschen da reinschauen dürfen.
Das gleiche gilt für jeden Mitarbeiter vom Einwohnermeldeamt, jeden Dorfpolizisten und selbst bei Aldi, Lidl und Co. Die können auch nicht vertrauliche Daten ihrer Kunden so aufbewahren, dass andere Leute da reinschauen können, selbst wenn es ehemalige Mitarbeiter, Kollegen oder die dicksten Freunde sind, geht es die doch nichts an, wie viele Rollen Klopapier, wie viele Flaschen Whiskey und Packungen überfetteter und überzuckerter Eiscreme ich ihm letzten Jahr über meine Lidl Plus Karte gekauft habe….
Insofern finde ich dieses Geschwafel, Baldwin könne nichts dafür, er sei selbst Opfer geworden, völlig unangebracht. Der Mann ist Anwalt und praktiziert seit Jahren. Dass die ihm offenbarten Daten streng vertraulich sind, sollte für ihn selbstverständlich sein; dazu bedarf es auch keiner Gag-Order!
Es wird dann noch rumgeschwafelt, es seien ausschließlich Informationen bekannt geworden, die sowieso im Rahmen des Prozesses öffentlich geworden wären. Auch das finde ich ein fast zynisches Argument, denn zum einen ist überhaupt nicht sicher, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt. Und zum anderen werden Tatortfotos, auf denen die übel zugerichteten Leichen von Kindern zu sehen sind, in Prozessen nicht von der öffentlichen Kamera gezeigt (wenn denn Kameras zugelassen werden, was ja auch nicht sicher ist!) , diese Informationen bleiben im Gerichtssaal. Das ist also etwas komplett anderes, als wenn diese Bilder in die Hände von „Delphi-Creators“ (so nennen sich tatsächlich einige der unzähligen Youtuber, Podcaster und was weiß ich für Leute, die im Netz über den Fall berichten und spekulieren….) gelangen, die sie dann im Netz rauf und runter posten und diskutieren.
Und im Prozess werden die Angehörigen darüber informiert, wann diese Bilder gezeigt werden. Sie können dann selber entscheiden, ob sie sich das antun wollen oder an dem Tag lieber nicht an der Verhandlung teilnehmen wollen. Das ist wohl etwas anderes, als wenn die Bilder der ermordeten Mädchen für den Rest der Ewigkeit durchs Internet geistern (denn das Netz vergisst bekanntlich nichts….).
Insofern finde ich die Argumentation wirklich armeseelig, selbstgerecht und verharmlosend!
Die Podcaster vom Murdersheet-Podcast haben eine Folge zum Rücktritt der Anwälte veröffentlicht:
Die beiden Hosts waren im Gerichtsgebäude. Einlass war um 8.00 Uhr, der Einlass war auf 90 Personen begrenzt, weshalb sich schon in der Nacht eine ziemliche Menschenschlange gebildet hatte. Der Gerichtssaal selbst wurde erst gg. 13.00Uhr geöffnet, davor mussten sich alle Zuschauer auf dem Flur aufgehalten.
Die beiden berichten, dass Baldwin zusammen mit seinem Anwalt und Rozzi deutlich vor der Verhandlung über den Flur und dann in ein Besprechungszimmer der Richterin gegangen ist. Der Beginn der Anhörung hat sich deutlich verschoben, ohne dass zunächst klar war, warum.
Rozzi ist dann in den Gerichtssaal gekommen, in dem die Zuschauer mittlerweile Platz genommen hatten und hat kurz mit RAs Ehefrau und seiner Mutter gesprochen, die in der ersten Reihe saßen und hat sie dann raus begleitet. Kathy Allen hat geweint. Baldwin und Hennesey sind nicht im Saal aufgetaucht.
Quelle:
https://murdersheetpodcast.com/podcast/murder-sheet/episode/the-delphi-murders-defense-attorneys-brad-rozzi-and-andy-baldwin-withdrawErst danach ist die Anhörung eröffnet worden, in der die Richterin Fran Gull den Rücktritt der Anwälte verkündet hat.
Ich verstehe wirklich nicht, was da passiert ist?! Morgens hat Hennessey noch den kämpferischen Antrag eingereicht, in dem betont wird, wie wichtig es sei, dass Baldwin und Rozzi die Verteidiger von RA bleiben und wenige Stunden später treten beide freiwillig zurück?!
Es kann sich dabei nicht um eine spontane Entscheidung gehandelt haben ,die sich erst aus dem persönlichen Gespräch mit der Richterin ergeben hat. Dieses Gespräch kann nur einzig und allein dazu stattgefunden haben, um den Rücktritt zu erklären. Dass die Anwälte schon mal vor einer Anhörung inoffiziell im stillen Kämmerlein vorhorchen, was es denn nachher in der Anhörung wohl für Ärger geben wird, ist nicht statthaft. Damit ist ausgeschlossen, dass Richterin Gull Baldwin im Besprechungszimmer erklärt hat, welche Konsequenzen sie gedenkt gegen ihn zu verhängen und er sich erst daraufhin entschlossen hat, zurückzuziehen. Dieses Gespräch hinter geschlossener Tür hatte den Rücktritt der Anwälte zum Thema.
Was also hat Baldwin dazu bewogen, sein Mandat nieder zu legen, nachdem er sich in dem Antrag noch kämpferisch gegeben hat und betont hat, die Verteidigung weiter übernehmen zu wollen?