So, wie manche wissen hatte ich eine Woche Urlaub und davor und danach selbst mehrere Verfahren, so dass ich keine Zeit hatte, mich um diesen Fall zu kümmern. Das habe ich jetzt nachgeholt und stelle wieder einmal einige Überraschungen fest.
Ich fange mal mit dem letzten event an, da es sehr substantiell ist: Jan Rouven hat auf einen Prozess vor einer Jury verzichtet.
@oliver0815 s Frage nehme ich hier mal auf: Freilich kann der Verteidiger das nicht einfach sagen, er muss das Einverständnis des Angeklagten haben. Das Gericht in diesem Fall hat Rouven auch persönlich dazu vernommen, ausserdem liegt eine schriftliche Verzichtserklärung von Rouven vor.
Was bedeutet das nun? Die Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert jedem Angeklagten in einem Fall, in dem sein Leben oder seine Freiheit auf dem Spiel stehen, einen Prozess vor einer Jury "of his peers." Ich hatte dazu vor einigen Wochen schon einiges Grundsätzliches oben geschrieben. Im Bundesverfahren bedeutet das: eine Jury von 12 Mitgliedern.
Der Angeklagte kann aber darauf verzichten, dann wird das Urteil allein vom vorsitzenden Richter gefällt.
Das hat gewaltige Konsequenzen und will daher sehr wohl überlegt sein. Im Juryverfahren gilt, eine Verurteilung (ein Schuldspruch) muss einstimmig erfolgen, umgekehrt reicht also ein einziger Juror aus, von den zwölf, um einen Schuldspruch zu verhindern.
Sagen wir es mal mit anderen Worten: die Anklage muss zwölf Menschen von der Schuld des Angeklagten überzeugen. Überzeugt sie nur elf, hat sie ihr Ziel nicht erreicht.
Verzichte ich nun auf die Jury, bleibt nur ein Richter übrig. Die Anklage muss nur noch einen einzigen Menschen überzeugen.
Normalerweise sagt man, habe ich als Verteidiger eine bessere Chance, wenn die Anklage zwölf überzeugen muss.
Warum verzichte ich dann auf eine Jury?
Eigentlich tut man das nur in ganz extremen Fällen, wenn man
a) der Meinung ist, eine Jury wird vermutlich dem Angeklagten gegenüber sehr negativ voreingenommen sein, und/oder
b) in der Beweisaufnahme geht es um sehr komplizierte Dinge, von denen ich annehme, dass ein Richter sie einfach besser versteht als ein Juror und daher wahrscheinlicher meiner Argumentation folgen wird, als eine Jury das tun wird.
Mir selbst sind bisher vor allem Verfahren begegnet, in denen es vor allem um Punkt a) ging: zum Beispiel in Verfahren, wo die Opfer Kinder waren oder wo die Anklage rassistische Motive unterstellte. Leider ist es in solchen Fällen nicht unerhört, dass eine Jury sich durch solche Faktoren so gegen den Angeklagten aufbringen lässt, dass man das Gefühl hat, der Richter wird, weil beruflich erfahren, eher eine faire Entscheidung treffen als die Jury.
Jan Rouvens Verteidiger argumentieren genau so: sie sagen, die Vorwürfe der Kinderpornographie sind so schwer, so aufheizend, dass eine faire Jury nicht zu finden ist. Sie trauen lieber der vorsitzenden Richterin, dass diese ein Urteil sine ira et studio, wie Juristen sagen, ohne Vorurteil und ohne falsche Sympathie fällen wird.
Eine sehr schwere Entscheidung, denn freilich kann Rouven nachher nicht kommen und in der Revision sagen, ach, ich hätte doch mein Glück mit der Jury versuchen sollen... Ich kann aber die Entscheidung nachvollziehen.
Angeklagte in Sexualprozessen, ganz besonders wenn die Opfer Kinder sind, haben es immer sehr schwer, wirklich unvoreingenommene Richter zu finden, besonders, wenn es sich eben nicht um Berufsrichter, sondern Juroren handelt.
Hier in diesem Fall kann es gut sein, dass auch Punkt b) noch eine Rolle spielt: wie wir schon diskutiert haben, wird es kaum anders gehen, als dass die Verteidigung technische Argumente vorbringen wird, warum es nicht Rouven gewesen sein soll, der die Daten heruntergeladen usw. hat. Diese technischen Argumente können einen Laien schnell überfordern, und auch hier kann es sein, dass man das Gefühl hat, eine studierte Juristin ist vielleicht empfänglicher für solche Argumente als ein "einfacher" Juror.
Natürlich könnte man jetzt viele Gegenargumente aufzählen, von der Jurorin die Rouvens schmachtendem Blick erliegt bis zum Vorkämpfer für Schwulenrechte, der keinen Kumpel verurteilen würde und so weiter und so fort - das ist nun alles müssig, denn Rouven hat nun mal so entschieden.
Ich werde in den nächsten Tagen mal schauen, was ich über die Richterin noch so in Erfahrung bringen kann, ich selbst kenne sie nicht. Vielleicht finden wir da Dinge, die Rouvens Ansicht bestätigen.
Soweit zu diesem Thema.
In den letzten Wochen gab es noch einiges Hin und Her zwischen beiden Seiten, wobei auch da wieder einige Merkwürdigkeiten aufgefallen sind.
So versuchte die Verteidigung eine dritte Anwältin für ihr Team zu benennen. Pikant dabei ist: diese Anwältin hat bis vor Kurzem als stvt. Bundesanwältin für die Anklagebehörde gearbeitet.
Jeder Jurastudent weiss natürlich, dass das ein absolutes no-no ist. Es ist mir unbegreiflich, dass die Verteidigung so eine Aktion unternahm. Marchese und Durham gingen ein extrem grosses Risiko ein, und noch ist die Gefahr für Rouvens Verteidigung nicht gebannt: Die Anklage hat natürlich bei der Richterin gegen die Benennung ihrer früheren Mitarbeiterin als Verteidigerin protestiert. Sie hat allerdings auch, und das im Einklang mit den Regeln, beantragt nun das gesamte Verteidigungsteam als unzulässig befangen zu disqualifizieren.
Dazu gab es eine Anhörung, in der ein zerknirschter Marchese verkünden musste, dass jene dritte Anwältin im Licht dieser Angelegenheit ihren Antrag auf Zulassung zurückgezogen habe. Durham und er beteuern, dass sie keine unzulässigen Erkenntnisse durch diese Anwältin erhalten haben und daher nicht disqualifiziert werden sollten.
Mir ist das unbegreiflich. Nicht nur ist der ganze Prozess in Gefahr geraten, die drei beteiligten Anwälte sind nun auch in Gefahr, ihre Anwaltszulassung zu verlieren oder zumindest eine empfindliche Strafe durch das Standesgericht aufgebrummt zu bekommen. Wie gesagt: jeder Jurastudent wird mehrfach genau über solche Dinge geprüft. Im Studium kam mir das schon zu den Ohren heraus. Nun, anscheinend ist es wirklich wichtig, diese Themen so oft durchzunehmen.
So, nun werde ich mir mal die restlichen Dinge anschauen, die in den letzten Wochen so bei Gericht eingereicht worden sind. Ich werde weiter berichten.