Das rätselhafte Verschwinden von Kris Kremers & Lisanne Froon
03.03.2016 um 16:42
Der nur zweimalige Notrufversuch am 01.04.14 lässt mich auch nicht los. Ich wollte ja nur kurz in den Thread reinlesen, weil ich von dem Fall noch nie gehört hatte, aber in den letzten Tagen habe ich fast die ganzen Seiten gelesen, und holländische Zeitungsartikel, und WS-Forum …
Merkwürdig wirkt ja erst mal die zeitliche Lücke von gut 10 Minuten zwischen den beiden ersten Notrufen vom 01.04.2014. Die könnte noch gut mit Meinungsverschiedenheiten zwischen K. und L. erklärbar sein, wie hier auch schon einmal spekuliert wurde: vielleicht wurde K. zunehmend nervös und setzte mit ihrem Handy den ersten Notruf ab, während L. (erst mal) gelassener war und sich gegen einen Notruf aussprach – etwa weil in dem Zeitpunkt kein akuter medizinischer oder sonstiger Notfall vorlag, sondern „nur“ Verlaufen oder Wegverschätzung mit der unerfreulichen Aussicht auf eine Nacht im Dschungel; weil es Bedenken gab wegen eventueller Kosten einer Rettungsaktion; und weil, wenn kein wirklich akuter Notfall vorlag, ohnehin keine sichere Aussicht bestand, dass sich eine Suchmannschaft sofort in Bewegung setzen würde, um zwei Touristinnen aus ihrer misslichen Lage zu befreien. K macht also bei diesem Szenario den allerersten Notruf quasi im Alleingang, bekommt aber kein Netz. Dann kommt es zu Diskussionen mit L über K‘s Ansinnen, dass diese es mit ihrem Handy auch versuchen soll (vielleicht war die Stimmung eh schon angespannt, weil die eine zu der unguten Situation, in der sie waren, stärker beigetragen hatte, als die andere), und schließlich gibt L. nach und versucht es auf ihrem Handy ebenfalls.
Danach wissen beide, dass sie an der betreffenden Stelle (oder Stellen, es war ja ca. 10 Minuten und von daher mglw. auch eine entsprechende Wegstrecke dazwischen) keinen Empfang haben. Wenn in diesem Zeitpunkt, wie angenommen, kein ganz akuter Notfall vorliegt (schwere Verletzung, Überfall, Schlangenbiss …), besteht jetzt m.E. kein Impuls, in Hysterie und Panik 10-, 20-mal kurz hintereinander erneut zu ausprobieren, ob man nicht doch Netz hat. Man ist in einer saublöden Situation, die rasch gefährlich werden kann, aber noch nicht ganz akut lebensgefährlich ist. Bis zum Sonnenuntergang ist noch eine ganze Weile hin; vielleicht findet man bis dahin eine Behausung, oder begegnet anderen Wanderern, oder hat demnächst wieder Netzempfang. Also erst mal abwarten und weiterlaufen, ohne weitere Notrufversuche.
Dass dann aber auch den ganzen restlichen 01.04. über kein einziger weiterer Notrufversuch unternommen wird, wundert mich außerordentlich. Die beiden waren für eine Nacht im Dschungel nicht im Entferntesten ausgerüstet, sondern waren anscheinend losgezogen wie für einen Abstecher ins Schwimmbad. Dschungel- oder Survival-Erfahrung hatten sie wohl auch beide keine. Je näher die Nacht kam, desto gefährlicher wurde die Situation (kein Feuerzeug, keine Taschenlampen, keine Kleidung, kein Essen, von Biwakausrüstung ganz zu schweigen …). Ich denke, spätestens mit Schwinden des Taglichts würde nahezu jeder in dieser Situation nochmal probieren, ob man jetzt nicht doch durchkommt, weil spätestens dann eben doch eine gewisse Panik aufkommen dürfte. Dass der Akku noch für viele Tage gebraucht wird, weiß man in diesem Zeitpunkt auch noch nicht. Und auch, wenn man sich schon relativ cool damit abgefunden hat, dass man die Nacht halt irgendwie im Urwald überstehen muss (was ich mir bei den beiden Mädels nur schwer vorstellen kann), wäre dies mit Sicherheit wesentlich leichter zu ertragen, wenn ein erfolgreicher Notruf eine konkrete Aussicht auf Rettung ergeben würde.
Warum haben sie es dennoch nicht probiert, oder genauer gesagt, warum sind keine weiteren Versuche vom 01.04. dokumentiert?
Eine Möglichkeit wäre, dass die im WWW kursierenden Daten betreffend Handynutzung nicht richtig oder nicht vollständig sind. Diese Übersichten und Tabellen betreffend die Handynutzung, die auch im vorliegenden Thread mehrfach zu finden sind, wirken gesichert und vollständig, aber ich frage mich, ob sie das wirklich sind, oder ob ihnen nicht mehr Aussagekraft und Sicherheit zugeschrieben wird, als sie tatsächlich haben. Die ganze Quellenlage erscheint mir in hohem Maß unübersichtlich und unsicher. Der offizielle Untersuchungsbericht, den die niederländischen Behörden wohl verfasst haben, wäre vermutlich eine zuverlässige Quelle, aber er ist anscheinend nie – auch nicht auszugsweise – veröffentlicht worden. Bei den allermeisten Details, die kolportiert werden, ist unklar, ob sie aus zuverlässigen Quellen stammen, oder ob sie – bewusst oder versehentlich, durch sensationsheischende Journalisten oder Foristen oder auch „gutgläubig“, durch Übersetzungsfehler oder –unschärfen, oder einfach durch Missverständnisse – verfälscht wurden oder gar keine Grundlage haben. Mir scheint, vieles wird nur als gesichert und vollständig hingestellt und hingenommen, weil einer vom anderen abschreibt.
Wenn ich jetzt trotzdem mal davon ausgehe, dass am 01.04. tatsächlich nur die beiden vereinzelt gebliebenen Notrufversuche stattgefunden haben (bessere „Quellen“ habe ich ja auch nicht), fallen mir dafür mal zwei Erklärungswege ein: Entweder, L. und K. wollten keine weiteren Versuche machen, oder sie konnten keine weiteren Versuche machen.
Dass sie keine weiteren Versuche machen wollten, halte in der gegebenen Situation für unwahrscheinlich (siehe oben – mit Einbruch der Dämmerung aufsteigende Panik müsste eigentlich bei nahezu jedem zu mindestens einem erneuten Versuch führen; Survival-Profis, die K. und L. nicht waren, vielleicht ausgenommen). Eine mögliche Erklärung in diesem Zusammenhang wäre, dass sie sich seit den nachmittäglichen Versuchen nicht weiterbewegt hatten (oder nicht weiterbewegen konnten) und von daher keinerlei Sinn darin sehen konnten, es nochmal zu probieren; aber selbst dann halte ich die Versuchung für riesig groß, abends einen neuen Versuch zu starten („vielleicht funktioniert es ja jetzt doch …“).
Außerdem wäre, wenn sie sich beide nicht weiterbewegen konnten (aber trotzdem über die Handys verfügten), von einem sehr ernsten Notfall auszugehen – was wiederum bei den allermeisten dazu führen würde, dass man eben nicht cool bleibt und sich auf einen einzigen Versuch beschränkt, sondern es in Panik immer wieder und immer wieder versucht.
Wenn sie am 01.04. keine weiteren Versuche machen konnten, kann das zunächst mal rein physische Gründen haben, auch ohne Einwirkung Dritter (nach Absturz/Schlangenbiss/giftiger Frucht beide bewusstlos, oder beide bewegungsunfähig und Handys außer Reichweite). Dagegen spricht für mich neben der (eher) Unwahrscheinlichkeit eines beide gleichzeitig treffenden Unglücks der weitere Verlauf mit, soweit bekannt, relativ regelmäßiger Handynutzung.
Dass am 01.04. keine weiteren Versuche gemacht werden konnten, kann außerdem daran liegen, dass ihnen jemand die Handys weggenommen hat. Damit kämen Dritte ins Spiel, und man wäre bei einer (schlagwortartig) „Verbrechenstheorie“, die ich auch wieder vom weiteren Verlauf her (erneute Handynutzung, keinerlei eindeutigen Anzeichen für Einwirkung Dritter) eigentlich für unwahrscheinlich halte.
Es beißt sich also vorne und hinten, wie ich es drehe und wende. Deshalb frage ich mich, ob wir nicht viel zu stark von gesicherten Tatsachen ausgehen, die nicht gesichert sind und einfach nicht stimmen.
In diese Richtung denke ich auch bezüglich der fehlenden "Abschiedsnachrichten": Ist wirklich sicher, dass es sie nicht gab (oder sogar gibt)? Oder konnte da nur nichts rekonstruiert werden? Oder wurde etwas gefunden, aber nicht öffentlich gemacht? Die Informationen, die ich bisher kenne, sind da für mich nicht 100 Prozent eindeutig.
Jedenfalls ist der Fall unendlich traurig und tragisch, weil die Rettung vermutlich ziemlich nah war.