@Syrah @osttimor Ja, wie
@Purgatory2015 und andere hier schon andeuteten, geht es bei der zitierten Entscheidung und generell eben um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten, der Notwehr (und eventuell daraus erwachsenden Notwehrexzess) geltend machen will.
Und da in den meisten Fällen keine unabhängigen Zeugen da sind, steht und fällt alles mit der Glaubwürdigkeit: zuerst schaut sich das Gericht natürlich die wissenschaftlichen Beweise an: kann die Tat so abgelaufen sein, technisch, wie der Angeklagte behauptet?
Sehr vereinfachtes Beispiel: Der Angeklagte behauptet, dass der Gegner mit einer Pistole auf ihn gezielt hat, daher hat er seine eigene gezogen und geschossen. Die Spurenlage aber zeigt, dass der Angeklagte den Gegner gar nicht sehen konnte, sondern durch eine geschlossene Tür erschossen hat. Ergo: keine Notwehr, selbst wenn sich herausgestellt hat, dass das Opfer eine Waffe bei sich trug etc.
Wenn aber die wissenschaftlichen Spurenbeweise nicht gegen die Version des Angeklagten sprechen und keine weiteren Zeugen existieren, dann schaut sich das Gericht beide, den Angeklagten und das Opfer an: es fragt dann: aus allem, was man über beide weiss, ist es plausibel, dass das Opfer der Angreifer war?
Wenn dann herauskommt, dass das Opfer schon oft wegen Gewalttaten aufgefallen war, als sehr jähzornig gilt, usw. glaubt man dem Angeklagten naturgemäss eher, als wenn es umgekehrt war, das Opfer war bisher als lammfromm bekannt, aber der Angeklagte ist bekannt dafür, zuerst zu schlagen und dann zu fragen.
Und so kommen dann auch einschlägige Vorstrafen etc. zum Tragen.
Natürlich weiss ein erfahrener Richter auch, dass selbst der frömmste Nachbar mal ausrasten kann und auch der übelste Schläger der Nachbarschaft wirklich einmal Opfer sein kann, und daher muss er, der Richter, das immer zumindest für möglich halten. Im Endeffekt, wenn der Richter keine Möglichkeit sieht, eine Entscheidung zu rechtfertigen, die auf Indizien, Spuren, Charakter der Beteiligten usw. beruht, muss der Grundsatz "in dubio pro reo" gelten.
Und das scheint in dem zitierten Fall genau so gewesen zu sein. Das Gericht betont, es sah hier einen Zweifelsfall.