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Jura, Kriminologie und Kriminalistik

196 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Jura, Kriminologie, Kriminalistik ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Jura, Kriminologie und Kriminalistik

08.08.2015 um 20:34
@woertermord
Dafür müsste man wohl das Urteil lesen, ob der Freispruch in dubio erfolgte oder ob explizit notwehrexzess bejaht wurde.


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09.08.2015 um 04:23
@Syrah
@osttimor

Ja, wie @Purgatory2015 und andere hier schon andeuteten, geht es bei der zitierten Entscheidung und generell eben um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten, der Notwehr (und eventuell daraus erwachsenden Notwehrexzess) geltend machen will.

Und da in den meisten Fällen keine unabhängigen Zeugen da sind, steht und fällt alles mit der Glaubwürdigkeit: zuerst schaut sich das Gericht natürlich die wissenschaftlichen Beweise an: kann die Tat so abgelaufen sein, technisch, wie der Angeklagte behauptet?

Sehr vereinfachtes Beispiel: Der Angeklagte behauptet, dass der Gegner mit einer Pistole auf ihn gezielt hat, daher hat er seine eigene gezogen und geschossen. Die Spurenlage aber zeigt, dass der Angeklagte den Gegner gar nicht sehen konnte, sondern durch eine geschlossene Tür erschossen hat. Ergo: keine Notwehr, selbst wenn sich herausgestellt hat, dass das Opfer eine Waffe bei sich trug etc.

Wenn aber die wissenschaftlichen Spurenbeweise nicht gegen die Version des Angeklagten sprechen und keine weiteren Zeugen existieren, dann schaut sich das Gericht beide, den Angeklagten und das Opfer an: es fragt dann: aus allem, was man über beide weiss, ist es plausibel, dass das Opfer der Angreifer war?

Wenn dann herauskommt, dass das Opfer schon oft wegen Gewalttaten aufgefallen war, als sehr jähzornig gilt, usw. glaubt man dem Angeklagten naturgemäss eher, als wenn es umgekehrt war, das Opfer war bisher als lammfromm bekannt, aber der Angeklagte ist bekannt dafür, zuerst zu schlagen und dann zu fragen.

Und so kommen dann auch einschlägige Vorstrafen etc. zum Tragen.

Natürlich weiss ein erfahrener Richter auch, dass selbst der frömmste Nachbar mal ausrasten kann und auch der übelste Schläger der Nachbarschaft wirklich einmal Opfer sein kann, und daher muss er, der Richter, das immer zumindest für möglich halten. Im Endeffekt, wenn der Richter keine Möglichkeit sieht, eine Entscheidung zu rechtfertigen, die auf Indizien, Spuren, Charakter der Beteiligten usw. beruht, muss der Grundsatz "in dubio pro reo" gelten.

Und das scheint in dem zitierten Fall genau so gewesen zu sein. Das Gericht betont, es sah hier einen Zweifelsfall.


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09.08.2015 um 06:45
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Die Spurenlage aber zeigt, dass der Angeklagte den Gegner gar nicht sehen konnte, sondern durch eine geschlossene Tür erschossen hat. Ergo: keine Notwehr, selbst wenn sich herausgestellt hat, dass das Opfer eine Waffe bei sich trug etc.
ein großer teil der lehre in österreich hält sich bei so einem beispiel an den merksatz:
"es ist nicht einzusehen, dass jemand bestraft wird nur weil er nicht wusste, dass er in notwehr gehandelt hat!"

beispiel 1: frau wartet auf ihren mann zu hause, dieser kommt wieder mal nicht nach hause. sie will ihm eine lektion erteilen und ihm mit der pfanne eine über den schädel ziehen. als sie hört wie die tür aufgeht, schlägt sie zu. statt ihren mann zutreffen, hat sie einen einbrecher k.o. geschlagen.
beispiel 2: franz ist hans schon länger ein dorn im auge. als er ihn eines tages bei dichten nebel am see sieht, ergreift er den entschluss und will ihn erschießen. was hans durch den dichten nebel nicht sieht ist dass franz ebenso seine waffe auf hans gerichtet hat. hans erschießt schließlich franz ohne erkannt zu haben, dass er dasselbe vorhatte.


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10.08.2015 um 03:05
In der Lehre in Deutschland gibt es inzwischen auch Vertreter der Theorie, dass schon das objektive Vorliegen einer Notwehrsituation ausreicht, um die Verteidigungstat zu rechtfertigen, z.B. bei Schröder, Rohrer usw.

Ich denke aber, es ist immer noch die vorherrschende Meinung, dass ein Verteidigungs-Täter Kenntnis vom Vorliegen eines Angriffs haben muss und seine Tat als Verteidigung betrachtet. So z.B. mein Lehrer, Roxin, u.a.

Der BGH geht sogar noch weiter und fordert, dass das Motiv des Verteidigers eben die Notwehr sein muss (Willenstheorie). Dementsprechend befürwortet der BGH dann auch die Bestrafung für ein vollendetes Delikt. Andere meinen, es sollte nur ein Versuch bestraft werden.

Dementsprechend würden in Deinen Beispielen in Deutschland die Frau und Hans beide wegen einem vollendeten Delikt bestraft.

Dies ist ein sehr interessantes Feld der Rechtswissenschaft, da es gute Argumente für alle Sichtweisen gibt.


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10.08.2015 um 03:16
es klingt zunächst komisch, jedoch je mehr man darüber nachdenkt, desto sinnvoller erscheint die von mir oben genannte meinung (zumindest für mich!).
andererseits würde ich meinen greift dieser ansatz im zweiten beispiel (nebeliger see) fast schon wieder zu weit.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Dies ist ein sehr interessantes Feld der Rechtswissenschaft, da es gute Argumente für alle Sichtweisen gibt.
da bin ich vollkommen bei dir!


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10.08.2015 um 03:32
@osttimor

Das ist genau das Problem, in dem einen Fall wirkt die Willenstheorie viel zu hart, im anderen auf einmal richtig.

Hans hatte offensichtlich böse Absichten, als er den Franz erschiessen wollte. Will man diese Mordabsicht nun ungestraft lassen, nur weil Franz genau die gleiche Absicht hatte? Hans handelte aber eben auf grund seiner eigenen Mordabsicht, da er ja von der Absicht des Franz nichts wusste. Die Frage ist also: wird die Rechtsordnung durch die Tat und Absicht des Hans verletzt oder nicht? Viele werden sagen: ja. Nur deshalb, weil der Franz ein ebenso finsterer Geselle ist sollte man dem potentiellen Mörder Hans keinen Freifahrtschein geben.

In Deutschland gibt es eine Reihe Juristen die hier eine Art Kompromiss eingehen wollen und Hans nur wegen versuchten Mordes verurteilen wollen.

Umgekehrt sieht man den Fall der Ehefrau. Das Recht sagt, sie darf ihrem Mann die Pfanne nicht um die Ohren hauen, aber viele würden hier sagen: der Einbrecher hat's verdient, also bestraft die Frau nicht. Aber auch hier wieder die Frage: ihre Absicht war, dem armen Ehemann eins überzuziehen, sollte das bestraft werden?

Im übrigen gibt es noch eine Reihe interessanter und subtiler Unterschiede zwischen dem deutschen Notwehrrecht und dem österreichischen, die sich jedoch generell sehr ähnlich sind. § 32 StGB (Deutschland) und § 3 StGB (Ö) sind nicht gleich.

Aber soweit ich gerade in der Literatur sehe, ist auch in Österreich bisher noch die herrschende Meinung, dass Kenntnis der Notwehrlage subjektiv erforderlich ist, um Notwehr geltend zu machen (so Kienapfel, Lewisch u.a.)


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10.08.2015 um 03:49
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:In Deutschland gibt es eine Reihe Juristen die hier eine Art Kompromiss eingehen wollen und Hans nur wegen versuchten Mordes verurteilen wollen.
versuchter mord? wie kommt man zu so einer lösung?!?
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Im übrigen gibt es noch eine Reihe interessanter und subtiler Unterschiede zwischen dem deutschen Notwehrrecht und dem österreichischen, die sich jedoch generell sehr ähnlich sind. § 32 StGB (Deutschland) und § 3 StGB (Ö) sind nicht gleich.
wenn ich dich schon einmal hier habe :D könntest du mir erklären wie der begriff notwehrexzess in deutschland ausgelegt wird?!
ich habe mich dies vor allem bei diesem beispiel gefragt:
Zitat von osttimorosttimor schrieb:das deutsche vokabular ist mehr als irreführend, wie man am unten genannten beispiel (OLG koblenz) sieht. es liegt KEINE notwehrlage vor und dennoch IST es ein notwehrexzess?
wie passt das sprachlich zusammen?!?
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Aber soweit ich gerade in der Literatur sehe, ist auch in Österreich bisher noch die herrschende Meinung, dass Kenntnis der Notwehrlage subjektiv erforderlich ist, um Notwehr geltend zu machen (so Kienapfel, Lewisch u.a.)
angeführt von (wenn ich mich richtig erinnere) fuchs haben sich nun schon viele dieser sichtweise angeschlossen, sodass sie sicher keine mindermeinung mehr ist. herrschende meinung ist sie jedoch nicht, da hast du recht!

apropos fuchs: ein weiterer spannender bereich ist die kettenbestimmung, wie ich finde!
gibts dazu auch kontroverses aus deutschland zu berichten? :D


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10.08.2015 um 04:09
@osttimor
AndySipowicz schrieb:
In Deutschland gibt es eine Reihe Juristen die hier eine Art Kompromiss eingehen wollen und Hans nur wegen versuchten Mordes verurteilen wollen.


versuchter mord? wie kommt man zu so einer lösung?!?
Es wird so argumentiert:

Der Erfolgsunwert des Deliktes entfällt, da der Täter objektiv so handeln durfte. Zu einer Rechtsgutsverletzung ist es gerade nicht gekommen, da das Rechtsgut verletzt werden durfte. Der Unwertgehalt der Tat beschränkt sich daher, wie bei einem untauglichen Versuch, auf den subjektiven Handlungsunwert.

So z.B. Baumann/Weber/Mitsch , § 17 Rn. 33;
Lackner/Kühl , § 22 Rn. 16;
Schönke/Schröder- Lenckner/Perron , § 32 Rn. 63;
Wessels/Beulke , Rn. 279


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10.08.2015 um 04:48
Zum deutschen Notwehrexzess zitiere ich hier mal aus einem Skript, welches das Thema gut erklärt:

§ 25: Notwehrexzess
1. Der intensive Notwehrexzess
Fall 1
: Die A wird nachts im Park von B, der so die Herausgabe ihrer Wertsachen erzwingen will, mit einem Messer bedroht. A, die eine gute Schützin ist, ergreift die in ihrer Handtasche befindliche Pistole. In panischer Angst zielt sie jedoch nicht auf Arme oder Beine, sondern auf den Kopf. B wird tödlich getroffen.

§ 212 StGB
1. oTb und sTb (+)
2. RW?
§ 32 StGB (–), da Verteidigung
so nicht erforderlich.
3. Schuld: § 33 StGB?
Nach § 33 StGB ist entschuldigt, wer als Angegriffener aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische, d.h. auf Schwäche beruhende Affekte)
das Maß der erforderlichen Verteidigung im Sinne der Notwehr (§ 32 StGB) überschreitet (unstr.).
Insoweit wird von einem intensiven Notwehrexzess gesprochen, da der Täter hinsichtlich der Intensität der Verteidigung über die Grenzen des Erforderlichen hinausgeht.

Die Entschuldigung lässt sich zum einen aus der besonderen psychischen Lage des Angegriffenen (und Täters der Notwehrüberschreitung) und zum anderen aus der Zuständigkeit des ursprünglichen Angreifers (und Opfers der Abwehr) für die Notwehrsituation und damit auch für die Reaktion erklären (vgl. Jakobs 20/28).
Beachte: Ein Überschreiten der Notwehrgrenzen ist widerrechtlich und damit selbst als rechtswidriger Angriff anzusehen.
Ergebnis: § 212 StGB (–)
***
2. Der extensive Notwehrexzess
Fall 2
: Wie Fall 1, aber: Als B die Pistole sieht, ergreift er die Flucht. In panischer Angst schießt A jedoch auf B und verletzt ihn schwer.

§§ 223, 224 StGB
1. oTb und sTb (+)
2. RW?
§ 32 StGB (–), da keine Notwehrlage mehr.
3. Schuld: § 33 StGB?

Hier: Täter wehrt einen noch nicht begonnenen oder schon beendeten Angriff ab; sog. extensiver Notwehrexzess (näher NK-Paeffgen Vor § 32 Rn. 279 ff.):

h.M.: mangels Notwehrlage auch keine Überschreitung der Notwehrbefugnis; § 33 StGB setzt bis auf die „Erforderlichkeit“ der Verteidigung alle sonstigen Elemente der Notwehr voraus
(BGHSt 27, 336 [339]; 39, 133; BGH NStZ 1987, 20; Jescheck/Weigend § 45 II 4; SK-
Rogall § 33 Rn. 4).

M.M. „Grenzen der Notwehr“ betrifft auch die zeitlichen Grenzen (vgl. Jakobs
20/31; Schönke/Schröder-Perron § 33 Rn. 1,7; Roxin Schaffstein-FS 105 [111 ff.]).

Vermittelnde Meinung: § 33 StGB gilt für nachzeitig-extensiven Notwehrexzess, da eine Notwehrbefugnis bereits bestanden hat (Otto Jura 1987, 604 [606]; Timpe
JuS 1985, 117 [120 f.]). Ergebnis: §§ 223, 224 StGB (–/+) Beachte: Ob der Streit im Einzelfall Bedeutung erlangt, hängt wesentlich davon ab, wie die Gegen-
wärtigkeit des Angriffs bestimmt wird; die Rechtsprechung dehnt diesen Zeitraum bis zur endgültigen Beseitigung der Angriffsgefahr aus (vgl. nur RGSt 62, 76 [77]; BGH NJW 1992, 516 f.).
***

3. Der Putativnotwehrexzess
Fall 3
: Wie Fall 1, aber: B ist ein harmloser Spaziergänger, dessen Verhalten A als Angriff missversteht. In panischer Angst schießt sie B in den Kopf statt in Arme oder Beine.

§ 212 StGB
1. oTb und sTb (+)
2. RW

§ 32 StGB:
a) oRTb: keine Notwehrlage
b) sRTb: Zwar Irrtum über Notwehrlage, aber kein Irrtum über Erforderlichkeit der Verteidigung
daher: § 32 StGB (–)

3. Schuld: § 33 StGB?
Unter einer Putativnotwehr ist eine Situation zu verstehen, in welcher der Täter irrig annimmt, die tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage seien gegeben (Erlaubnistatbestandsirrtum).
Wehrt sich der Täter in dieser Situation in einer Weise gegen den vermeintlichen Angreifer, die auch bei gegebener Notwehrlage als Überschreitung der Notwehrbefugnis i.S. von § 33 StGB anzusehen wäre, begeht er einen
Putativnotwehrexzess.


h.M.: § 33 StGB nicht entsprechend anwendbar, da § 33 StGB an § 32 StGB anknüpft und das objektive Vorliegen einer Notwehrlage verlangt (BGH NStZ 1983, 453; 1987, 20; Jescheck/Weigend § 45 II 4; Wessels/Beulke Rn. 447).

M.M.: § 33 StGB ist bei unvermeidbarem Irrtum über die Notwehrlage oder bei Mitverschulden des „Angreifers“ an dem Irrtum analog heranzuziehen (Hardtung
ZStW 108 [1996], 26 [49, 60]; Roxin AT I § 22/96; Schönke/Schröder-Perron
§ 33 Rn. 8).

Quelle: http://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Strafrecht3/Strafrecht_AT/s-at-25.pdf


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05.09.2015 um 09:38
Um den Thread über Mark Herbert nicht zu sprengen, möchte ich hier ein Thema aufgreifen. Und zwar ist es in Deutschland wie man gut über den Fall Mark Herbert gesehen hat nicht möglich anonym vor Gericht auszusagen. Tatverdächtigte, die nicht in U-haft kommen oder Hintermänner haben, können so Druck auf Zeugen ausüben und es kommt gar nicht erst zur Aussage. Wie kann man dieses Dilemma lösen. Wie hier auch User berichten ist Mark Herbert kein Einzelfall

Mark Herbert aus Offenbach brutal zusammengeschlagen (2012) (Seite 10)


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05.09.2015 um 09:50
@Suinx schrieb

dass es bei Kindesmissrauchs-Fällen auch möglich sei, dass die Opfer nicht direkt im Gerichtssaal befragt werden.

Dazu ist zu sagen, dass diese Täter durch das Gericht mit milderen Strafen belohnt werden, wenn sie ein "umfassendes" Geständnis ablegen und ihren Opfern eine Aussage vor Gericht ersparen.

Ich empfinde es als ungerecht, dass sich der Täter so Milde erkaufen kann.
Wenn der Täter aber nicht aussagt, wird das geschädigte Kind eine Aussage machen müssen. Und das Erlittene noch einmal durchleiden müssen. Das ist der Punkt, um den es dabei geht.
Man will dem Kind ersparen, noch einmal (ohne seelische Abfederung), die Tat durchleiden zu müssen: Konfrontation mit dem Täter und Erinnerung an die Tat(en). Dazu noch die Fragen des Anwalts, die das Kind verunsichern sollen.

Ich würde also Kindesmissbrauch hier nicht hineinmengen. Kinder stehen außerdem nicht in erster Linie als Zeugen vor Gericht, sondern als Opfer. Die Täter kennen ihre Opfer ohnehin zumeist (als Stiefväter, Onkel, Großväter, Lehrer, Betreuer)


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05.09.2015 um 10:02
Ich habe im thread dazu schon geschrieben, die einfache Antwort zu dieser Thematik ist: anonyme Zeugen passen nicht zum Rechtsstaat.

Warum: ganz einfach: ich muss als Angeklagter in der Lage sein, die Zeugen, die gegen mich aussagen hinterfragen und überprüfen zu können. Dazu muss ich ihren Namen, ihre Adresse etc .wissen.

Anonyme Zeugenaussagen sind in extremen Diktaturen möglich, in Deutschland gab es das bei den Nazis, und aus diesem Grund hat man in der Bundesrepublik tunlichst darauf verzichtet.

Hier einmal ein konkretes Beispiel:

Nehmen wir einmal an, du lebst in einer typischen deutschen Grosstadtsiedlung. Du bist da vor einem Jahr auch mal mit einem Nachbarn aneinandergeraten, der besoffen in der Wohnung randalierte bis es dir den letzen Nerv geraubt hat und du die Polizei gerufen hast. Der Nachbar hat dir das nie vergessen.

Nun wurden in der Nacht in eurer Strasse ein paar Autos abgefackelt, vermutlich weil jemand seinen politischen Standpunkt damit deutlich machen will. Die Polizei hat keine Ahnung, wer das ist.

Da meldet sich plötzlich ein Zeuge, der gesehen hat wie du in jener Nacht mit Benzinkanister und Feuerzeug dafür gesorgt hast, dass alle VW Fahrer in deiner Strasse am Morgen mit dem Bus fahren mussten.

So. In Wirklichkeit hast Du aber tief und fest in deiner Wohnung geschlafen. Allein. Die Polizei kommt und findet in deinem Auto tatsächlich einen Reservekanister, den du vor einem halben Jahr einmal im Urlaub benutzt hast, als dir das Benzin fast ausging, da die polnische Tankstelle geschlossen war, die du gerade noch erreicht hast. Zum Glück hattest du den Kanister mit.

Die Polizei weiss auch, dass du als Raucher immer ein Feuerzeug mitführst. Kanister und Feuerzeug allein reichen natürlich nicht, um dich auch nur verdächtig zu machen. Aber da ist ja der Zeuge!

Prima. Du wirst verhaftet, es kommt zur Hauptverhandlung. Deinem Rechtsanwalt wird erlaubt, den Zeugen per Video Schaltung zu befragen, verpixelt mit verstellter Stimme. Er hat nämlich gesagt, du bist als Schläger bekannt und er hat Angst vor Dir. Er will nicht, dass sein Auto auch angezündet wird. Das ist sehr verständlich.

Dein Anwalt befragt ihn nun nach allen Regeln der Kunst, aber der Zeuge bleibt dabei: er hat gesehen, wie du die Autos angezündet hast. Er gibt sogar an, dass er auch in der Wohnsiedlung wohnt. Weil dort 5000 Leute wohnen, reicht das keineswegs, um ihn zu identifizieren.

Der Zeuge hat selbst keine Vorstrafen, hatte nur ein paar Mal Ärger mit der Polizei wegen Ruhestörung, aber das ist für den Staatsanwalt kein Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Dein Anwalt erfährt davon nichts.

Du wirst verurteilt. 1 Jahr auf Bewährung. Du musst Schadenersatz zahlen. Dein Arbeitgeber schmeisst dich raus. Der Vermieter kündigt dir.

Du wüsstest zu gerne, wer dieser elende Zeuge war, der dein Leben versaut hat.

Dein Nachbar tanzt vor Freude in seiner Wohnung, aber nicht so laut, dass jemand wieder die Polizei ruft.

Klar?

Hätte Dein Anwalt dem Richter klarmachen können, dass dieser Nachbar schon seit Monaten einen Groll gegen dich hat, dass er sich unbedingt rächen wollte für den Besuch der Polizei bei ihm, den du ihm eingebrockt hast... seine Glaubwürdigkeit vor Gericht wäre eine ganz andere.


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05.09.2015 um 10:25
@Rick_Blaine

Genau so, wie du es schreibst!


Ich habe eben in einer PN an Suinx folgendes geschrieben:

Stell dir vor, in einem Land, das bisher demokratische Strukturen hatte, findet ein Umsturz statt. Nicht als Hauruck-Putsch, sondern schleichend. Nach und nach, wird in der Jusitiz das Personal durch Leute ersetzt, die auf der kommenden Linie sind.
Dann würden die Bürger, die den Umsturz verhindern würden, durch fingierte Verbrechen plötzlich vor Gericht stehen. Sie wären konfrontiert mit anonymen Zeugenaussagen, gegen die sie sich nicht wehren könnten.
Die Leute, die man aus dem Weg haben wollte, würden für Jahre Jahre in Gefängnissen verschwinden.

Das klingt sehr fantastisch. - Aber letztlich werden Urteile im Namen des Volkes gesprochen und das Volk hat nicht nur das Recht, es soll auch hinschauen, wenn Prozesse in der Öffetlichkeit stattfinden.


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05.09.2015 um 10:32
@frauZimt

Genau. Das Beispiel, das ich schon vor ca 2 Wochen im thread gepostet hatte, ging in diese Richtung.

Ganz aktuell: Man stelle sich nur einmal vor, es geschehen in nächster Zeit in deutschen Gemeinden mit Erstaufnahmeeinrichtungen vermehrt Straftaten. Und ganz zufällig finden sich auf einmal eine ganze Reihe Zeugen, die genau gesehen haben, dass sie von Asylbewerbern begangen wurden. Und natürlich haben diese Zeugen dann Angst, dass die Landsleute dieser Tatverdächtigen sich an ihnen rächen... ... so kann man die Asylbewerber aus seinem Ort auch wieder loswerden...

Denn niemand wird erfahren, dass diese "Zeugen" alle einer gewissen Partei am eher rechten Spektrum angehören, da die Verteidiger keine Möglichkeit haben, mal ein wenig im Hintergrund dieser Zeugen zu stöbern.


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05.09.2015 um 10:46
Der Fall, an dem sich diese Diskussion entzündet hat, ist ganz besonders schlimm. Ich kann verstehen, dass Zeugen ihrer Pflicht zur Aussage lieber aus dem Wege gehen.

Und das ist auch ein Punkt in der Diskussion: Man kann immer viel sagen und fordern. Solange man nicht selbst in der Pflicht steht, sind es nur Lippenbekenntnisse.

Manchmal wird man durch das Leben auf die Probe gestellt. Dann zeigt sich, ob man das tut, was man bisher von Anderen verlangt hat. Hat man den Mut - hat man die Courage?
Ich finde nicht, dass jeder Gang weich abgefedert sollte. - Und diese "Abfederung" muss ja "bezahlt" werden - mit Fehlurteilen.

Trotzdem müssen Zeugen besser geschützt werden. Wie das geschehen könnte, müsste dskutiert werden.
Neue Identitäten können nur der Weg sein, wenn es Drogenbossen u.Ä. "Größen" an den Kragen geht. - Nicht bei solchen Dumpfbacken, wie diesem Täter.

Das muss man sich mal vorstellen: Wegen so eines Typen sollen Zeugen ihr bisheriges Leben, ihren Namen verlieren? Da muss es andere Mglichkeiten geben.

Zumindest scheint ein Prozeß nun nicht mehr abwegig zu sein, wenn sich nun Zeugen gefunden haben.


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05.09.2015 um 10:51
Natürlich ist es extrem ärgerlich, wenn Straftäter verschont bleiben, weil Zeugen Angst haben, auszusagen. Nur: menschliche Justiz ist nun einmal nicht perfekt. Es gibt nicht für jedes Problem eine perfekte Lösung. Manchmal gibt es nur die Wahl zwischen zwei imperfekten Lösungen, und die sind hier in diesem Fall eben: ein System, das anonyme Zeugen erlaubt und dafür in Kauf nimmt, dass auch Unschuldige verurteilt werden, oder ein System, das es nicht erlaubt, und dafür auch in Kauf nimmt, dass manchmal Schuldige nicht verurteilt werden können. Bisher haben wir letztes.


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05.09.2015 um 11:08
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb: ein System, das anonyme Zeugen erlaubt und dafür in Kauf nimmt, dass auch Unschuldige verurteilt werden, oder ein System, das es nicht erlaubt, und dafür auch in Kauf nimmt, dass manchmal Schuldige nicht verurteilt werden können. Bisher haben wir letztes.
Bisher habe ich weder von dir noch von Frau Zimt eine einzige plausible Erklärung gehört, wo der Unterschied sein soll zwischen einer beabsichtigten und vorbereiteten öffentlichen Falschaussage und einer anonymen?


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05.09.2015 um 11:17
Es gibt viele Unterschiede.

Der gravierendste ist wohl, dass die eine in der Öffentichkeit getätigt wird - und die andere anonym


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05.09.2015 um 11:23
@Suinx
Lies Dir doch einfach mal den Beitrag von @Rick_Blaine von heute 10.02 Uhr durch; er hat doch alles hervorragend erklärt!
Oder habe ich Deine Frage nicht verstanden?


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05.09.2015 um 13:13
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Ein System, das anonyme Zeugen erlaubt und dafür in Kauf nimmt, dass auch Unschuldige verurteilt werden, oder ein System, das es nicht erlaubt, und dafür auch in Kauf nimmt, dass manchmal Schuldige nicht verurteilt werden können.
Beides ist eigentlich nicht aktzeptabel. Eine anonyme Aussage sollte nur gewährt werden, wenn es hinreichende Belege gibt, wie zB. im Fall von Mark Herbert, dass eine Bedrohung von dem Tatverdächtigten, sowie seinen Kontakten ausgeht. Außerdem sollte die Anonymität nur vor dem Tatverdächtigten und der Öffentlichkeit bestehen, nicht vor den Anwälten und Richtern.
Aber es würde immer noch diejenigen Fälle geben, in denen dem Tatverdächtigten ohnehin klar sein wird, wer die Aussage getätigt hat.

Daher ist wohl besser mehr auf Zeugenschutz zu setzen. Ich denke das dann nicht mehr Falschaussagen als im bestehenden System getätigt werden.
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Manchmal wird man durch das Leben auf die Probe gestellt. Dann zeigt sich, ob man das tut, was man bisher von Anderen verlangt hat. Hat man den Mut - hat man die Courage?
Das ist auch ein wichtiger Punkt. Niemand kann einem von der eigenen Courage entbinden und das sollte auch nicht so sein. Die Gesellschaft ist schon rückgratlos genug.


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