@Rick_Blaine [...] Hier wird auch ein grundsätzliches Problem deutlich: dass im deutschen Strafprozess kein verbatim Protokoll geführt wird, wie z.B. in den USA. Im Nachhinein kann man kaum überprüfen, ob während dem Prozess gemachte Aussagen in der Urteilsbegründung korrekt gewürdigt werden. Um so mehr muss man sagen, dass jemand, der dem Prozess nicht in gesamter Länge beigewohnt hat, kaum in der Lage ist, die Urteilsbegründung zu beurteilen. [...]
Dem kann ich so nur voll zustimmen. Es wäre mE absolut wünschenswert, dass in Deutschland endlich auch die Wortprotokollierung eingeführt wird.
Rick_Blaine schrieb:Ich bleibe dabei, und komme dabei zu einer etwas anderen Schlussfolgerung als @DerGreif , dass die Urteilbegründung mir schon schlüssig zeigt, warum die Richter zu diesem Ergebnis gekommen sind. Was ich nicht beurteilen kann, ist ob die Richter aus den ihnen vorliegenden Informationen auch die korrekten Schlüsse gezogen haben, denn dazu muss man den Prozess erlebt haben und/oder die Akten kennen. Der Schluss, dass aus den bekannten Indizien heraus A.D. schuldig ist, den kann ich aber nachvollziehen, und warum ist hier ja schon x-mal diskutiert worden.
Das wiederum kann ich voll und ganz nachvollziehen. Für mich persönllich ist dies ein schwieriger Fall, der - jedenfalls ohne weitere Informationen - sich in einer dieser Grauzonen bewegt, wo es sowohl nachvollziehbar ist, wenn jemand das Urteil so für überzeugend hält, als auch genauso verständlich, wenn jemand nach wie vor Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat.
@Nummer33 Nummer33 schrieb:gleichzeitig aber betont, dass er AD schon als den Täter sieht.. Oder umgekehrt, nicht von seiner Unschuld überzeugt ist...
Das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge, die Du hier unzulässigerweise in einen Topf wirfst.
1. Strate sagte NICHT, dass er AD schon für den Täter hält.
2. Strate sagte, dass er "[nicht] den festen Eindruck habe, dass [AD] unschuldig ist". Er habe aber "den festen Eindruck, so hätte er nie verurteilt werden dürfen" und daher gelte für ihn die Unschuldsvermutung weiter. Das ist NICHT das Selbe, als wenn man jemanden für den Täter hält. Siehe hier ab 26:45:
https://www.youtube.com/watch?v=S8IXLifi1Rk (Video: 37 Grad - Mein Mann ist kein Mörder)Tatsächlich stellen die meisten Menschen sowieso immer die falsche Frage, wenn es um die Schuld oder Unschuld eines Menschen geht. Die Frage lautet NICHT: "Bist Du von der Unschuld von AD überzeugt?" Sondern sie muss lauten: "Bist Du von der Schuld von AD überzeugt?" Und jemand kann weder von der Unschuld noch der Schuld von AD überzeugt sein. Zweifel gehen hier aber eben immer zu Gunsten des Angeklagten.
Für mich ist entscheidend, dass Strate nicht von dem Urteil und nicht von der Schuld ADs überzeugt ist.
@KonradTönz
KonradTönz1 schrieb:Ich weiß, du bist ein Fachmann - aber diese Aussage hätte ich nicht erwartet. Das ist ja ungefähr so als ob ein Arzt nur Patienten behandeln würde bei denen er überzeugt ist, dass sie absolut gesund sind.
Nein, Du vergleichst hier Äpfel mit Birnen. Als Strafverteidiger kann und sollte ich natürlich auch einen Angeklagten verteidigen, der schuldig ist. Aber die Verteidigung eines Angeklagten, von dem man weiß, dass er schuldig ist, verläuft anders, als die Verteidigung eines Mandanten, von dessen Schuld man nicht überzeugt ist. ZB darf ich nicht länger in einem Verfahren behaupten, dass mein Mandant unschuldig ist, wenn ich weiß, dass er schuldig ist. Es gibt natürlich noch Möglichkeiten die Verteidigung auch auf einen Freispruch auszurichten, ohne diese Behauptung explizit aufzustellen, auch wenn ich das für ethisch zumindest grenzwertig halte. Häufig konzentriert sich die Verteidigung in diesen Fällen aber auf die sogenannten Rechtsfolgenverteidigung. Dh der RA versucht eine möglichst niedrige Strafe für seinen Mandanten zu bekommen.
Ich verfolge die Tätigkeit von RA Strate schon länger und mE würde er kein WAV betreiben, wenn er von der Schuld seines Mandanten überzeugt wäre. Aber abgesehen von dieser meiner rein persönlichen Einschätzung hatte Strate ja auch ausdrücklich gesagt, dass für ihn hinsichtlich AD weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, er dem Urteil skeptisch gegenübersteht und ihn das Urteil nicht von der Schuld überzeugt hat (so hätte AD nie verurteilt werden dürfen).
KonradTönz1 schrieb:Das ist doch nicht der Punkt - es gehört auch zu den Prinzipien des Rechtstaates, dass kein Anwalt einen Mandanten vertreten MUSS. Jeder Anwalt kann ein Mandat ablehnen oder niederlegen, selbst wenn er als Pflichtanwalt zugewiesen wurde. Wenn ein Anwalt also einen Mandanten verteidigt, dann freiwillig. Und dann kann man sich auch fragen, wie ein Anwalt ein solches Mandat mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Das ist unzutreffend. Gem. § 49 Abs. 1 BRAO iVm § 140 StPO kann ein RA verpflichtet werden ein Mandat zu übernehmen. Der RA kann zwar gem. § 48 Abs. 2 BRAO iVm § 49 Abs. 2 BRAO beantragen, dass die Beiordnung aufgehoben wird, wenn dafür wichtige Gründe vorliegen. Und wer sich grundsätzlich bereit erklärt, als Pflichtverteidger zu arbeiten, kann nicht als wichtigen Grund anführen, dass er aber zB Sexualstraftäter nicht vertrete. Die endgültig Entscheidung über den Antrag liegt eben auch nicht bei dem RA sondern bei dem Gericht. Darüber hinaus gilt auch hier wieder der Einwand: Es gibt mehr als nur die auf Freispruch ausgerichtete Verteidigung. Bei Feststehen der Schuld des Angeklagten ist die Rechtsfolgenverteidigung eben eine häufig genutzte Form der Verteidigung.
Und schließlich gilt: Woher weiß denn der RA, dass sein Mandant schuldig ist? Da auch für den RA prinzipiell die Unschuldsvermutung gilt - und sofern ihm gegenüber der Angeklagte nicht gestanden hat, verteidigt jeder RA erst einmal einen unschuldigen Menschen. Erst der Strafprozess dient ja dazu die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Und wenn der betreffende dann freigesprochen wird, woher will man denn dann - vor allem als Außenstehender - die Sicherheit nehmen zu sagen, da hat ein RA einen Schuldigen rausgehauen. Dessen Schuld wurde ja gerade nicht bewiesen.