SFR schrieb:Dies alles könnte in der Hauptverhandlung korrigiert werden. Allerdings lauert auch dort eine psychologische Falle. Die Richter haben die Akten gelesen und das Hauptverfahren eröffnet - also eine Vorentscheidung getroffen, wonach eine Verurteilung "hinreichend wahrscheinlich" sei. Menschen stellen indes einmal getroffene Entscheidungen ungern in Frage, das lehrt die Theorie der "kognitiven Dissonanz": "Dissonante", also der Anklage widersprechende Informationen haben eine wesentlich geringere Chance auf Gehör als solche, welche die Anklage stützen.
Ich weiß, dass es nichts bringen wird, diese immer wieder ins Feld geführte Fehlannahme zu korrigieren. Ich wende mich daher nicht an SFR, sondern an die ernsthaft Interessierten:
Der StA schickt seine Anklageschrift zum zuständigen Gericht mit dem Antrag, die Hauptverhandlung zu eröffnen. Wenn es sich nicht nur um kleinere Delikte und einfache Sachverhalte handelt, dann ist der Anklageschrift zudem das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen beigefügt. Dort wird mal mehr, mal weniger detailiert dargestellt, wie es zu den Ermittlungen überhaupt kam, warum Ermittlungen eingeleitet wurden, welche Beweise man ermittelt hat und warum all dies dazu geführt hat, dass der StA einen hinreichenden Tatverdacht hat.
Im sog. Zwischenverfahren prüft der Richter die Anklageschrift darauf, ob sie überhaupt alles Tatbestandsmerkmale der angeklagten Tat enthält. Weiter prüft der Richter (oder besser: das Gericht), ob die angebotenen Beweise in Verbindung mit dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ebenfalls tauglich sind, den Tatverdacht zu erhärten. Das Gericht prüft z.B. auch die Zulässigkeit der angebotenen Beweismittel.
Wenn das Gericht alle notwendigen Voraussetzungen für die Eröffnung der Hauptverhandlung für gegeben hält, wird dem Antrag der StA stattgegeben und die HV eröffnet.
Aber: Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Richter/ das Gericht noch nicht einen Zeugen gehört, den Angeschuldigten nicht ein Mal vernommen und noch nicht alle Beweise gesichtet.
Der Richter kann(!) also gar kein Vorurteil fällen, weil die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung für ihn/ das Gericht noch immer offen ist. Und der angehende Jurist lernt bereits im Referendariat, dass sich in einer HV durchaus ein anderes Bild des gesamten Vorgangs ergeben kann, als es in der Anklageschrift gezeichnet wurde.
Hier von "psychologischen Fallen" zu sprechen ist nur vermeintlich schlau daher geredet, zeigt aber deutlich, dass der Urheber dieser Behauptung keine Ahnung von den Vorgängen im Strafverfahren hat.