Gestern ging es darum, wieviele Kinokarten Söring - laut eigenen Angaben - gekauft hatte. Er sprach von
2+2+1 Kinokarten. Die Frage, die noch etwas offen blieb war: was lag dem Gericht als Beweismittel vor?
Das ist gar nicht so leicht zu klären:
Söring beschreibt es in der Doku als Glücksfall, dass die Karten noch vorhanden waren:
Die Karten, die hatte ich behalten. Die wurden in meinem Studentenwohnheim von meinem Vater gefunden [...] Und wir konnten beweisen, dass es tatsächlich diese Karten gab und dass die Zeiten nicht übereinstimmten mit den Zeiten, die sie [Elizabeth] gegeben hatte.
Double Murder in Bedford Virginia Part 3
ab Min. 20:05 Aber in seinem Buch klingt das ein wenig anders:
Weder sie [Elizabeth] noch Staatsanwalt Updike wussten, dass ich die Kinokarten von dem betreffenden Wochenende tatsächlich aufgehoben hatte; mein Vater hatte sie in meinem Zimmer im Studentenwohnheim gefunden. Mit diesem Beweismittel hofften meine Verteidiger nachweisen zu können, dass es nicht Elizabeth gewesen war, die in Washington geblieben war, und dass in Wirklichkeit sie nach Lynchburg gefahren war, um die Morde zu begehen.
[...]
Kurz nach meiner Verhaftung 1986 hatte mein Vater Kontakt zu John Lowe aufgenommen, einem bekannten Strafverteidiger in Virginia, um mit ihm über meine Verteidigung in einem möglichen Prozess zu sprechen. Meinem Vater war klar, dass die Kinokarten möglicherweise sehr wichtig sein würden, und deshalb hatte er ihm Kopien davon gefaxt, zusammen mit anderen Dokumenten, die er in meinem Wohnheimzimmer gefunden hatte. Mr. Lowe nahm dann doch nicht an meiner Verteidigung teil
[...]
Am Vorabend von Liz' großem Auftritt im Zeugenstand entschloss sich John Lowe, die Faxkopien der Kinokarten Staatsanwalt Updike zu übergeben.
[...]
Für meine Anwälte und mich war Mr. Lowes Entschluss, dem Staatsanwalt zu helfen, natürlich eine mittlere Katastrophe, auch wenn wir in einem Punkt noch Glück hatten: Die alten Faxe waren so undeutlich, dass man die Anfangszeiten der Filme nicht lesen konnte.
[...]
Gott sei Dank waren die kleinen Abdrucke auf dem Fax unleserlich! Während des Kreuzverhörs legten meine Anwälte Elizabeth und der Jury die beiden Kartenabrisse vor, so dass man sie genau betrachten konnte: die beiden Karten für Witness konnten nicht für die 14-Uhr-Vorstellung gekauft worden sein, wie Elizabeth behauptete, denn an diesem Tag hatte es eine Vorstellung um 14.50 Uhr und eine um 17.05 Uhr gegeben. Und die Kartenabrisse von Stranger than Paradise waren nicht von 16 Uhr.
Buch: Zweimal lebenslänglich
Ab hier.
englische Version in voller Länge:
http://lucy.ukc.ac.uk/Soering/chapter11.html#178 (Archiv-Version vom 18.05.2016)http://lucy.ukc.ac.uk/Soering/chapter11.html#180 (Archiv-Version vom 18.05.2016)Ich versuch mich mal an einer Zusammenfassung:
- Die Verteidigung wollte mit Hilfe der Tickets Sörings Version bestätigen, er sei in Washington gewesen, Elizabeth hingegen nicht. Dafür hätte es zumindest eines Tickets als Beweismittel bedurft.
- Dann gab es während des Prozesses - angeblich nach Sörings Zeugenaussage und vor Elizabeths Auftritt als Zeugin - unerwartet eine Faxkopie der Tickets. Das fand die Verteidigung nicht gut.
- Die Anfangszeiten der Tickets in diesen Fax waren nicht lesbar. Als Elizabeth falsche Anfangszeiten nannte, legten Sörings Verteidiger Originaltickets vor, mit denen Elizabeth Aussagen widersprochen werden konnten.
Irgendwas passt da nicht: Wenn die Verteidigung sowieso die Original-Tickets vorlegen wollte, warum ist es ein Drama, wenn plötzlich ein Fax auftaucht, das die Existenz dieser Tickets zusätzlich belegt?
Im Großen und Ganzen lese ich daraus: die Tickets wurden als Faxkopie als Beweismittel durch die Anklage in den Prozess eingebracht, dann auch noch als Originale durch die Verteidigung, weil sie damit Elizabeth Haysoms Glaubwürdigkeit angreifen konnte. Vermutlich gab es die 17:05 und 22:15 Tickets auch im Original als Beweismittel. Sicher bin ich mir da aber nicht.
Relevant finde ich das deshalb, weil der mehrfache Doppelticket-Kauf Söring belastet. Nur einzelne Tickets könnten vielleicht belegen, dass er in Washington war und sie nicht.
Elizabeth Haysoms Version ist ja im Prinzip spiegelverkehrt zu der von Söring: Er fuhr los zu ihren Eltern, ermordete diese, sie blieb in Washington und besorgte für sich und ihn ein Alibi, in dem sie jeweils zwei Kino-Karten kaufte.
Das war die Aussage, die zu ihrer Verurteilung als Mittäterin führte. Sie wusste Bescheid, hat ihn gedeckt, es war geplant.
Söring musste also vermeiden, dass der Eindruck entsteht, dass er wusste, was in Washington passierte, während er Alibis für sie beide herstellte. Dass er für den ganzen Abend systematisch Alibis produzierte, musste als etwas zufällig Entstandenes erscheinen.
Für Söring wäre es besser gewesen, wenn es keine Tickets gegeben hätte. Und wenn ja, dann nur einzelne. Wenn Söring schreibt, dass die Faxkopie der Tickets, die an die Anklage ging, eine Katastrophe für ihn war, dann sehe ich das in diesem Zusammenhang, denn damit waren die Doppeltickets amtlich.
Wichtig in dem Zusammenhang wäre zu wissen, wann diese Tickets als Beweismittel in den Prozess eingeführt wurden, ob tatsächlich das Fax erst nachträglich eingereicht wurde.