Aaldieter schrieb:Nun geht aber wieder alles durcheinander. Die Tat zum Nachteil der 4 Mädchen wurde seinerzeit nicht weiter verfolgt, weil es einen europ. Haftbefehl gegen CB. gab, und die portug. Polizei Ihn auslieferte. Das war es ja, was die Eltern der Kinder erregte, das die Tat anscheinend durch die Polizei aufgenommen wurde, es aber in Portugal dafür zu keiner Strafe kam.
Stimmt, die Geschichte mit den portugiesische Mädchen scheint weder in Portugal noch in Deutschland weiter verfolgt worden zu sein.
Ausgeliefert aus Portugal wurde CB 2017 aufgrund eines Europ. Haftbefehls der StA Hannover wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften. Wegen Besitzes solcher Schriften wurde er dann am 27.9.2017 vom LG Braunschweig verurteilt und saß diese Strafe bis zum 31.8.18 ab. Danach wurde es dann kompliziert, ist aber im Beschluss des OLG Braunschweig vom 28.8.2019 (
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=KORE219152020&st=null&showdoccase=1), aus dem alle nachfolgenden Zitate stammen, recht gut aufgedröselt:
Am 22. Juni 2017 wurde der Beschuldigte aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. August 2016 (…) zum Zwecke der Strafverfolgung in einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Hannover wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften aus Portugal nach Deutschland ausgeliefert. Mit Entscheidung vom 12. Juni 2017 hatte das Tribunal de Relacao de Evora in Portugal die Übergabe des Beschuldigten an die deutschen Justizbehörden bewilligt.... Der Beschuldigte wurde in jenem Verfahren mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. September 2017 wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt, die er bis zum 31. August 2018 vollständig verbüßte. e
Noch während CB also in Haft saß, wurde aber die Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Niebüll aus 2011 wegen einer Drogensache widerrufen. CB hätte also im Anschluss an die Strafe des LG Braunschweit wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften die Strafe aus dem Urteil des AG Niebüll wegen Drogenbesitzes absitzen müssen. Dazu kam es aber nicht, weil - kurz gefasst - die StA Flensburg zu dieser Anschlussvollstreckung nicht rechtzeitig die erforderliche Zustimmung der portugiesischen Behörden eingeholt bzw. erhalten hatte. Denn die Portugiesen hatten CB ja nur wegen des Europ. Haftbefehls aufgrund Besitzes kinderpornographischer Schriften ausgeliefert, nicht aber wegen Vollstreckung von Haftstrafen aus anderweitigen Urteilen. Dazu das OLG in anderem Zusammenhang:
Der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität ist für die Verfolgung von Personen, die von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ausgeliefert worden sind, durch Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RB-EUHb) konkretisiert und in § 83h IRG innerstaatlich umgesetzt worden. Diese Vorschriften verbieten es grundsätzlich, ohne Zustimmung der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaates der Europäischen Union eine übergebene Person wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, zu verfolgen, zu verurteilen oder einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, wenn nicht eine der in § 83h Abs. 2 IRG, Art. 27 Abs. 3 RB-EUHb genannten Ausnahmen vorliegen
CB musste deswegen also ab 1.9.18 die Strafe aus dem Urteil des AG Niebüll nicht antreten, sondern kam erst mal frei.
Er reiste dann in die Niederlande und später nach Italien. Am 19.9.18 kam es dann wegen der noch offenen Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des AG Niebüll zu einem Europ. Vollstreckungshaftbefehl der StA Flensburg, aufgrund dessen B. dann am 29.9.18 in Mailand festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert wurde:
Während seiner Inhaftierung widerrief das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 15. März 2018, rechtskräftig seit dem 21. Juni 2018, die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Niebüll vom 06. Oktober 2011. Dem Beschuldigten wurde mit Schreiben des Landgerichts Braunschweig vom 02. Juli 2018 unter Hinweis auf § 11 IRG mitgeteilt, dass eine unmittelbare Anschlussvollstreckung wegen des Spezialitätsgrundsatzes nur aufgrund eines Nachtragsersuchens oder des Verzichts des Beschuldigten auf die Spezialität möglich sei. Da der Beschuldigte einer Anschlussvollstreckung widersprach und die portugiesischen Behörden trotz eines entsprechenden Antrages der Staatsanwaltschaft Flensburg bisher nicht auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet und der Strafvollstreckung nicht zugestimmt hatten, wurde der Beschuldigte am 31. August 2018 aus der Haft entlassen. Spätestens 19 Tage nach seiner Haftentlassung, mithin am 18. oder 19. September 2018, reiste der Beschuldigte in die Niederlande und in der Folgezeit nach Italien. Am 19. September 2018 erließ die Staatsanwaltschaft Flensburg im Verfahren 108 VRs 6272/10 einen Vollstreckungshaftbefehl, auf dessen Grundlage sie am 26. September 2018 einen Europäischen Haftbefehl erließ. Aufgrund dessen wurde der Beschuldigte am 27. September 2018 in Mailand festgenommen.
Es ging dann damit weiter, dass B. ab 18.1018 die Strafe aus dem Urteil des AG Niebüll absitzen musste. Nach allerhand juristischen Verfahren wurde durch das Schleswig-Hosteinische OLG am 18.7.2019 angeordnet, dass diese Strafvollstreckung - wegen fehlender Zustimmung der Portugiesen hierzu - zu unterbrechen sei:
Seit dem 18. Oktober 2018 verbüßte er die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Niebüll vom 06. Oktober 2011. Mit Beschluss vom 13. März 2019 stellte das Landgericht Kiel auf Antrag des Beschuldigten fest, dass die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Niebüll vom 06. Oktober 2011 derzeit unzulässig sei, da die Vollstreckung gegen den Spezialitätsgrundsatz verstoße (Bl. 209 Bd. VI d. Zweitakte). Die Unterbrechung der Vollstreckung wurde angeordnet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Flensburg hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 18. Juli 2019 (2 Ws 77/18) als unbegründet verworfen.
Das nützte B. aber nichts. Frei kam er nicht. Zwischenzeitlich war nämlich etwas anderes passiert:
Noch während er die Strafe aus dem Urteil des AG Niebüll verbüßte, war es im Dezember 2018 zu einem Haftbefehl des AG Braunschweig wegen des dringenden Verdachtes der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der räuberischen Erpressung im Zusammenhang mit der Amerikanerin und nachfolgend zu einem Europ. Haftbefehl der StA Braunschweig und einem entsprechenden Verfolgungsersuchen an die italienische Seite wegen dieser Angelegenheit gekommen. Das Berufungsgericht Mailand stimmte im März 2019 der Verfolgung der Sache mit der Amerikanerin zu:
Im vorliegenden Verfahren hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig, basierend auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 05. Dezember 2018, am 12. Dezember 2018 einen Europäischen Haftbefehl erlassen und ein Nachtragsersuchen an die italienischen Behörden gestellt.
Das Berufungsgericht Mailand hat mit Beschluss vom 22. März 2019 die Auslieferung des Beschuldigten auch zur strafrechtlichen Verfolgung im vorliegenden Verfahren bewilligt. Daraufhin wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 05. Dezember 2018 dem - in Haft befindlichen - Beschuldigten verkündet.
CB wandte sich nun juristisch gegen den Haftbefehl aus 2018 wegen der Amerikanerin, und über diese Haftbefehlsbeschwerde hatte das OLG mit dem o.g. Beschluss zu entscheiden. Es hat unter anderem ausgeführt, dass der Haftbefehl nicht deshalb rechtswidrig ergangen ist, weil die Italiener der Strafverfolgung wegen der Amerikanerin erst NACH Erlass des Haftbefehls zugestimmt haben:
Dass der Haftbefehl bereits am 05. Dezember 2018 und damit vor der Zustimmung der italienischen Behörden erlassen worden ist, verstößt nicht gegen den Spezialitätsgrundsatz. Denn gem. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG, Art. 27 Abs. 3 lit. c) RB-EUHb kann die Strafverfolgung ohne Zustimmungsverfahren durchgeführt werden, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt.....
Weiter hat das OLG gemeint, dass eine Zustimmung der portugiesischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der Amerikanerin nicht erforderlich sei, weil B sich zwischenzeitlich in den Niederlanden und Italien aufgehalten hat:
Entgegen der Ansicht des Beschuldigten kommt es auf einen Verzicht auch der portugiesischen Behörden auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht an. Denn der Beschuldigte hat seinen aus der vorangegangenen Auslieferung aus Portugal nach Deutschland herrührenden Spezialitätsschutz dadurch verloren, dass er sich kurz nach seiner Haftentlassung im August 2018 über die Niederlande nach Italien begeben hat.
Das Haftbefehlsverfahren im Zusammenhang mit den Straftaten an der Amerikanerin war damit erledigt; ein weiteres Rechtsmittel gegen den Beschluss des OLG Braunschweig gab es insoweit für CB nicht. Aber die im Beschluss des OLG aufgeworfenen Fragen zur Spezialität sind natürlich auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit der Verurteilung von CB in dieser Sache, und wo am Donnerstag eine Entscheidung erwartet wird.