perttivalkonen schrieb:Und wer nicht vom Druck stirbt, der stirbt am begleitenden Hitzschlag.
Die Hitze beschränkt sich nur auf die äußeren Schichten eines Gesteinsklumpen, also die 5cm, von denen du ja bereits gesprochen hattest. 5cm ist faktisch... nichts. Das ist ein kleiner Stein, den man in der Hand halten kann, vergleichsweise ein "Krümel". Bei hinreichender Größe fühlen sich Bakterien im Inneren also pudelwohl, zumal Gestein auch nicht gerade der beste Wärmeleiter ist.
Der Druck (bis zu 50 GPa) breitet sich faktisch durch's gesamte Material aus, für die Temperatur gilt das allerdings nicht, womit das "Hitze-Argument" für Ein- und Austritt entkräftet wäre.
perttivalkonen schrieb:Auch das anschließende Einfrieren dürften nicht alle überleben, sind ja keine behutsamen Laborbedingungen, unter denen das erfolgt.
Auch das hängt von diversen Faktoren ab, so dass man hier keine pauschale Aussage treffen kann. Temperaturausgleich findet bspw. nur über Strahlung und Leitung (im Inneren des Himmelskörpers) statt, nicht aber durch Konvektion, da Vakuum. Hauptsächlich wird Wärme in Form von Strahlung abgegeben, aber eben auch aufgenommen (=> Sonne, Wärmestrahlung).
Die Temperatur des Himmelskörpers hängt vor allem (aber nicht nur) von zwei Faktoren ab: Abstand zur Sonne und Reflexionsvermögen des Himmelskörpers. In einer Entfernung von 1 AE (also Erdnähe) würde die mittlere Temperatur eines Himmelskörpers mit ähnlichem Reflexionsvermögen wie dem der Erde bspw. um die -15 bis -20 Grad Celsius betragen. Die
mittlere Temperatur, wohlgemerkt. Inwieweit sich überhaupt ein Equilibrium einstellt bzw. wie sich die Temperatur über den Körper (und dann auch noch als Funktion der Zeit) verteilt, hängt von weiteren Faktoren ab wie etwa die Beschaffenheit (Metall, Stein...) oder die Rotation des Himmelskörpers.
Die Rotation spielt durchaus eine entscheidende Rolle, denn die der Sonne zugewandte Seite ist in jedem Fall wärmer als die der Sonne abgewandete Seite. Und obwohl die mittlere Temperatur eines Himmelskörpers in der Nähe des Mars (ca. 1,5 AE) aufgrund der Entfernung zur Sonne so um die -50°C liegt, kann sie auf Schattenseite bis auf -100°C runtergehen, während sie auf der Sonnenseite angenehme 20°C beträgt. "Dazwischen" herrscht Temperatur
verteilung, wo aus Gründen der Stetigkeit faktisch jeder Wert zwischen den Minimum und Maximum angenommen wird. Dreht sich der Himmelskörper schnell genug (quasi wie ein Grillhähnchen über'm Lagerfeuer), verteilt sich die Temperatur mehr oder weniger gleichmäßig über den ganzen Körper (Worst-Case). Im Extremfall hat unser Grillhähnchen aber gar keine Eigenrotation, dann bleibt eine Seite des Grillhähnchens warm, die andere kalt, dazwischen ist die Temperatur über eine Skala zwischen Minimum und Maximum verteilt. Faktisch dürften aber so gut wie alle Asteroiden eine Eigenrotation haben, die zwischen einigen Stunden bis einigen Wochen liegt, was sie in etwa mit Grillhähnchen vergleichbar macht. Nur sind Asteoriden letzten Endes eben doch keine Grillhähnchen. Die Drehachse des Grillhähnchens ist orthogonal zur Hitzequelle, die eines Asteoriden aber nicht unbedingt. Ist der Neigungswinkel klein (die Drehachse zeigt ungefähr in Richtung Sonne), bleibt's dabei: an einem Pol warm, am anderen kalt, dazwischen verteilt es sich.
Das "Kälte-Argument" wäre also ebenfalls entkräftet.
perttivalkonen schrieb:Dann fliegt das Geschoß sagenwirmal 20.000 Jahre durchs All, bevor es auf nem Planeten oder Mond aufschlägt.
Auch wieder nur so'n Durchschnittswert, dazu ein lausiger. Bei einer mittleren Entfernung zwischen Erde & Mars von 225 Mio. km entspräche das im Falle einer direkten Reise (Best-Case-Szenario) einer Geschwindigkeit von über 11000 km pro Jahr, allerdings nur müde 30 km am Tag und 1,3 km pro
Stunde - zum Vergleich die Fluchtgeschwindigkeit der Erde: 11,2 km... pro
Sekunde. Mag zwar also ein toller Durchschnittswert für's Average-Szenario sein, wie auch immer sich dieser lausige Wert errechnen mag, aber im Durchschnitt war der Teich nur 50 cm tief und trotzdem ist die Kuh ersoffen...
Man kann mindestens davon ausgehen, dass nicht alle Geschosse 20.000 Jahre benötigen, sondern manche mehr und manche eben weniger. Wenn man dazu bedenkt, dass eine direkte Reise zum Mars selbst bei nur 1/10 der Fluchtgeschwindigkeit müde 232 Tage dauern würde, man aber zumindest zur Kenntnis nimmt, dass es natürlich in den seltensten Fällen direkte Hinflüge sein dürften, sondern erst einmal noch ein paar "Tänze" quer durch's Sonnensystem gemacht werden, scheinen mehrere Jahre bis Jahrzehnte dem Average-Szenario schon eher zu entsprechen. Meinetwegen können wir aber auch bei 20.000 Jahren bleiben...
perttivalkonen schrieb:Na und dann kommt noch die kosmische Strahlung hinzu, die vor allem das oberflächennahe Leben killt, dank der 20.000 Jahre Dauer aber auch dem tiefer verborgenen Leben an den Kragen geht. Aber ok, ziehnwa nur 1 Größenordnung ab, wir könnens uns ja leisten.
Auch gegen die kosmische Strahlung bietet eine hinreichend dicke Schicht an Gesteinsmaterial genügend Schutz, wie hier schon festgestellt wurde:
"In ausführlichen Untersuchungen im Weltraum und in unseren Weltraumsimulationsanlagen haben wir gezeigt, daß widerstandsfähige Bakteriensporen bis zu sechs Jahre ungeschädigt im Weltraum überleben können, wenn sie vor der aggressiven Ultraviolett-Strahlung der Sonne geschützt sind. Dies könnte leicht durch eine einige Millimeter dicke Staub- oder Gesteinsschicht geschehen. Um über einen längeren Zeitraum von Tausend oder gar Millionen Jahren vor der kosmischen Strahlung geschützt zu werden, müßte der Gesteinsbrocken allerdings schon erhebliche Ausmaße von etwa zwei bis drei Meter haben."https://www.dlr.de/me/Portaldata/25/Resources/dokumente/publikationen/16-25.pdfZiehen wir trotzdem ruhig 1 Größenordnung ab, wir könnens uns ja leisten.
;)Der Teil, der übrigens nicht vor den Auswirkungen der kosmischen Strahlung geschützt ist, d.h. die Außenschichten, ist gerade und übrigens so ziemlich der gleiche Teil, der später beim Wiedereintritt in die Atmosphäre eh verglüht bzw. noch stark genug erhitzt wird, dass Bakterien verrecken.
perttivalkonen schrieb:Wenn ich da jetzt mal die Nullen zusammenzähle, die ich für die ganze Reise von Anfang bis Ende abziehen muß, dann komm ich auf 5+3+1+4+1+6+4.
Naja, was soll bei einer Milchmädchenrechnung, die vom absoluten Worst-Case-Szenario ausgeht, auch anderes rauskommen? Was sind das für Zahlen? Wo kommen sie her? Welche Formel liegt hier zugrunde? Inwieweit sind die Zahlen durch Studien belegt? Von welchen Prämissen usw. wird ausgegangen? Etc. pp. Selbst die
Drake-Gleichung bietet mehr, ist aber auch so'ne Milchmädchenrechnung. Der Einfachheit halber schlug ich ja schon eine Unterteilung vor: Auswurf, Transit, Eintritt. Mit den Warscheinlichkeiten p(A), P(T), p(E) für's Überleben einer Entität während einer dieser Phasen ließe sich über das Produkt dann die Gesamtwahrscheinlichkeit ausrechnen. Wobei hier nicht nur Unsicherheitsfaktoren (Interquartilsabstand) mit zu berücksichtigen wären, um die Wahrscheinlichkeiten für Best-, Average- und Worst-Case-Szenarien abschätzen zu können, sondern auch diverse zugrundegelegte Annahmen.
So aber bin ich von solchen Milchmädchenrechnungen herzlich wenig beeindruckt.
Die Einteilung in Phasen reicht auch nicht. Man kann sich so einen Meteorit/Asteroid bspw. in einem Schalenmodell veranschaulichen (und für unsere Zwecke tut's auch ein simples Atommodell):
Die äußere Schicht N geht schon in der ersten Phase (Aufwurf) flöten, vor allem durch Ablation. Die Oberfläche von M wird zwar auch noch stark erhitzt, wird aber nicht mehr abgetragen. Bakterien in Schichten K und L fühlen sich auf jeden Fall pudelwohl, vielleicht auch noch ein paar in Schicht M. Schicht M ist insbesondere auch der kosmischen Strahlung ausgesetzt, Bakterien in Schichten K und L fühlen sich aber weiterhin pudelwohl. Beim Widereintritt in die Atmosphäre wird Schicht M übermäßig stark erhitzt und geht flöten (erneut durch Ableration). Schicht L wird zwar noch stark erhitzt, aber nicht mehr abgetragen. Bakterien in Schicht K (und vielleicht auch ein paar in Schicht L) fühlen sich pudelwohl.
"Pudelwohl" ist zwar stark übertrieben, aber so oder so ist es unzulässig, alle Wahrscheinlichkeiten und Szenarien von Anfang bis Ende gleichverteilt auf alle Schichten anwenden, denn ein innerer Teil ist von diversen Prozessen ab einer kritischen Mindestgröße überhaupt nicht betroffen.
perttivalkonen schrieb:Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob das Bakterium auf Mars, Europa, Venus oder Enceladus nicht doch noch die Hufe hochreißt, weil ihm die dortigen Bedingungen nicht so recht schmecken.
Damit fügst du mit dem Szenario "langfristiges Überleben" in obiger Gleichung natürlich noch einen Faktor hinzu, womit eine andere Fragestellung gegeben ist. Explizit wollte der Diskussionsleiter scheinbar auf zwei Fragestellungen hinaus:
Alteiche schrieb am 27.10.2019:Was meint ihr wie wahrscheinlich ist es für euch, dass Leben es von der Erde auf die anderen Himmelskörper geschafft hat und dort bis heute überlebt haben?
Diese Fragen kann man zusammen betrachten, muss man aber nicht. Um die Diskussion auch überschaubar zu halten, würde ich die Frage nach den
allgemeinen Bedingungen für Leben aber erst einmal ausklammern, da es - als notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Leben - bereits an anderer Stelle zur Genüge diskutiert und untersucht wird.
perttivalkonen schrieb:Wie viele Impakte mit der Fähigkeit, irdisches Material ins All zu schleudern, kann es da in sagenwirmal den letzten 3 1/2 Milliarden Jahren existierenden Lebens auf der Erde gegeben haben? Eindeutig weniger als die für den Mars hochgerechneten 1400 Impakte.
Ich würde die Anzahl derartige Einschläge auch lieber vorsichtig auf 500-1000 schätzen.
perttivalkonen schrieb:Ich befürchte, es sind gar nicht so viele. [...] Vielleicht findest Du ja bessere Angaben.
Nach einer Abschätzung oder gar Zahlen musste ich lange suchen... Aber wie der Zufall nach dutzenden Papers so will...
"The ejecta size is important because of their ability to achieve radiation shielding against the Galactic cosmic ray nuclei. It requires ejecta with radii larger than 0.2m, and the survival increases with ejecta size. [...] The largerthe ejecta, the larger the portion that remains<100°C. Approximately 4×10^12 ejecta of this size range with T<100°C were ejected on average, in all directions, from Mars’ surface during the last 4 Gyr by impactors of diameters 1–20 km, i.e., an average∼10^9 per Myr (Mileikowsky et al. 2000)."https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0004-637X/690/1/210/metaHierbei reden wir aber nur über das Material, welches über alle Zeiten in alle möglichen Richtungen flog, aber darum ging es ja.
perttivalkonen schrieb:Wenn einer sagt, da gibts Aussterberaten von 10^(-4)...10^(-7), dann halte ich dem entgegen, daß das nur für einen Faktor bei einem Transspermie-Event gilt.
Berechtigter Einwand, nur sind aber eben auch nicht alle Teile von so einem Brocken gleichermaßen von allen Faktoren betroffen.
perttivalkonen schrieb:Wenn jemand auf die Menge von Mikroorganismen in einem Gramm Boden verweist, geh ich da sachbezogen drauf ein. Spricht jemand von Gigatonnen Auswurfmaterial, recherchiere ich und versuche, echte wissenschaftliche Hochrechnungen auszuwerten.
Wenn man obige Zahlen grob überschlägt... 4x10^12 Geschosse... r=0.2m... da käme man bei einer Dichte von 2,7t/m^3 auf ca. 134 Mrd. Tonnen, die da durch die "Luft" fliegen. Und wenn von diesem ggf. kontaminierten Material auch nur eine einzige Tonne, was nur dem winzigen Bruchteil von 0.0000000007% entspricht, auf einem anderen Planeten landet, käme das faktisch einer
Invasion gleich.