Ich möchte zumindest mal den Grundansatz erläutern, wie man die Länge der Flugbahn berechnet. Man stelle sich zunächst die Bahn auf ein sehr grosses Blatt Papier gezeichnet vor. Nun könnte man mit einem Lineal angefangen vom Startpunkt eines kleines Stück der Bahn abmessen, und sich den Wert notieren. Bei einer gekrümmten Bahn ist das Ergebnis zwar nicht exakt, kommt dem exakten Wert aber nahe, sofern man nur ein angemessen kurzes Teilstück der Bahn abmisst. Anschliessend könnte man das nächste Stück der Bahn abmessen, und den gemessenen Wert zu dem Wert der ersten Messung addieren. Fährt man auf diese Weise bis zum Ende der Bahn fort, erhält man einen Näherungswert für die Länge der Bahn. Mathematisch kann man das so ausdrücken:
l ≈ \sum \Delta l
In Worten bedeutet das ungefähr: Die Länge der Bahn ist näherungsweise gleich der Summe der Längen der linearisierten Teilabschnitte. Die Wahl der Teilabschnitte ist dabei dem Anwender überlassen. Es sollte einleuchten, dass das Ergebnis dabei um so genauer ist, je kürzer die einzelnen Teilabschnitte sind. Macht man die Teilabschnitte quasi unendlich klein, ist das Ergebnis exakt. Mathematisch sieht das dann so aus:
l = \int dl
Mittels des Satz des Pythagoras kann man nun dl in den üblichen x- und y-Koordinaten ausdrücken:
dl=\sqrt{dx^2+dy^2}
Für das Integral ergibt sich daraus:
l = \int \sqrt{dx^2+dy^2}
Nun wäre es günstig, wenn sich dy "irgendwie" durch dx ausdrücken liesse. Zu diesem Zweck lässt sich y als
f(x) betrachten:
y = f(x)
Aus dem Grundsatz der Differentialrechnung folgt:
\frac{d(f(x))}{dx}=f'(x) \quad\longrightarrow\quad d(f(x))=f'(x)*dx
Aufgrund der obigen Definition
y = f(x) kann man statt
d(f(x)) auch
dy schreiben:
dy=f'(x)*dx
Für das Integral ergibt sich damit:
l = \int \sqrt{dx^2+dy^2} = \int \sqrt{dx^2+(f'(x)*dx)^2}
dx^2 lässt sich nun ausklammern, und aus der Wurzel herausziehen:
l = \int \sqrt{dx^2+(f'(x)*dx)^2} = \int \sqrt{1+f'(x)^2}\,dx
Nun muss die konkrete Funktion
f'(x) bzw.
f(x) bestimmt werden. Physikalisch entspricht der Verlauf der Funktion
y = f(x) der Flughöhe des Geschosses. Diese Flughöhe lässt sich zeitabhängig aus der Startgeschwindigkeit in y-Richtung und dem Einfluss der Gravitation (entsprechend dem Weg-Zeit-Gesetz einer
gleichmässig beschleunigten Bewegung) berechnen. Um das Ganze etwas allgemeiner als in der
ursprünglichen Aufgabenstellung zu halten, sei dabei ein vom Koordinatensystem-Ursprung abweichender Startpunkt x
0, y
0 zulässig.
y=y_0+v_{0y}*t-\frac{1}{2}*g*t^2
Da die Bewegung in x-Richtung gleichförmig ist (gemäss der
ursprünglichen Aufgabenstellung bleibt die Luftreibung unberücksichtigt), gilt:
x=x_0+v_{0x}*t \quad\longrightarrow\quad t=\frac{x-x_0}{v_{0x}}
Dieser Ausdruck lässt sich nun für t in die obige Formel für y einsetzen:
y=y_0+v_{0y}*t-\frac{1}{2}*g*t^2=y_0+v_{0y}*\left(\frac{x-x_0}{v_{0x}}\right)-\frac{1}{2}*g*\left(\frac{x-x_0}{v_{0x}}\right)^2
Ausser bei x handelt es sich bei allen Werten, von denen y abhängt, um Konstanten. Da für das obige Integral die Ableitung dieser Funktion benötigt wird, ist es sinnvoll, zunächst die Potenzen von x zu separieren:
y=y_0+x*\frac{v_{0y}}{v_{0x}}-x_0*\frac{v_{0y}}{v_{0x}}-x^2*\frac{g}{2*v_{0x}^2}+x*\frac{g*2*x_0}{2*v_{0x}^2}-\frac{g*x_0^2}{2*v_{0x}^2}
Zusammenfassen der Teilterme entsprechend den Potenzen von x ergibt:
y=\left( y_0-x_0*\frac{v_{0y}}{v_{0x}}-\frac{g*x_0^2}{2*v_{0x}^2} \right)+x*\left( \frac{v_{0y}}{v_{0x}}+\frac{g*x_0}{v_{0x}^2} \right)-x^2*\left( \frac{g}{2*v_{0x}^2} \right)
Für das Integral wird die Ableitung dieser Funktion gebraucht (der konstante Teilterm links entfällt dabei ganz):
y'=\left( \frac{v_{0y}}{v_{0x}}+\frac{g*x_0}{v_{0x}^2} \right)-x*\left( \frac{g}{v_{0x}^2} \right)
Dieser Ausdruck kann nun für
f'(x) in das Integral eingesetzt werden:
l = \int \sqrt{1+f'(x)^2}\,dx = \int \sqrt{1+\left( \left( \frac{v_{0y}}{v_{0x}}+\frac{g*x_0}{v_{0x}^2} \right)-x*\left( \frac{g}{v_{0x}^2} \right) \right)^2}\,dx
Das ist das in meinem vorhergehenden Beitrag erwähnte Integral der Grundform:
l = \int \sqrt{1+(a+b*x)^2}\,dx
Integrale dieser Form sind grundsätzlich analytisch lösbar, der Aufwand dafür ist mir an dieser Stelle allerdings zu gross. Deshalb ermittle ich im Folgenden nur die numerische Lösung.
Für die Lösung des Integrals werden die Komponenten
v_{0x} und
v_{0y} der Startgeschwindigkeit gebraucht, die in der
ursprünglichen Aufgabenstellung nicht gegeben ist. Gegeben sind der Startpunkt, der Startwinkel, und der Zielpunkt.
@Tripane hatte die Berechnung der Startgeschwindigkeit bereits
hier gezeigt, ich möchte dies jedoch hier nochmal direkt für die x- und y-Komponenten tun. Abweichend von der ursprünglichen Aufgabenstellung verwende ich dabei die Koordinaten x
0, y
0 für den Startpunkt, und x
1, y
1 für den Zielpunkt.
Allgemein gilt, dass der Tangens des Steigungswinkels einer Funktion an einem bestimmten Punkt gleich dem Wert der Ableitung der Funktion an diesem Punkt ist:
\tan(\alpha)=\frac{d(f(x))}{dx}=f'(x)
Für den Startpunkt der Flugbahn ergibt sich auf Basis der oben gewonnenen Formel für y' damit:
\tan(\alpha_0)=y'(x_0)=\left( \frac{v_{0y}}{v_{0x}}+\frac{g*x_0}{v_{0x}^2} \right)-x_0*\left( \frac{g}{v_{0x}^2} \right)= \frac{v_{0y}}{v_{0x}}
Aufgelöst nach
v_{0y} ergibt sich:
v_{0y}=v_{0x}*\tan(\alpha_0)
Für den Zielpunkt der Flugbahn ergibt sich auf Basis der oben gewonnenen Formel für y damit:
y_1=\left( y_0-x_0*\frac{v_{0x}*\tan(\alpha_0)}{v_{0x}}-\frac{g*x_0^2}{2*v_{0x}^2} \right)+x_1*\left( \frac{v_{0x}*\tan(\alpha_0)}{v_{0x}}+\frac{g*x_0}{v_{0x}^2} \right)-x_1^2*\left( \frac{g}{2*v_{0x}^2} \right)
Aufgelöst nach
v_{0x} ergibt sich (Zwischenschritte lasse ich aus Zeitgründen weg):
v_{0x}=\sqrt{\frac{g}{2}*\frac{(x_1-x_0)^2}{(x_1-x_0)*\tan(\alpha_0)-(y_1-y_0)}}
Mit den konkreten Werten für den Startpunkt x
0,y
0 = (0, 0), den Startwinkel α
0 = 26,81505° und den Zielpunkt x
1,y
1 = (200, 100) ergibt sich:
\begin{aligned}
v_{0x}&≈\mathrm{423{,}639253\,m/s} \\
v_{0y}&≈\mathrm{214{,}135276\,m/s}
\end{aligned}
Auf Basis dieser Werte kann man nun das Integral, und damit die Länge der Flugbahn numerisch berechnen (aufgrund der Einschränkungen von Wolfram Alpha bei Variablennamen verwende ich v für
v_{0x} und w für
v_{0y}):
∫ sqrt(1+((w/v+(g*x_0)/v^2)-x*g/v^2)^2) dx from x=0 to 200 where x_0=0, v=423.639253, w=214.135276, g=9.81Als Resultat berechnet Wolfram Alpha:
Das Ergebnis ist leider relativ grob gerundet. Z.B.
Maxima und
Octave (von denen mir jedoch keine Online-Version bekannt ist, die man mit einem Skript als URL-Parameter aufrufen kann) berechnen auf Basis der gleichen Eingangswerte:
l≈\mathrm{223{,}60751\,m}
Diesen Wert kann man abschliessend noch mit der Länge der Verbindungsgeraden zwischen Start- und Zielpunkt vergleichen:
l_\mathrm{G}=\sqrt{(x_1-x_0)^2+(y_1-y_0)^2}=\mathrm{\sqrt{(200\,m)^2+(100\,m)^2}}≈\mathrm{223{,}6068\,m}
Die Flugbahn ist also bemerkenswerterweise nur um weniger als 1 mm länger als die Verbindungsgerade zwischen Start- und Zielpunkt.