Ich habe mir nochmal die Folien von AA und den durchgeführten Test etwas angesehen und möchte einige Gedanken dazu schreiben.
Soweit ich das verstanden habe, ging es AA bei dem Test darum, das Szenario des DSB nachzustellen, vor allem was den Detonationspunkt der BUK im Verhältnis zu MH17 angeht. Anhand der Ergebnisse dieses Tests will man dann nachweisen, dass das Szenario des DSB so nicht stimmen kann.
Allgemein muss man sagen, dass die Vergleichbarkeit zwischen der Testsituation und der realen Situation meiner Meinung nach nur bedingt gegeben ist. AA führt aus, dass die zum Test verwendete IL-86 vergleichbar mit der B777 sei. Das mag vom Rumpfdurchmesser her gesehen ungefähr hinkommen, aber die Form der Cockpit-Sektion unterscheidet sich sicherlich zwischen beiden Flugzeugen, was dann natürlich auch Unterschiede bei den Schäden, Einschlagwinkeln etc. bedeutet. Auch die Inneneinrichtungen beider Flugzeuge unterscheidet sich, was möglicherweise die Flugbahn der Splitter ebenfalls unterschiedlich beeinflusst.
Weiter erschwerend kommt hinzu, dass der Test eine statische Situation untersucht, die Realität aber natürlich dynamisch ist. Insbesondere werden beim statischen Test die Splitter durch die fehlende Bewegung der Rakete nicht nach vorne abgelenkt, so wie es in der Realität der Fall wäre. AA versucht das auszugleichen, indem sie einen Korrekturwinkel unter Hinweis auf Schulgeometrie errechnen, um den sie die Rakete im Vergleich zur DSB-Position drehen. AA geht anfänglich von einem Winkel von 17° zwischen Flugzeug und Rakete aus und einer Raketengeschwindigkeit von 600m/s. Warum diese Startwerte genommen werden, ist etwas rätselhaft, da beim DSB ja eher Werte zwischen 20 und 27° und eine Raketengeschwindigkeit von ~700m/s genannt werden. AA errechnet dann einen horizontalen und einen vertikalen Korrekturwinkel von 16,5° und 9,5° und dreht die Rakete entsprechend auf eine Position von horizontal 33,5° und vertikal 16,5° zum Testflugzeug. Durch diese Drehung der Rakete soll dann die Ablenkung der Splitter nach vorne simuliert werden. Problematisch ist hier, dass diese Korrekturberechnung streng genommen nur für einen einzelnen Splitter gilt und nicht für alle Splitter. Je mehr man sich von diesem "Referenzsplitter" entfernt, desto ungenauer wird der Korrekturwert. Man kann sich das am Extremfall eines direkt nach vorn in Flugrichtung der Rakete fliegenden Splitters klarmachen: In der dynamischen Situationen wäre dieser Splitter auf einer Flugbahn mit einem Winkel von 17° zu MH17 und hätte eine Geschwindigkeit, die sich aus der Geschwindigkeit der Rakete und der durch die Explosion verursachte Splittergeschwindigkeit zusammensetzt (also beispielsweise 700m/s + 2500m/s = 3200m/s). In der statischen Version von AA mit Korrekturwinkel wäre dieser Splitter auf einer Flugbahn von 33,5° zum Testflugzeug und hätte lediglich die Geschwindigkeit durch die Explosion, nicht aber die Geschwindigkeit der Rakete, da sich die Rakete hier ja gar nicht bewegt (also nur beispielsweise 2500m/s). Die Korrekturwinkel greifen hier also nicht und dieser Splitter fliegt ganz woanders hin als in der dynamischen Realität. Der Korrekturwinkel von AA ist also nur eine grobe Näherung, die immer schlechter wird, je größer der Winkel der Splitter zur Senkrechten der Rakete wird.
Auch berücksichtigt der Korrekturwinkel natürlich nicht die Bewegung der B777.
AA führt aufgrund des Tests drei Argumente an, warum die vom DSB genannten Version nicht stimmen kann:
1. Der Test hat gezeigt, dass es auf der Steuerbordseite des Flugzeuges austretende Splitter gibt, wohingegen es bei MH17 keine austretenden Splitter auf der Steuerbordseite gegeben habe. Auch sei bei dem Test ein rechtes Cockpitfenster durchschlagen worden, bei MH17 nicht.
Wenn man sich mal die Fotos von MH17 ansieht, dann sieht man meines Erachtens sehr wohl, dass es auch auf der Steuerbordseite austretende Splitter gegeben hat. Ich habe mal ein paar entsprechende Stellen markiert:
Original anzeigen (0,6 MB)Original anzeigen (1,3 MB)Auch im NLR-Bericht (S. 13) findet sich der Hinweis, dass es auf der Steuerbordseite im unteren Cockpit-Teil austretende Splitter gegeben hat: "Exit damage is observed on the wreckage of the lower right-hand side of the cockpit".
Wie AA also zu der Einschätzung kommt, es gebe bei MH17 keine austretenden Splitter auf der Steuerbordseite, ist nicht schlüssig.
Beim Cockpitfenster muss man beachten, dass die IL-86 wohl nicht die gleiche Cockpitgeometrie hat wie die B777 und der statische Test nicht vollständig den Bedingungen der Realität entspricht (siehe oben).
2. Der Test hat gezeigt, dass das linke Triebwerk nicht von Splittern getroffen wird. Bei MH17 wurde es aber getroffen.
Hier ist es durchaus möglich, dass AA durch seine Korrekturwinkel (nämlich nach oben und nach außen) die Rakete so dreht, dass die nach vorn wirkenden Fragmente am Triebwerk vorbei bzw. darüber hinweg gehen und es eben nicht treffen. Um das genauer verifizieren zu können, bräuchte man Daten über die typische Verteilung der nach vorn gerichteten Splitter. Ich weiß nicht, ob die auf Seite 55 des NLR-Berichtes gezeigte Grafik hier die exakten Winkel zeigt. Hier wäre ein Test mit einer Rakete ohne Korrekturwinkel sinnvoller gewesen.
3. Die Beschädigungen auf der Backbordseite und der inneren Struktur des Testflugzeuges würden nicht denen von MH17 entsprechen.
Das kann ich nicht wirklich beurteilen, zumal mir auch nach mehrmaligem Ansehen der Präsentation nicht wirklich klar geworden ist, wo genau jetzt die Unterschiede liegen sollen. Ich weise aber noch mal darauf hin, dass der statische Test von AA nur bedingt mit der dynamischen Situation vergleichbar ist und Unterschiede daher durchaus möglich sind.
Jetzt noch zum AA-Szenario:
http://cdn.itar-tass.com/tass/m2/uploads/v/24453.video_hd.mp4Interessanterweise entsteht hier laut AA nur Schaden an der linken Tragfläche und am linken Triebwerk. An der rechten Tragfläche und am rechten Triebwerk entsteht überhaupt kein Schaden, dabei müssten doch zumindest einige der Splitter den vorderen Teil des Flugzeuges durchschlagen und dann an Tragfläche und Triebwerk Schäden verursachen. AA hat ja im Test gezeigt, dass diese Splitter problemlos 4 Lagen durchschlagen können. Meines Wissens nach zeigen rechte Tragfläche und Triebwerk aber keine Splittereinschläge.
Außerdem fragt man sich, wie bei diesem Szenario die Austrittslöcher an der rechten Cockpitseite entstehen konnten. Dann hätten die Splitter ja quasi eine 90°-Grad Kurve fliegen müssen, nachdem sie vorne in das Cockpit eingedrungen sind.