Commonsense schrieb:Wie @perttivalkonen sich ja nicht verkneifen konnte
In der Tat reizte mich Deine vorgestrige recht intensive Reaktion auf Knoppers Beitrag, doch mal in Deinem Keller ein bisserl rumzuwühlen, ob da nicht auch noch irgendein Leichlein rumliegt.
Beitrag von Commonsense (Seite 196)Auch ich hab lange Zeit die Mären von Kolumbus, Galilei, Mittelalterflacherde usw. geglaubt. In den späten Achtzigern erst legte ich allmählich schon mal das Bild vom finstern Mittelalter nach und nach ab, in den Neunzigern kamen dann Galilei & co. dazu, und irgendwelchen Irrtümern sitze ich wohl heute noch auf.
Immerhin können wir uns damit "rausreden" (oder als die Besseren fühlen), daß wir in einem Umfeld aufwuchsen, in dem alle gesagt haben, daß der Galilei wegen der Heliozentrik den Ärger bekam, die Menschen im Mittelalter noch an die Flacherde glaubten. Aber niemand in Europa wächst in einem Umfeld auf, in dem die Scheibenwelt von allen geglaubt wird. Wer diese vertritt, weiß, daß die Kugelerde vom Mainstream vertreten wird. Und ist sich damit weit stärker bewußt, daß er seine Sicht erst mal prüfen muß. Sollte es jedenfalls. (Ein Grund übrigens, weshalb Atheisten in religiös geprägten Gesellschaften überdurchschnittlich unter Akademikern vertreten sind; in der atheistisch geprägten DDR erlebte ich es andersrum.)
Daß dennoch Menschen den Flacherd-Kram glauben, ist daher durchaus bedenklicher als nem Irrtum aufzusitzen, dem vor ner Weile quasi noch
alle aufgesessen sind.
Übrigens erinnere mich mich aus Schulzeiten noch an dieses Bild hier. Womöglich war dieses ja mitverantwortlich, daß ich wie viele andere von einer mittelalterlichen Flacherd-Anschauung ausgegangen bin.
Original anzeigen (0,2 MB)Wikipedia: Flammarions HolzstichWikipedia: Camille FlammarionIch hielt das Bild für die Darstellung eines Neugierigen Menschen, der das mittelalterliche Weltbild von Flacherdrand und Himmelskuppel "hinter sich läßt" und die "Mechanismen des Universums" entdeckt. Laut Camille Falammarion, der diesen Holzstich ende des 19.Jh. erstmals veröffentlichte, handelt es sich aber um einen naiven Missionar, der behauptet habe, er habe den Rand der Scheibenwelt erreicht und eine Stelle gefunden, wo die Himmelskuppel nicht fest mit der Erde verbunden war, sodaß er mit den gebeugten Schultern ein Stück hindurchschauen konnte. Flammarion spricht allerdings nur von einer Schrift, in der er diese Geschichte gelesen hat, sprach davon (in leichten Variationen) bereits in früheren Veröffentlichungen, ohne das Bild mit einzusetzen. Die Quelle (sowie weitere damit zusammenhängende Schriften, z.T. aus der Antike) gibt es, da geht es um die Kritik an behaupteten Absurditäten, die die Öffentlichkeit einfach mal glaubte, ohne einen Beleg einzufordern odgl.
Allerdings kommt die von Flammarion erzählte Geschichte, soweit ich es verstanden habe, in dieser Quelle (diesen Quellen) nicht vor. Auch nicht der Holzstich. Während die Technik, mit der dieser Holzstich angefertigt wurde, erst im 19.Jh. aufkam, sodaß das Bild von FLammarion in Auftrag gegeben worden sein kann, wirkt das Bild wie aus der Renaissance (15.Jh.) oder der Frühneuzeit (16.Jh.). Allerdings fehlen dem Bild mit seinem Rahmen einige Sachen, die bei einem authentischen Bild jener Zeit zu erwarten gewesen wären (z.B. das Signum des Künstlers). Es ist also auch offen, ob das Bild nun eine Anfertigung aus dem 19.Jh. ist oder eine Nachgestaltung eines älteren Bildes. Daß auf dem Bild praktisch genau das zu sehen ist, was Flammarion gelesen zu haben behauptet, ohne daß es in seiner QUelle vorkommt, spricht m.E. eher dafür, daß das Bild nicht alt ist. Ansonsten hätte Flammarion nämlich den unglaublichen Coup landen müssen, erst eine ansonsten unbekannte Story über einen den Himmel erstähenden Missionar zu finden und später dann ein ebenso unbekanntes Bild aus der selben Zeit entdeckte, das just dieses Ereignis dargestellt hat.
Flammarion ärgerte sich über das mittelalterliche Weltbild dieses naiven Missionars. Und als dieser Holzsstich in seinem Werk bekannt wurde, hielt man es schnell in Europa für eine authentische Darstellung des mittelalterlichen Glaubens an eine flache Erde. Da frage ich mich, richtete Flammarion nicht genau das an, was er wie auch seine Quelle eigentlich brandmrken wollte: das ungeprüfte Hereinfallen auf irgendwelche Mythen?