Freimaurer
22.11.2007 um 19:36Was versteht der Freimaurer unter Liebe?
Die freimaurerische Arbeit im Tempel ist der Höhepunkt im freimaurerischen Leben. Sinn dieser rituellen Arbeit ist es, uns in symbolhafter Weise immer wieder an die freimaurerischen Werte zu erinnern, uns den rechten Weg zu weisen. Wir werden ermahnt, unsere Arbeit am Rauhen Stein beharrlich fortzusetzen. Nach unserem Traditionsritual erhalten wir auf die Frage nach dem Ziel unserer Arbeit die Antwort: "Toleranz, unser höchstes Gebot aber ist die LIEBE". Dieses wird dort noch in der Beantwortung der Frage nach dem Ziel unseres Bundes mit den Worten "Erziehung zu Toleranz und brüderlicher LIEBE" wiederholt und verstärkt. LIEBE ist also, wenn ich das recht verstehe, und wenn man es so vereinfacht formulieren darf, für uns Freimaurer eine quasi höhere Form der Toleranz.
Das Thema LIEBE erscheint auf den ersten Blick einfach. Es handelt sich ja nur um einen Begriff, ein Wort, das wir entweder in dieser oder leicht abgewandelter Form, wie "liebevoll, liebenswert, lieblich, beliebt u.s.w." fast ständig im Munde führen. Wie stets in solchen Fällen macht man sich irgendwann die ersten Gedanken, überlegt, wägt ab. Man beginnt, sich eine Meinung zu bilden, erarbeitet sich gedanklich, wie man glaubt, einen festen Standpunkt. Alles erscheint klar, logisch, selbstverständlich zu sein. Doch je mehr ich mich damit beschäftige, je intensiver ich bemüht war, meine Gedanken zu Papier zu bringen, was wir Freimaurer unter LIEBE im Sinne unseres höchsten Gebotes zu verstehen haben, um so öfter kam ich ins Stocken. Was mir zuerst richtig erschienen war, das mußte ich nach reiflicher Überlegung wieder verwerfen. Was tut man in einer solchen Situation? Man verschreibt sich der Fachliteratur! Ich griff zu Büchern, las, und meine Unsicherheit, meine Probleme nahmen zu.
Zwei Schwierigkeiten ergaben sich gleich zu Beginn:
Ist LIEBE eine Wissenschaft?
Die Meinungen gehen auseinander. Es kam sogar vor, daß sich ein Autor selbst widersprach. Ein deutscher Philosoph drückte sich in etwa so aus:
"Wenn der Wissenschaftler über die LIEBE zu reden beginnt, bewegt er sich zwischen Scylla und Charybdis. Hält er starr an der konventionellen Sprache der Wissenschaft fest, dann wird sein Bemühen ebenso unfruchtbar und vergeblich bleiben, wie es bei der Anwendung von wissenschaftlichen Begriffen auf das menschliche Zusammenleben charakteristisch ist".
In einem Essay über die LIEBE stellt ein anderer Philosoph fest, daß es ein Irrtum wäre zu glauben, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die LIEBE. Er beklagt die allgemeine Ansicht, daß angeblich jeder außer dem Wissenschaftler vorgibt, etwas über die LIEBE zu wissen. Diese allgemein verbreitete Haltung erschwere es, über dieses Thema zu verbindlichen Aussagen zu gelangen.
Problem der Definition:
Wann immer man sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen hat, verlangt die Methodik zuerst seine Definition. Hier türmte sich vor mir eine unüberwindbare Klippe auf. Mit einem solchen Problem konfrontiert, holt man sich Hilfe im Wörterbuch. Hier einige Kostproben:
Der Brockhaus sagt dazu: "LIEBE ist ein Sammelbegriff einer Vielfalt menschlicher Gefühlsbindungen, denen die rational nur unvollständig begründbare Wertbejahung unseres Objektes zugrunde liegt." Und fügt hinzu: "Fehlt der LIEBE bewußt der sexuelle Akzent, so nennt man eine solche LIEBE --- Sympathie."
Aus den weiteren Ausführungen werdet ihr sehen, warum ich bereits der eigentlichen Definition schwer zustimmen konnte; der dann folgende Zusatz macht die ganze Sache undiskutabel.
In einer älteren Ausgabe des gleichen Werkes findet sich ein noch weniger akzeptabler Definitionsversuch. Dort steht:
"LIEBE im allgemeinen Sinne des Wortes ist das mit einem mehr oder minder lebhaften Wunsch des Besitzes verbundene Gefühl der Wertschätzung eines Objektes."
Meyer's Lexikon versucht es gar auf m. E. nicht zulässige Weise, indem es
"LIEBE als die dem Haß entgegengesetzte Zuneigung" beschreibt.
Der dann folgende Satz lenkt diesen mißlungenen Versuch einer Definition vollends in eine zumindest für uns unbrauchbare Richtung. Es heißt dort:
"LIEBE ist eine seelische Bindung zu einer Person des anderen Geschlechtes und kommt durch instinktive Veranlagung zustande."
Wesentlich besser gefällt mir schon die Ansicht M. Scherer's:
"LIEBE", sagt dieser, "ist kein Gefühl, sondern eine Werthaltung der Person, an die sich Gefühle anschliessen können".
Der Grund für diese Definitionsschwierigkeit mag darin begründet sein, daß im Deutschen, wie in keiner anderen Sprache, unter dem Wort LIEBE ungeheuer viel subsummiert wird. Andere Sprachen bieten, wofür es bei uns eben nur dieses eine Wort gibt, eine ganze Palette zur Auswahl. Nehmen wir das Englische zum Beispiel:
love, devotion, affection, contentment, passion, fondness, charity, hearts's delight ...
Diese Aufzählung ist nicht komplett. Griechen und Lateiner unterschieden ebenfalls sehr klar zwischen eros und agape beziehungsweise amor und caritas. In der russischen Sprache gibt es einen Begriff, welcher zwar von dem Wort LIEBE abgeleitet ist, den gleichen Wortstamm, nur eine andere Endung hat; und schon bedeutet diese Wort nicht LIEBE im Sinne von "Gutheißen", sondern lediglich "es ist gut, angenehm und erfreulich, Dich zu betrachten". Quasi - LIEBE mit den Augen.
Es kommt ein weiteres hinzu. Wer immer sich die Frage stellte, was man unter LIEBE verstehe, beantwortete sie aus seiner Zeit heraus. Ich will erläutern, wie das gemeint ist:
Im frühen Mittelalter besaß die deutsche Sprache noch ein anderes seinerzeit gebräuchliches Wort mit eindeutig anderer Bedeutung, als Alternative zu LIEBE. Die Minne, d. h, die selbstlose, aufopfernde, meist einseitige und in jedem Falle unerfüllte Bewunderung und Anbetung einer weiblichen Person. Bis ins späte 15. Jahrundert war LIEBE nur ein Begriff im Zusammenhang mit Gott. In den darauffolgenden Jahrhunderten bestimmten Macht und persönliche sowie verwandschaftliche Bande, was LIEBE ist. Bei Machiavelli war der Inhalt des Begriffes LIEBE durch die politischen und moralischen Ansichten seiner Epoche geprägt. Die völlig neuen Probleme der Jahre nach dem ersten Weltkrieg waren Katalysator für die Freud'sche Analyse der LIEBE. Unsere heutige gesellschaftliche und soziale Struktur im kapitalistischen Westen, ihre sehr materialistische Lebensanschauung, hat zweifelsohne ein anderes Verständnis für die LIEBE geschaffen.
Über kaum ein Thema ist so viel und so vielseitig geschrieben worden, wie über die LIEBE, doch nie vollständig und absolut befriedigend. Trotzdem, es hilft alles nichts, ich muß, um weiterzukommen, den Versuch einer Wortdeutung vornehmen. Ich muß Farbe bekennen, muß meinen Standpunkt klären, sonst kann es nicht gelingen, die eigentliche Frage zu beantworten, die uns heute beschäftigt: Was ist das Ziel unseres Bundes? Was hat der Freimaurer unter LIEBE zu verstehen?
Auch ich kann es nicht in einem Satz und muß etwas ausholen:
LIEBE ist - per definitionem - lebensspendend und befreiend. Sie ist eine willentliche Bejahung des eigenen und auch des fremden Seins. Sie ist ein aus dem Verstand erwachsenes tiefes Verwandschaftsgefühl, daß ein jeder für sich erfahren muß. Die exakte Bedeutung wird entscheidend davon abhängen, welchen Reifegrad der Liebende erreicht hat. Sie wird also von Person zu Person unterschiedlich sein. Zweifelsohne ist die LIEBE eine der wesentlichsten menschlichen Regungen, gleichzeitig auch eine der komplexesten und daher schwer konkreter zu beschreiben.
Aus allen von mir zu diesem Thema gelesenen Büchern gefielen mir am besten die Gedanken von Erich Fromm in seiner Schrift über "Die Kunst des Liebens". Nicht, daß ich allem zustimme. Aber da viele seiner Thesen und Ansichten weitgehend unserem Gedankengut entprechen, so daß man fast den Verdacht hegen könnte, Fromm sei ein Freimaurer, halte ich mich im folgenden an seine Ausführungen. Gelegentlich werde ich wörtlich Zitate übernehmen, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen.
Gehen wir davon aus, daß LIEBE eine Willensäußerung ist. Sie ist eine positive Bejahung des eigenen Ichs und des anderen Menschen. Oder anders ausgedrückt: Jemanden oder etwas lieben heißt, jemanden oder dieses Etwas "Gut" nennen, zu ihm gewendet sagen: "Gut, daß es das gibt, gut, daß du auf der Welt bist". Da dies eine Willenserklärung und nicht nur eine rhetorische Bemerkung ist, ist es kein unverbindlicher Aussagesatz, sondern engagierte Zustimmung.
LIEBE bedeutet nicht nur jemanden zu billigen, wie er ist, ihn stillschweigend und distanziert zu akzeptieren. Das nenne ich tolerierende Neutralität als bloßes Einverständnis. LIEBE dagegen ist gewollte Bejahung. LIEBE ist also eine Weise - zu wollen. Sie ist Handlung, eine aktive Tätigkeit.
Sehen wir die LIEBE als eine Tätigkeit an, Fromm bezeichnet sie sogar als Kunst, so sollte sie auch erlernbar sein, zumindest müßte es Anleitungen und Ratschläge dafür geben. Doch ehe wir uns dieser Frage zuwenden, wollen wir wissen, ob wir die LIEBE überhaupt brauchen oder ob sie nur eine angenehme Zeiterscheinung ist. Die Frage scheint banal und die Antwort darauf eindeutig zu sein. Sie ist jedoch m. E. wichtig, denn sie beweist, daß LIEBE nicht nur Voraussetzung der menschlichen Existenz ist, sondern und vor allem unabdingbare Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben der Menschen.
Das spezifisch biologische Bedürfnis, das Verlangen nach der Vereinigung des weiblichen und männlichen Pols sind entscheidend für die Erhaltung der Art. Bedeutsamer ist, daß erst die LIEBE das universale, existenzielle Bedürfnis nach Einheit befriedigen kann. Nur die Fähigkeit zu lieben versetzt uns in die Lage, die menschliche Einsamkeit zu überwinden.
Der Wunsch, ja das Verlangen geliebt zu weren, ist jedem Menschen immanent. Die LIEBE ist ein Akt des Gebens, des Sichverschenkens. Dies verleiht der LIEBE eine besondere Macht: Die Macht, LIEBE zu erzeugen. Wer nicht lieben kann, ist zur Einsamkeit verdammt. Wer vereinsamt, verliert den Kontakt zu der Welt um sich, gerät in Gefahr, seine Menschlichkeit einzubüßen. Unbrüderlichkeit gegen andere, Haß gegen sich selbst, ist die unausweichliche, schreckliche Konsequenz.
Die freimaurerische Arbeit im Tempel ist der Höhepunkt im freimaurerischen Leben. Sinn dieser rituellen Arbeit ist es, uns in symbolhafter Weise immer wieder an die freimaurerischen Werte zu erinnern, uns den rechten Weg zu weisen. Wir werden ermahnt, unsere Arbeit am Rauhen Stein beharrlich fortzusetzen. Nach unserem Traditionsritual erhalten wir auf die Frage nach dem Ziel unserer Arbeit die Antwort: "Toleranz, unser höchstes Gebot aber ist die LIEBE". Dieses wird dort noch in der Beantwortung der Frage nach dem Ziel unseres Bundes mit den Worten "Erziehung zu Toleranz und brüderlicher LIEBE" wiederholt und verstärkt. LIEBE ist also, wenn ich das recht verstehe, und wenn man es so vereinfacht formulieren darf, für uns Freimaurer eine quasi höhere Form der Toleranz.
Das Thema LIEBE erscheint auf den ersten Blick einfach. Es handelt sich ja nur um einen Begriff, ein Wort, das wir entweder in dieser oder leicht abgewandelter Form, wie "liebevoll, liebenswert, lieblich, beliebt u.s.w." fast ständig im Munde führen. Wie stets in solchen Fällen macht man sich irgendwann die ersten Gedanken, überlegt, wägt ab. Man beginnt, sich eine Meinung zu bilden, erarbeitet sich gedanklich, wie man glaubt, einen festen Standpunkt. Alles erscheint klar, logisch, selbstverständlich zu sein. Doch je mehr ich mich damit beschäftige, je intensiver ich bemüht war, meine Gedanken zu Papier zu bringen, was wir Freimaurer unter LIEBE im Sinne unseres höchsten Gebotes zu verstehen haben, um so öfter kam ich ins Stocken. Was mir zuerst richtig erschienen war, das mußte ich nach reiflicher Überlegung wieder verwerfen. Was tut man in einer solchen Situation? Man verschreibt sich der Fachliteratur! Ich griff zu Büchern, las, und meine Unsicherheit, meine Probleme nahmen zu.
Zwei Schwierigkeiten ergaben sich gleich zu Beginn:
Ist LIEBE eine Wissenschaft?
Die Meinungen gehen auseinander. Es kam sogar vor, daß sich ein Autor selbst widersprach. Ein deutscher Philosoph drückte sich in etwa so aus:
"Wenn der Wissenschaftler über die LIEBE zu reden beginnt, bewegt er sich zwischen Scylla und Charybdis. Hält er starr an der konventionellen Sprache der Wissenschaft fest, dann wird sein Bemühen ebenso unfruchtbar und vergeblich bleiben, wie es bei der Anwendung von wissenschaftlichen Begriffen auf das menschliche Zusammenleben charakteristisch ist".
In einem Essay über die LIEBE stellt ein anderer Philosoph fest, daß es ein Irrtum wäre zu glauben, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die LIEBE. Er beklagt die allgemeine Ansicht, daß angeblich jeder außer dem Wissenschaftler vorgibt, etwas über die LIEBE zu wissen. Diese allgemein verbreitete Haltung erschwere es, über dieses Thema zu verbindlichen Aussagen zu gelangen.
Problem der Definition:
Wann immer man sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen hat, verlangt die Methodik zuerst seine Definition. Hier türmte sich vor mir eine unüberwindbare Klippe auf. Mit einem solchen Problem konfrontiert, holt man sich Hilfe im Wörterbuch. Hier einige Kostproben:
Der Brockhaus sagt dazu: "LIEBE ist ein Sammelbegriff einer Vielfalt menschlicher Gefühlsbindungen, denen die rational nur unvollständig begründbare Wertbejahung unseres Objektes zugrunde liegt." Und fügt hinzu: "Fehlt der LIEBE bewußt der sexuelle Akzent, so nennt man eine solche LIEBE --- Sympathie."
Aus den weiteren Ausführungen werdet ihr sehen, warum ich bereits der eigentlichen Definition schwer zustimmen konnte; der dann folgende Zusatz macht die ganze Sache undiskutabel.
In einer älteren Ausgabe des gleichen Werkes findet sich ein noch weniger akzeptabler Definitionsversuch. Dort steht:
"LIEBE im allgemeinen Sinne des Wortes ist das mit einem mehr oder minder lebhaften Wunsch des Besitzes verbundene Gefühl der Wertschätzung eines Objektes."
Meyer's Lexikon versucht es gar auf m. E. nicht zulässige Weise, indem es
"LIEBE als die dem Haß entgegengesetzte Zuneigung" beschreibt.
Der dann folgende Satz lenkt diesen mißlungenen Versuch einer Definition vollends in eine zumindest für uns unbrauchbare Richtung. Es heißt dort:
"LIEBE ist eine seelische Bindung zu einer Person des anderen Geschlechtes und kommt durch instinktive Veranlagung zustande."
Wesentlich besser gefällt mir schon die Ansicht M. Scherer's:
"LIEBE", sagt dieser, "ist kein Gefühl, sondern eine Werthaltung der Person, an die sich Gefühle anschliessen können".
Der Grund für diese Definitionsschwierigkeit mag darin begründet sein, daß im Deutschen, wie in keiner anderen Sprache, unter dem Wort LIEBE ungeheuer viel subsummiert wird. Andere Sprachen bieten, wofür es bei uns eben nur dieses eine Wort gibt, eine ganze Palette zur Auswahl. Nehmen wir das Englische zum Beispiel:
love, devotion, affection, contentment, passion, fondness, charity, hearts's delight ...
Diese Aufzählung ist nicht komplett. Griechen und Lateiner unterschieden ebenfalls sehr klar zwischen eros und agape beziehungsweise amor und caritas. In der russischen Sprache gibt es einen Begriff, welcher zwar von dem Wort LIEBE abgeleitet ist, den gleichen Wortstamm, nur eine andere Endung hat; und schon bedeutet diese Wort nicht LIEBE im Sinne von "Gutheißen", sondern lediglich "es ist gut, angenehm und erfreulich, Dich zu betrachten". Quasi - LIEBE mit den Augen.
Es kommt ein weiteres hinzu. Wer immer sich die Frage stellte, was man unter LIEBE verstehe, beantwortete sie aus seiner Zeit heraus. Ich will erläutern, wie das gemeint ist:
Im frühen Mittelalter besaß die deutsche Sprache noch ein anderes seinerzeit gebräuchliches Wort mit eindeutig anderer Bedeutung, als Alternative zu LIEBE. Die Minne, d. h, die selbstlose, aufopfernde, meist einseitige und in jedem Falle unerfüllte Bewunderung und Anbetung einer weiblichen Person. Bis ins späte 15. Jahrundert war LIEBE nur ein Begriff im Zusammenhang mit Gott. In den darauffolgenden Jahrhunderten bestimmten Macht und persönliche sowie verwandschaftliche Bande, was LIEBE ist. Bei Machiavelli war der Inhalt des Begriffes LIEBE durch die politischen und moralischen Ansichten seiner Epoche geprägt. Die völlig neuen Probleme der Jahre nach dem ersten Weltkrieg waren Katalysator für die Freud'sche Analyse der LIEBE. Unsere heutige gesellschaftliche und soziale Struktur im kapitalistischen Westen, ihre sehr materialistische Lebensanschauung, hat zweifelsohne ein anderes Verständnis für die LIEBE geschaffen.
Über kaum ein Thema ist so viel und so vielseitig geschrieben worden, wie über die LIEBE, doch nie vollständig und absolut befriedigend. Trotzdem, es hilft alles nichts, ich muß, um weiterzukommen, den Versuch einer Wortdeutung vornehmen. Ich muß Farbe bekennen, muß meinen Standpunkt klären, sonst kann es nicht gelingen, die eigentliche Frage zu beantworten, die uns heute beschäftigt: Was ist das Ziel unseres Bundes? Was hat der Freimaurer unter LIEBE zu verstehen?
Auch ich kann es nicht in einem Satz und muß etwas ausholen:
LIEBE ist - per definitionem - lebensspendend und befreiend. Sie ist eine willentliche Bejahung des eigenen und auch des fremden Seins. Sie ist ein aus dem Verstand erwachsenes tiefes Verwandschaftsgefühl, daß ein jeder für sich erfahren muß. Die exakte Bedeutung wird entscheidend davon abhängen, welchen Reifegrad der Liebende erreicht hat. Sie wird also von Person zu Person unterschiedlich sein. Zweifelsohne ist die LIEBE eine der wesentlichsten menschlichen Regungen, gleichzeitig auch eine der komplexesten und daher schwer konkreter zu beschreiben.
Aus allen von mir zu diesem Thema gelesenen Büchern gefielen mir am besten die Gedanken von Erich Fromm in seiner Schrift über "Die Kunst des Liebens". Nicht, daß ich allem zustimme. Aber da viele seiner Thesen und Ansichten weitgehend unserem Gedankengut entprechen, so daß man fast den Verdacht hegen könnte, Fromm sei ein Freimaurer, halte ich mich im folgenden an seine Ausführungen. Gelegentlich werde ich wörtlich Zitate übernehmen, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen.
Gehen wir davon aus, daß LIEBE eine Willensäußerung ist. Sie ist eine positive Bejahung des eigenen Ichs und des anderen Menschen. Oder anders ausgedrückt: Jemanden oder etwas lieben heißt, jemanden oder dieses Etwas "Gut" nennen, zu ihm gewendet sagen: "Gut, daß es das gibt, gut, daß du auf der Welt bist". Da dies eine Willenserklärung und nicht nur eine rhetorische Bemerkung ist, ist es kein unverbindlicher Aussagesatz, sondern engagierte Zustimmung.
LIEBE bedeutet nicht nur jemanden zu billigen, wie er ist, ihn stillschweigend und distanziert zu akzeptieren. Das nenne ich tolerierende Neutralität als bloßes Einverständnis. LIEBE dagegen ist gewollte Bejahung. LIEBE ist also eine Weise - zu wollen. Sie ist Handlung, eine aktive Tätigkeit.
Sehen wir die LIEBE als eine Tätigkeit an, Fromm bezeichnet sie sogar als Kunst, so sollte sie auch erlernbar sein, zumindest müßte es Anleitungen und Ratschläge dafür geben. Doch ehe wir uns dieser Frage zuwenden, wollen wir wissen, ob wir die LIEBE überhaupt brauchen oder ob sie nur eine angenehme Zeiterscheinung ist. Die Frage scheint banal und die Antwort darauf eindeutig zu sein. Sie ist jedoch m. E. wichtig, denn sie beweist, daß LIEBE nicht nur Voraussetzung der menschlichen Existenz ist, sondern und vor allem unabdingbare Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben der Menschen.
Das spezifisch biologische Bedürfnis, das Verlangen nach der Vereinigung des weiblichen und männlichen Pols sind entscheidend für die Erhaltung der Art. Bedeutsamer ist, daß erst die LIEBE das universale, existenzielle Bedürfnis nach Einheit befriedigen kann. Nur die Fähigkeit zu lieben versetzt uns in die Lage, die menschliche Einsamkeit zu überwinden.
Der Wunsch, ja das Verlangen geliebt zu weren, ist jedem Menschen immanent. Die LIEBE ist ein Akt des Gebens, des Sichverschenkens. Dies verleiht der LIEBE eine besondere Macht: Die Macht, LIEBE zu erzeugen. Wer nicht lieben kann, ist zur Einsamkeit verdammt. Wer vereinsamt, verliert den Kontakt zu der Welt um sich, gerät in Gefahr, seine Menschlichkeit einzubüßen. Unbrüderlichkeit gegen andere, Haß gegen sich selbst, ist die unausweichliche, schreckliche Konsequenz.