Hallo
@kuno7»Wow, das war aber ne Menge Text für ein kleines Missverständnis meinerseits, welches ich sogar schon eingeräumt hatte.«
Es verhält sich anders herum. Ich schrieb, weil du dein kleines Missgeschick eingesehen hattest. Andernfalls hatte das keinen Sinn gemacht und wäre gegebenenfalls nur in einem unnötigen Streit gemündet.
Weil es sich lediglich um einen kleines Missgeschick handelte, bot sich dieses Szenario an, um exemplarisch aufzuzeigen wie schnell man sich verirren kann. Selbst dann, wenn das nie beabsichtigt war.
Die Menge an Text war dem Umstand geschuldet, dass ich mich möglichst verständlich ausdrücken und ein erneutes Missverständnis vermeiden wollte. Ausserdem schreibe ich meistens nichts, ich lese meist nur still mit.
Und ich hatte den Eindruck, dass die Chancen gut stehen, dass du verstehen würdest, was ich auszudrücken versuchte. Offensichtlich lag ich mit meiner Vermutung richtig, was mich ausserordentlich erfreut.
Doch eigentlich warst du gewissermaßen nicht der richtige Empfänger, denn du zählst nicht zu denen, die hier mit kognitiver Eigenwelt auffallen, und nicht zu jenen, die die von Schopenhauer beschriebenen Kunstgriffe im Schlaf beherrschen und zum Leitmotiv machten.
»dennoch können oder wollen viele diese Trivialität leider nicht verstehen«
Beides ist richtig. Zunächst wollen sie nicht, irgendwann kann man nicht mehr anders. Nur deshalb strengte ich diesen Vergleich an. Denn jemandem, der von der Sinnhaftigkeit eines Argumentes wirklich überzeugt ist wird man niemals mit Widerreden vom Gegenteil überzeugen können.
Hat sich eine falsche Überzeugung erst einmal manifestiert, ist diese gegen Widerreden immun. Die Begründungen werden dabei immer irrationaler, oder manchmal sogar erschreckend rational.
Napoleone akzeptieren beispielsweise, dass sie längst tot sind. Das ist dokumentiert. Sie akzeptieren das und beharren nach wie vor darauf Napoleon zu sein. Dazu bemühen sie ein paar zusätzliche Annahmen, beispielsweise Seelenwanderung, Wiedergeburt, Risse im Raum-Zeit-Gefüge. Sie erweitern ihr Weltbild einfach so lange, bis es faktisch unwiderlegbar wird. Sie machen einige Zugeständnisse um Napoleon bleiben zu können.
Das klingt äusserst verrückt und ist es in gewissem Sinne auch. Und dennoch vermögen einige rationale Argumentionsketten und Aussagen zu bilden. Im Gesamtpaket bleibt das psychologisch auffällig, doch Schritt für Schritt kann das im Rahmen der fiktiven Umstände stimmig, logisch und stringent sein. Jemanden mit logischer Argumentstionskette auf der Habenseite holt man niemals ab. Kein Argument der Welt vermag das, denn es müsste sich um ein deutlich besseres Argument handeln und das ist schon aufgrund der Alpha- und Beta-Fehleinschätzungen, zu denen wir alle neigen, völlig ausgeschlossen.
Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte ist folgendes.
Eine wirklich überzeugte Person kann man nicht mit Argumenten abholen. Sie sind gefeit gegen jede Art der Widerlegung. Man muss darauf hinarbeiten, dass die ihre Fehler alleine bemerken. Nur dann besteht eine Chance, dass sie loszulassen.
Die Gruppe der Eristiker, also jene, die vorgeben überzeugt zu sein, einzig zu dem Zweck eine Auseinandersetzung zu gewinnen, holt man ebenfalls nicht mit Widerworten ab. Die werden sich niemals von einem Argument lossagen, es handelt sich ja im Grunde nicht um ein Argument, sondern um ein reines Stilmittel.
Nur ein sehr kleiner Teil dürfte daher überhaupt für argumentativen Widerspruch zugänglich sein. Meist handelt es dabei um uninformierte Personen, oder solche, die krampfhaft objektiv bleiben wollen, so sehr dass sie sich kein abschließendes Urteil erlauben wollen. Das sind häufig Menschen, die sich von der Tyrannei der Wahl losgesagt haben. Solche kann man überzeugen, aber nur mit völlig verständlichen Argumenten. Unverstandene Argumente werden abgelehnt, was im Grunde eine sehr korrekte Vorgehensweise ist. Man kann und sollte es sich sparen einem physikalischem Laien von Herrn Einsteins Theorien und der Teilchenphysik zu erzählen. Das wird immer unverstanden bleiben. Selbst einige Physiker mit anderen Schwerpunkten haben zuweilen Probleme diese Theorien im Detail zu verstehen. Jemand der überzeugt werden möchte, verlangt nach Erklärungen die absolut und bis ins letzte Detail nachvollziehbar sind. Und das ist bei physikalischen Laien unmöglich, egal wie gut die Erklärungen sind. Solche Personen muss man mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand abholen und mit vielen einsichtigen Begründungen und Beispielen füttern. Bei physikalischen Problemstellungen bieten sich aussagekräftige und nachvollziehbare Versuchsreihen an. Viele Naturwissenschaftler lehnen Theorien ohne Emiprie ab, da sie sehr leicht zu Fehlurteilen führen können. Daher ist es bemerkenswert, dass viele interessierte Laien ständig mit Theorien argumentieren. Die echt beeindruckenden Meisterleistungen sind doch die empirische Nachweise der grauen Theorie. Warum stellt man diese Belege nicht ins Zentrum der Argumentation?
Den experimentellen Nachweis der Zeitdilatation von Keating kann sich jeder visuell vorstellen, das Ergebnis spricht für sich selbst. Gravitationslinsen kann man sehen, da entfällt sogar die gedankliche Visualisierung. Man muss daher nicht in Einsteins Spezielle Relativitätstheorie eintauchen, deren Herleitung für Laien auf ewig unverstanden bleibt, um relativistische Effekte zu erklären.
Solche Beispiele und die entsprechenden Schlussfolgerungen finden stärkere Akzeptanz als Theorien, der Aussagen und Bedeutungen nur ein minimaler Prozentsatz der Bevölkerung versteht. Doch Vorsicht. Ein beispielhafter Versuch, der nur unzureichend oder gar falsch erklärt wird, führt bei solchen Leuten zur Ablehnung. Wie schon erwähnt, solche Leute wollen komplett verstehen und verlangen nach Beispielen, die bis ins letzte Detail verstanden werden. Es ist selbst für Experten zuweilen äusserst schwierig die geforderten Erklärungen liefern zu können, denn solche Menschen stellen massenhaft Fragen und irgendwann erreicht selbst ein Experte das Ende seines Lateins. Dann läuft selbst ein Experte Gefahr sich scheinbar minimal zu widersprechen, so ein scheinbarer und minimaler Widerspruch kann schon zur Ablehnung führen, oder er wiederholt sich, das kann als Erklärungsnotstand interpretiert werden und ebenso zu Ablehnung führen. Desto mehr Argumente Ablehnung finden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Person sich »falsch« entscheidet. Die Gefahr ein negatives Ergebnis zu erzielen ist sehr hoch. Der unerwünschte Effekt wird durch aufkommende Emotionalität weiter verstärkt.
So kann man alles falsch machen, weil man alles richtig machen wollte. Die versuchte Aufklärung mündet im Gegenteil.
Das sind aus meiner Sicht die wichtigsten Ursachen für eine Vielzahl hiesiger Kommunikationsprobleme und vieler Streitereien. Ich hoffe meine Ausführungen werden nicht als offtopic und irrelevant erachtet. Immerhin war der Einstieg themenbezogen.
Vielleicht denkt der ein oder andere über meine Erklärungen nach, vielleicht hilft dieser Exkurs zu tieferem Verständnis oder gar zu ein wenig Einsicht. Bitte vergesst nie, dass es auch eine andere Seite gibt. Nahezu jeder hat Gründe für seinen Standpunkt und diese Gründe sind nicht dumm oder verrückt. Niemand kann für sein Unverständnis und seine Fehlinterpretationen verantwortlich gemacht werden, denn niemand wählt aktiv seine Meinung aus, sie wird von unserem Gehirn erzeugt.
Das Fehlurteil meines Gegenüber kann schon morgen mein Fehlurteil sein. Sich dessen stets bewusst machen, wäre sicher ein guter Anfang.