Negev schrieb am 23.01.2024:Klingt schon stimmig. Irgendwie. Mal ganz blöd gefragt, welche Charakterzüge bei Hunden gibt es? Und ich meine nicht Eigenschaften die hauptsächlich von der Rasse bestimmt werden
Tatsächlich finde ich, dass das Zusammenleben ziemlich von den Eigenschaften der Rasse abhängen.
Koppelgebrauchshunde (bspw. Border Collies) sollen auf große Distanz auf die Anmerkungen von ihren Schäfern hören und Schafe punktgenau treiben. Treiben ist ein Teil einer abgebrochenen"Jagdsequenz, dh sie müssen sehr unterwürfig sein und sehr groß gefallen wollen, um nicht selbst zu entscheiden in das Vieh reinzuhacken. Daher kommt der Charakter, dass Border Collies meistens extrem sensibel sind, stark auf die Regung ihres Besitzers reagieren (gewollt wie ungewollt), gut in Gruppen zurecht kommen, wenig Aggression zeigen, sehr sehr stark gefallen wollen, die Nerven eher wegschmeißen als mal gegen anzukommen. Die sind auch nur für diese eine Sache gezüchtet. Und da ein Schäfer nicht jeden Tag im Jahr die Schafe von A nach B treibt, aber auch nicht 5 Hunde zuhause auf dem Sofa liegen hat über die Wintermonate, haben die Hunde sonst Ruhe und die sind dann einfach weggesperrt. Dafür sind die gemacht. Jetzt denk mal drüber nach, was ist, wenn man sagt, ein Border Collie ist super intelligent und muss täglich lange beschäftigt werden und muss 3x die Woche über Hürden bei Agility springen und er bekommt nie mal am Stück Ruhe.
Anders ist das beispielsweise beim Australian Shepherd, der anders als der Name es zulässt eine amerikanische Gebrauchskreuzung ist, die für das Treiben am Vieh aber auch allgemein als Hofwachhund und als Allrounder eher gezüchtet wurde. Das heißt, dieser Hund treibt 800kg Bullen und stellt sich denen in den Weg. Oder er wacht im Stall und auf dem Hof über riesige Flächen. Die Hunde haben Arsch in der Hose und binden sich einerseits an den Besitzer, andererseits sind sie tendenziell nicht ganz so verträglich in Gruppen, haben eine ernste wachsame Seite, finden Fremde tendenziell nicht cool usw.
Also Charakter beim Hund formt sich durch den Gebrauch. Form follows funktion.
Wieder anders sieht es aus, wenn man dann Hunde in der Optik züchten will, aber die Gebrauchseigenschaften nicht mehr drin sind. Also einen hübschen bunten Aussie in Plüschioptik am besten in Bunt (klar muss Red Merle sein) und der soll ganz lieb sein und eigentlich ein Malteser im Herzen. Oft schmeißen die Hunde bei Nicht-Gebrauch die Nerven. Dh sie sind nervös und sie schützen dann trotzdem. Geile Kombi. Nicht.
Und dann sind die Leute verwundert. Die gute Möglichkeit ist, den Hund so zu akzeptieren und wie er ist.. Manche arbeiten dann sehr lange mit Trainern gegen die Anlagen den Hundes an. Das kann bedingt klappen, wird aber meistens weder Hund noch Herrchen glücklich machen. Andere versauen es komplett und dann kann man sich die ganzen "Rassehunde in Not" Stories durchlesen.
Genauso wie man sich keinen Jack Russell Terrier holt und dann erwarten sollte, dass er täglich x Kilometer frei am Rad neben einem her läuft und das seine Erfüllung Hauptbeschäftigung werden soll. Das ist nicht sein Job. Und gerade die suchen sich dann ihren Job eigenständig.
Da gibt es andere Rassen dafür, die das richtig richtig geil fänden ewig zu laufen oder gar zu ziehen. Und die dann zuhause ruhig und ausgeglichen und entspannt und selbstbewusst sind, weil sie ihrer Rasse entsprechend ausgelastet werden.
Denn auch das trägt zum Charakter bei: wenn ein Hund gut gezüchtet, gut aufgezogen wird und sich seinen Bedürfnissen nach (die ihm in den Genen liegen) beschäftigt wird, sind Hunde zufrieden und ausgeglichen, tolerieren mal eher schlechte Tage und Fehler, haben ruhige Nerven, Selbstbewusstsein durch ihren gemachten "Job" und sind im Alltag eher unauffälliger und einfacher zu händeln.
Ansonsten gibt es (auch rassebedingt) fröhliche und eher ernste Hunde. Hunde, die trotz Geschlechtsreife sehr verspielt und lange verträglich sind vs Hunde, die keinen Bock auf gleichgeschlechtliche Artgenossen und Spielerei haben. Hunde, die fremden Menschen offen gegenüber sind und Skeptiker. Hunde, die nur innerhalb der kleinen Familie verschmust und freundlich sind. Hunde mit unterschiedlichem Nähe-Distanz-Bedürfnis. Hunde, die selbstständig sind oder Hunde, die jedem Blick ihrer Besitzer Taten folgen lassen. Hunde, die sehr sensibel sind und Hunde, die Kommandos eher als warme Empfehlung ansehen. Hunde, die eher träge sind und welche, die richtig Feuer im Po haben. Hunde, die gern auch mal alleine sind und welche, die ein abnehmbares Körperteil von einem werden möchten.
Das Problem unserer heutigen Zeit sind einerseits Züchtungen auf ein körperliches Merkmal hin ohne Charakter zu beachten (und das sag ich als Züchter) und andererseits eben Menschen, die meinen, mit bisschen Training und guter Erziehung lässt sich jeder Hund zu allem ausbilden. Und das ist eben nicht so.
Als Züchter ist es meine Aufgabe die Leute auch so zu filtern, dass ich die passenden Leute für meine Hunde finde. Oder nur Hunde in die Zucht weiter gebe, wo ich sage, ja sie haben ihre Rasse Beschreibung gelesen. Oder auch mal sage, der Wurf war nix, ist nicht so geworden wie ich es mir gewünscht habe und möchte diese Linie nicht weiter fördern. Weil da ist der Erhalt der Rasse mein Ziel.
Als Besitzer von Mischlingen und Tierschutzhunden nehme ich die Kleinen einfach so wie sie sind, ohne Druck, und schaue, wie viel sie mir anbieten und womit sie glücklich werden. Was brauchen sie, kann ich denen das bieten? Ich kann zB keinen Hund behalten, der sich in einer Gruppe absolut unwohl fühlt.