@natü natü schrieb:Aber Glauben mit beliebigem, austauschbarem Inhalt widerspräche doch dem Sinn des Glaubens. Es geht doch dabei um die höchste Wahrheit, die man sucht, findet und der man sich dann verschreibt.
Im Gegenteil. Dass der Inhalt beliebig und austauschbar ist, das macht zu Glauben doch erst zu dem, was es ist.
Wann greifen wir denn auf Glaube zurück? In dem Moment, wo wir etwas nicht genau wissen.
Beispielaussagen sind: "Ich weis nicht, was nach dem Tod kommen könnte, aber ich glaube, dass ..." oder "Ich kann mich nicht mehr an die genaue Jahreszahl erinnern, aber ich glaube es war im Jahr ..."
Das Wort "Glaube" wie auch die Tätigkeit "glauben" drücken eine Unsicherheit aus, weil wir uns entweder nicht sicher sind oder der Sachverhalt nicht eindeutig ist.
Beim Glauben im religiösen oder spirituellen Sinne sucht man sich halt eine Erklärung, die man erst einmal vorrübergehend für wahr halten kann und will, ungeachtet des tatsächlichen Wahrheitsgehalts.
Ziel dessen ist aber immer nur, dass man sich selbst eine gewisse Sicherheit verschaffen will, weil zu sagen, dass man etwas eben nicht weis, ein Gefühl von Verunsicherung hervorruft, dass man nicht haben will.
Eine Wahrheit, wie der Name schon sagt, ist einfach wahr und auch wenn man nicht daran glaubt, so verliert eine wahre Aussage nicht ihren Wahrheitsgehalt.
Ich weis nicht, ob in meiner Brieftasche ein 10€ Schein ist. Bis hier hin kann ich nur sagen, dass ich eben nicht weis, ob sich ein solcher darin befindet.
Ich kann aber auch anfangen zu glauben, dass es so ist - eine Sicherheit, dass dort aber nun letztlich auch einer ist, die habe ich bisher noch nicht. Hier ist eben schon fraglich wie viel praktischen Nutzen mein Glaube hat, wenn ich nachher noch Einkaufen gehen will. Ohne Überprüfung des Glaubensinhalt bleibt das Resultat an der Kasse beim Bezahlen, genauso unsicher wie wenn ich bei der Aussage geblieben wäre, dass ich es nicht weis.
Der Glaube allein bedeutet noch längst nicht, dass sich der Glaubensinhalt auch mit der Wahrheit decken muss und entbindet den Gläubigen auch nicht, den Wahrheitsgehalt des Glaubensinhalts zu überprüfen, will er eine Sicherheit haben, auf die er sich verlassen kann.
Im Fall der Brieftasche habe ich aber Methoden, um mein Nichtwissen zu beseitigen bzw. meinen Glauben zu überprüfen:
Schaue ich nun nach und finde dort keinen solchen Schein, welchen Sinn würde es machen trotzdem weiterhin daran zu glauben?
Schaue ich nach und finde dort einen, dann kann ich ab dem Moment aufhören zu glauben, weil ich ja jetzt weis, dass dort einer ist.
natü schrieb:Glauben um der Glaubenstätigkeit willen wäre doch nur ein Spiel und darum Selbsttäuschung, also gerade das, was du den Religionsfixierten vorwirfst, die nicht dazulernen wollen.
Selbsttäuschung, ja das kann passieren.
Gehen wir dazu noch einmal an den Punkt zurück, wo ich nicht wusste, ob der Zehner in meiner Brieftasche ist.
Es ist jetzt durchaus legitim ohne Überprüfung zum Supermarkt zu gehen, mit ein paar Waren zur Kasse zu gehen und dann im Moment des Bezahlens daran zu glauben, dass der Zehner da sein wird. Jetzt öffne ich meine Brieftasche und halleluja, da ist ja der Zehner. Mein Glaube hat sich mit der Realität gedeckt, tolles Gefühl, den Glauben behalte ich bei und erwarte jetzt immer, dass der Zehner da ist, weil ich schließlich ein frommer Glaubensbruder bin.
Beim nächsten Einkauf allerdings passiert etwas Unerwartetes. Ich stehe an der Kasse, will bezahlen und, auch du Schreck, die Brieftasche ist ja diesmal leer. Trotz all meines Glaubens, deckt sich mein Glaubensinhalt auf einmal nicht mehr mit der Realität.
Was könnte nun in mir vorgehen?
(1) Der Glaube bleibt wie er ist. -> Den einen Fehlschlag ignoriere ich und glaube bei allen zukünftigen Einkäufen weiter fest an den Zehner.
(2) Gleiche Gottheit, neue Eigenschaften. -> Ich passe meinen Glauben an die Brieftasche an und verändere den Glaubensinhalt von einem Zehner zu einem Fünfer.
(3) Andere Gottheit, ähnliche Eigenschaften -> Ich höre auf an meine Brieftasche zu glauben, besorge mir eine Kreditkarte und glaube stets, dass ich mit dieser bis zu 10€ bezahlen kann.
(4) Anstatt von Anfang an zum Glauben zu greifen, überprüfe ich erst einmal, was ich kann. -> Vor dem Einkauf in die Brieftasche schauen oder den Kontostand abfragen.
Den Religionsfixierten sehe ich in Beispiel (1). Er ist derjenige, der sich an der Religion orientiert und ihre Vorschriften auslebt, ob die nun stimmen oder nicht.
Beispiele (2) bis (4) beschreiben den Gläubigen, der zwar glauben möchte, aber die Realität beachtet und manchmal (wie in Beispiel (4) ) bereit ist dazuzulernen und Teile seines Glaubens aufzugeben, wenn die Realität einen Grund dafür liefert.