Wieso erschafft Gott überhaupt irgendetwas?
09.10.2011 um 23:33
Für oneisenough
Als Erstes möchte ich hier alle Leser um Verzeihung bitten dafür, dass ich mich diesmal ausschliesslich an ONEISENOUGH wende , da ich Ausdrücke verwenden werde, die vermutlich nicht allen Lesern gelaufig sein werden.
Hallo Oneisnough,
Du hast also das Haar in der Suppe gefunden, weil ich schrieb:
Die Welt, in die Du hineingeboren wirst
Dies nahmst Du zum Anlass für Deine detaillierte Ausfürung über das Ich und das Selbst, die ich mit grossem Interesse gelesen habe und im Übrigen sehr gut finde. Vielen Dank. Aber der Unterschied zwischen den beiden goldenen Vögeln, die auf einem Baumast sitzen, ist mir längst bekannt. Schon vorher hatte ich den Eindruck, dass Dir diese Form des Hinduismus nahesteht, aber diesmal bin ich sicher, dass Deine Ausfürungen sich mit dem Geist der Upanishads decken.
Du schreibst:
Ich bin sowohl die vergänglichen Ichs, wie auch das, womit ich mich jeweils identifizieren kann, wie auch das Selbst, das alles erschafft und beobachtet
Ist das theoretisches Wissen oder praktische Erfahrung? Im letzteren Falle wärest Du ein Arahant. Der Arahant aber schweigt; nicht aus Egoismus, der für ihn ja garnicht mehr existiert, sondern weil er weiss, dass es nutzlos wäre zu reden.
Der Taoismus sagt Der Wissende redet nicht. Und: Wer redet, weiss nichts.
Ich bin kein Arahant und vermute, Du bist auch keiner. Aber beide sind wir an einem Punkt angelangt, wo der Sinn unseres Redens für andere schon schwer zugänglich wird.
Ich möchte hier sagen, dass ich zwar kein Buddhist bin, mir aber das buddhistische Gedankengut nahesteht. Nun, wie Du wohl weisst, gibt es im Buddhismus kein Ich. Es gilt für uns Menschen zu erkennen, dass es ein solches Ich garnicht gibt sondern nur auf Einbildung beruht. Laut Buddhismus ist der Mensch nichts anderes als ein Aggregat (wie etwa ein Auto), das sich bei seinem körperlichen Tode auflöst. Übrig bleiben aber karmische Kräfte, die dem Samsara nach dem Tode nicht mehr angehören, aber schliesslich zur Geburt eines neuen Körper führen, in dem sich eine neue Persönlichkeit bildet, die auf der vorhergegangenen aufbaut.
Deshalb, weil diese karmischen Kräfte nachdem Tode nicht mehr dem Samsara angehören, wohl aber zu Geburt eines neuen Menschen führen, redete ich vom "In die Welt hineingeboren werden". Natürlich ist es nichts das Selbst (Brahman) wie Du es verstehst, dass da hineingeboren wird sondern die Vorstellung eines neuen Ich's in Deinem Sinne.
Du benutzt öfter den Ausdruck "Sein". Ich habe dieses Wort in einem Beitrag übernommen, obwohl es mir nicht sehr gut gefällt. Ich meine, das "Sein" als solches existiert nicht, so wenig wie die "Natur". Ich denke, die Natur ist nichts anderes als die Gesamtheit aller natürlichen Erscheinungen. Und das Sein ist meiner Meinung nach nichts anderes als die Summe aller "seienden" Wesen. Anders betrachtet würden wir in die Nähe der Anahme eines mehr oder weniger persönlichen Gottes geraten, was ich strikt ablehne.
Wenn ich Dich nicht falsch verstehe, dann versuchst Du, auf positive Weise mit Worten auszudrücken, was der Ursprung alles Seienden ist oder was dem Seienden zugrunde liegt, eben das "Sein" als solches. Ich finde, dass die Sprache sich dafür nicht eignet. Sie taugt nur dazu, wiederzugeben, wie die Dinge letztlich nicht sind. Dabei befinde ich mich in guter Gesellschaft, wie aus dem Nachstehenden hervorgeht:
Daß der höchste Grund alles Intelligiblen dem intelligiblen Bereich selbst nicht angehöre
Noch höher aufsteigend sagen wir von ihr (der Allursache) aus, daß sie weder Seele ist noch Geist; ihr ist auch weder Einbildungskraft, Meinung, Vernunft oder Denken zuzuschreiben, noch ist sie mit Vernunft und Denken gleichzusetzen, noch wird sie ausgesagt, noch gedacht. Sie ist weder Zahl noch Ordnung, weder Größe noch Kleinheit, weder Gleichheit noch Ungleichheit, weder Ähnlichkeit noch Unähnlichkeit. Sie hat weder einen festen Stand, noch bewegt sie sich, noch rastet sie. Ihr ist auch weder Kraft zuzuschreiben, noch ist sie mit Kraft identisch, noch mir Licht. Sie ist weder lebendig noch mit Leben identisch. Auch ist sie nicht Sein, nicht Ewigkeit, nicht Zeit. Sie kann aber auch nicht gedanklich erfaßt, noch gewußt werden. Auch ist sie weder mit Wahrheit, noch mit Herrschaft oder Weisheit gleichzusetzen. Sie ist weder eines noch Einheit, weder Gottheit noch Güte. Sie ist auch nicht Geist in dem Sinne, wie wir diesen Ausdruck verstehen, noch mit Sohnschaft oder Vaterschaft gleichzusetzen oder mit irgend etwas anderem, von dem wir oder irgendein anderes Wesen Kenntnis besäßen. Sie gehört weder dem Bereich des Nichtseienden noch dem des Seienden an. Auch erkennen sie die Dinge nicht so, wie sie (tatsächlich) ist, noch erkennt sie die Dinge in ihrem tatsächlichen (begrenzten bzw. zusammengesetzten) Sein. Sie entzieht sich jeder (Wesens-) Bestimmung, Benennung und Erkenntnis. Sie ist weder mir Finsternis noch mit Licht gleichzusetzen, weder mit Irrtum noch mit Wahrheit. Man kann ihr überhaupt weder etwas zusprechen noch absprechen. Wenn wir vielmehr bezüglich dessen, was ihr nachgeordnet ist, bejahende oder verneinende Aussagen machen, dann ist es nicht etwa sie selbst, die wir bejahen oder verneinen. Denn sie, die allvollendende, einzige Ursache aller Dinge, ist ebenso jeder Bejahung überlegen, wie keine Verneinung an sie heranreicht, sie, die jeder Begrenzung schlechthin enthoben ist und alles übersteigt. S.74ff.
Aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die mystische Theologie und Briefe Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Adolf Martin Ritter
© 1993 Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart (Bibliothek der griechischen Literatur, Band 40)
Auszugsweise Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung des Anton Hiersemann Verlages, Stuttgart
--------------
Länger möchte ich für diesmal Deine Aufmerkamkeit nicht in Anspruch nehmen. Genug also für heute